Wichtige und schwierige Wahl in Merkels politischer Heimat. CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier ist bislang Juniorpartner der SPD. (Foto: imago/BildFunkMV)
Mecklenburg-Vorpommern

Schon eine Schicksalswahl für Merkel?

So idyllisch Mecklenburg-Vorpommern mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern auch scheint: Die Landtagswahl in ihrer politischen Heimat hat für Bundeskanzlerin Merkel (CDU) schicksalhaften Charakter. Falls die AfD tatsächlich besser als die CDU abschneidet, dürfte Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik noch stärker unter Druck geraten. Dem Land an der Ostsee selbst droht eine politische Blockade.

„Wir werden im Wahlkampf nur auf die Flüchtlingsfrage angesprochen“, klagt CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier. Der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns kann mit seiner eigenen politischen Arbeit im Land kaum zu den Wahlbürgern durchdringen. Und das, obwohl sich das Land wirtschaftlich sehr gut erholt hat – trotz der weltweiten Krise bei den dort ansässigen Branchen wie Schiffbau oder Fischerei.

Der sanfte Tourismus in der Seenplatte zieht viele Erholungssuchende an, zudem ist das Land im Bereich der Luft- und Raumfahrt sowie der Windkraft stark vertreten. Der Breitbandausbau kommt gut voran. Der jahrzehntelange personelle Aderlass durch Wegzug in den Westen ist beinahe zum Erliegen gekommen. Die Steuereinnahmen sind stark gestiegen, das Land macht – auch dank Solidarpakt und Länderfinanzausgleich, aber auch wegen eigener Sparanstrengungen – seit Jahren keine neuen Schulden mehr und zahlt Altschulden zurück.

Wir werden im Wahlkampf nur auf die Flüchtlingsfrage angesprochen.

Lorenz Caffier, CDU-Spitzenkandidat

SPD und CDU wollen Koalition fortsetzen

Sogar in Sachen Flüchtlingen hat das Land alles im Griff – im Gegensatz etwa zum Land Berlin. Mecklenburg-Vorpommern registriere die zugewiesenen Neuankömmlinge binnen vier Tagen und verteile sie auf die Kommunen, ist zu hören. Aber dem Wahlvolk passt in der Flüchtlingsfrage eben die ganze Richtung nicht, vor allem nicht die grundsätzliche Grenzöffnung vor einem Jahr – und der Schlüssel dazu liegt nun einmal in Berlin.

Auch wären die Chef-Protagonisten der Koalition – Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und CDU-Landeschef Caffier – durchaus bereit, die Koalition fortzusetzen: Sie mögen sich und arbeiten schlicht und vertrauensvoll miteinander. Doch es ist fraglich, ob es für eine Neuauflage von Rot-Schwarz reichen wird. Es wird knapp.

Jüngste Umfrage sieht AfD stärker als CDU

Das Parteiensystem in „Meck-Pomm“ ist seit der Grenzöffnung für Flüchtlinge vor einem Jahr stark in Bewegung geraten: Die AfD, die noch 2014 bei vier Prozent gesehen wurde, steht jetzt bei prognostizierten 21 bis 23 Prozent. Nach der allerneuesten Umfrage (Forschungsgruppe Wahlen fürs ZDF) liegen AfD und CDU genau gleichauf bei 22 Prozent. Bei einer anderen Umfrage (INSA für Cicero) war die AfD sogar mit 23 Prozent deutlich stärker als die CDU, die nur auf 20 Prozent kam.

Die letzten vier Umfragen verhießen für die CDU Werte zwischen 20 und 22 Prozent. Das ist zwar nur ein kleiner Verlust gegenüber der letzten Landtagswahl 2011, als die Christdemokraten 23,0 Prozent erreichten. Doch bei einem drohenden Verlust des zweiten Platzes im Parteienranking könnte es die CDU wenig trösten, dass die schwersten Verluste nicht der Union, sondern der SPD und der Linkspartei drohen: Die SPD stürzt laut Umfragen von ihren 35,6 Prozent bei der Wahl 2011 auf 28 Prozent ab. Die SED-Erben verlieren demnach von 18,4 auf etwa 13 Prozent. Den Grünen werden sechs Prozent zugetraut, damit wären sie knapp im Landtag vertreten.

Stärke der AfD erhöht Gefahr einer politischen Blockade

Die erstarkende AfD nimmt offenbar auch der NPD viele Stimmen ab: Die Rechtsextremisten sollen laut Umfragen von 6,0 Prozent bei der Wahl im Jahr 2011 auf jetzt zwei bis drei Prozent absinken und damit aus dem Landtag fliegen. Damit verlöre die NPD ihre letzte verbliebene Landtagsfraktion. Allerdings schnitt die NPD in Mecklenburg-Vorpommern bei den Wahlen stets besser ab als in den Umfragen, also scheint ein Abgesang hier noch übereilt. Weitere Parteien wären laut Umfragen nicht im künftigen Landtag vertreten – auch nicht die FDP, die ebenfalls bei zwei bis drei Prozent erwartet wird.

Allerdings könnte es bei einem Einzug der Grünen, also in einem Fünfparteien-Landtag, zu einer politischen Blockade kommen, falls es für eine Neuauflage von Rot-Schwarz nicht reichen sollte. Derzeit sieht es zwar so aus, dass SPD (28) und CDU (20) gemeinsam immer noch knapp eine Mehrheit nach Sitzen hätten. Aber die Erfahrung der Landtagswahlen vom März hat gezeigt, dass die Partei des Ministerpräsidenten in den letzten Tagen vor der Wahl etwas zulegt und der kleinere Koalitionspartner stark verliert.

„Kenia“ – oder sogar Rot-Rot-Grün mit Schwesig?

Folgende Notfall-Szenarien werden in Schwerin durchgespielt: Mit der AfD wird niemand koalieren wollen. Und es ist fraglich, ob die Sechs-Prozent-Grünen als dritter Partner in eine „Kenia-Koalition“ nach Magdeburger Vorbild, also in ein Bündnis mit SPD und CDU, einsteigen würden. Immerhin hat CDU-Landeschef Caffier erst kürzlich als Innenminister in der „Berliner Erklärung“ klare Kante gezeigt und gemeinsam mit den anderen Unions-Innenministern ein Burka-Verbot und stärkere Videoüberwachung gefordert (der Bayernkurier berichtete), was die Grünen sehr kritisieren. Auch persönlich stimmt zwischen Sellering und der Grünen-Landesspitze die Chemie nicht.

Alternativ würde dem Land nach Thüringer Vorbild eine rot-rot-grüne Koalition drohen, die mit einem inhaltlichen Linksschwenk die gedeihliche Entwicklung des Landes ernsthaft gefährden würde. Da die Grünen im Osten Deutschlands als ehemalige Dissidentenpartei mittlerweile alle Hemmungen gegenüber den SED-Nachfolgern von der Linkspartei verloren haben, erscheint das durchaus möglich. SPD und PDS regierten das Land ja bereits zwischen 1998 und 2006 gemeinsam. Beobachter erwarten für den Fall von Rot-Rot-Grün allerdings, dass Ministerpräsident Sellering abtritt und den Weg freimacht für die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, die bis 2013 in Schwerin Sozialministerin war.

Goldene Zeiten der CDU sind lange her

Ob die CDU irgendwann wieder an die goldenen Zeiten anknüpfen kann, als sie – wie zwischen 1990 und 1998 – in Schwerin die stärkste Partei stellte und teils mit der FDP, teils allein regierte, steht in den Sternen. Das liegt auch am Personal: Lorenz Caffier ist ein solider Innenminister, aber eben kein populärer Volkstribun. Das ist auch SPD-Ministerpräsident Sellering nicht, aber er liegt in den Sympathiewerten stets spürbar vor Caffier.

Zwischenzeitlich, im Jahr 2014 und dann nochmals im Frühjahr 2016, verhießen die Umfragen eine Umkehrung der Vorzeichen, als die CDU wenige Prozentpunkte vor der SPD lag. Diese kurze Episode ist aber vorbei. Ohnehin hat die CDU keine andere Machtoption als eine Koalition mit der SPD. Bündnisse mit Linkspartei und AfD schließen die Christdemokraten aus.

Merkels starkes Engagement mit Risiken und Nebenwirkungen

Angesichts dieser mauen Aussichten ist es kaum verwunderlich, dass die Kanzlerin sich in ihrer politischen Heimat Mecklenburg-Vorpommern stark im Landtagswahlkampf engagierte, an der Seite von Spitzenkandidat Caffier eifrig Honig auf Wochenmärkten kaufte und Bratwürste vom Grill probierte, mit Hafenmeistern und Agrargenossenschaftlern fachsimpelte, ja sogar publikumswirksame Themenveranstaltungen zur Landwirtschaft und anderen Fragen bestritt, was sie sonst eher meidet. Im NDR rief sie die Bürger eindringlich auf, zur Wahl zu gehen, um NPD und AfD klein zu halten.

Je mehr Menschen wählen gehen, umso geringer ist der Anteil bestimmter Parteien, die aus meiner Sicht keine Antwort auf die Probleme geben und sich im Protest erschöpfen – oft auch mit Hass gepaart.

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Offensichtlich will sich Angela Merkel nicht dem Vorwurf aussetzen, die Parteifreunde in der Heimat mit dem Flüchtlings-Schlamassel alleingelassen und nicht alles für den Erfolg der CDU versucht zu haben. Die Kehrseite der Medaille: Da die Bundespolitik sowieso die Landtagswahl überschattet, wird die Wahl am Sonntag automatisch zu einer Abstimmung über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Und das umso mehr, je stärker Merkel im Land Präsenz zeigt. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen: Nämlich dass Merkel im Fall einer deftigen Niederlage noch mehr Gegenwind aus den eigenen Reihen spüren dürfte.