Der neue FDP-Vorstand (v.l.): Christian Lindner, Katja Suding und Wolfgang Kubicki. (Bild: Stefan Zeitz/Imago)
FDP-Parteitag

Selbstverantwortung statt Über-Staat

Die FDP stellt sich neu auf – das Jahr 2017 fest im Blick. Der Parteitag in Berlin war sich klar, dass die Bundestagswahl das entscheidende Fallbeil für die FDP sein wird. Indirekte Wahlhilfe bekommt die FDP von der großen Koalition, meinen Kommentatoren: Der mutlose Schlingerkurs der Koalition treibe der FDP die Sympathien der Bürger zu.

2017, das ist allen Liberalen klar, ist das Jahr der Entscheidung für die FDP: Wird sie ein weiteres Mal an der Fünfprozenthürde scheitern, dann dürfte langfristig der Vorhang fallen. Wenn sie aber wieder in den Bundestag einzieht, könnte das Debakel von 2013 mit dem erstmaligen Ausscheiden aus dem höchsten deutschen Parlament im Rückblick als einmaliger Ausrutscher gelten. Bis dahin stehen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und vor allem NRW an. Die Urnengänge in diesen traditionellen Stammlanden der FDP gelten den Liberalen allesamt bereits als „kleine Bundestagswahlen“.

Drei Dinge stellte Parteichef Christian Lindner in den Mittelpunkt: Innere Einigkeit der Parteiführung, neben den Dauerbrennern neue populäre Themen, die die FDP bisher nicht im Angebot hatte, und eine solide finanzielle Ausstattung angesichts der kommenden teuren Wahlkämpfe. Alles drei gewährte ihm der Parteitag. Die Maßnahmen sind eine Reaktion auf das Ausscheiden aus dem Bundestag, dessen Gründe Lindner folgendermaßen umreißt: Die jahrelange Reduktion der FDP auf ihre Rolle als Mehrheitsbeschaffer für die Union unter Aufgabe praktisch aller sachpolitischen Positionen sowie die Grabenkämpfe und Demontagen des eigenen Führungspersonals – Stichworte Westerwelle, Rösler, Brüderle.

Sympathie-Wahlkämpfe wie in Hamburg und Bremen lassen sich nicht beliebig wiederholen

In den jüngsten Bürgerschafts-Wahlkämpfen in Hamburg und Hamburg musste die FDP-Bundespartei die Landesverbände massiv unterstützen, denn schon diese Wahlen wollte die Führung unter keinen Umständen verloren geben. Mit Erfolg: Mit unpolitischen Wahlkämpfen, aber den sehr telegenen Spitzenkandidatinnen Katja Suding und Lencke Steiner, zog die FDP jeweils deutlich in die Parlamente ein. Reine Sympathiebekundungen waren das, weniger dem FDP-Programm als mehr den Kandidatinnen geschuldet, auch bedingt durch die geringe Anziehungskraft der jeweiligen Landes CDU-Verbände.

Die künftigen Auseinandersetzungen werden schwieriger, da die FDP im Süden und Westen durchaus sachpolitisch Überzeugungsarbeit leisten muss und keine sympathischen jungen Frauen als Spitzenkandidaten zur Verfügung hat, sondern nur gestandene Schlachtrösser. Im Angesichts dieser Herausforderungen sowie zur Bekämpfung der sieben Millionen Euro Miesen sorgte der FDP-Bundesverband nun vor und erlegte den Kreisverbänden ein auf drei Jahre beschränktes Sonderopfer auf: 25 Euro pro Jahr und Mitglied sollen die Kreisverbände der Bundespartei überweisen, also 75 Euro pro Mitglied. Das soll einen Solidarfonds von etwa vier Millionen Euro füllen.

Breitseiten auf die große Koalition

Die Zweidrittelmehrheit für diese Kreisumlage kam zustande, kurz bevor der Parteitag den Vorsitzenden mit 92 Prozent im Amt bestätigte. Auch die beiden bekanntesten Stellvertreter, Katja Suding (85 Prozent)und Wolfgang Kubicki (94 Prozent), erhielten sehr gute Ergebnisse. Die einzige Kampfkandidatur entschied ebenfalls Lindners Kandidatin, die NRW-Kommunalpolitikerin Strack-Zimmermann, knapp für sich, und zwar gegen den bayerischen Landesvorsitzenden, den Unternehmer Albert Duin. Der hatte zwar eine selbstbewusste und rhetorisch glänzende Rede gehalten, das nützte ihm aber letztlich nichts.

Lindner knöpfte sich besonders die große Koalition vor. Diese lähme das Land, das in „Wohlfühlstagnation“ verharre. Nötig sei ein Mentalitätswandel. Die Antwort der FDP auf Technikfurcht und Besitzstandswahrung in der Gesellschaft sei mehr Optimismus und das leicht pubertär wirkende Parteitagsmotto „German Mut“ – eine Anspielung auf das „German Angst“ lautende Vorurteil im Ausland, die Deutschen scheuten Veränderungen. Union und SPD hielt Lindner vor, trotz sprudelnder Steuereinnahmen die Bürger abzukassieren. Es finde eine „gigantische und historische Umverteilung von Privat zu Staat“ statt. Der Soli werde nicht wie einst versprochen 2019 abgeschafft, sondern zur Dauerabgabe.

Runter mit den Steuern!

Union und SPD verschliefen dringend notwendige Reformen, so Lindner. „Die größten Fehler macht eine Regierung nicht während der Krise, sondern während des Booms, weil sie notwendige Anpassungen unterlässt.“ Nach einem heftigen Schlagabtausch wurde mit dem Leitantrag die Forderung beschlossen, langfristig das Modell einer „Flat Tax“ zu prüfen – mit einem gleich hohen Einkommensteuertarif für alle. Die Liberalen waren bei der Bundestagswahl 2013 auch deshalb abgestraft worden, weil sie zuvor vier Jahre lang ihr (ursprünglich von der CSU abgekupfertes) Motto „Mehr Netto vom Brutto“ nicht einlösen konnten.

Außenpolitisch bleibt die FDP klar auf Europa-Kurs, will Großbritannien in der EU halten, Krisenländern wie Griechenland aber nichts mehr durchgehen lassen – notfalls müsse Athen aus dem Euro ausscheiden. Die Einhaltung der Spielregeln sei für den dauerhaften Bestand der Gemeinschaftswährung wichtiger als die Anzahl der Euro-Mitglieder.

Wie passt zentralistische Bildung und Cannabis zusammen?

Neben den innenpolitischen Dauerbrenner-Themen Steuern, Selbstverantwortung, persönliche Freiheit und Datenschutz setzte Lindner auch neue Schwerpunkte wie „die weltbeste Bildung für Deutschland“, wo die FDP neuerdings mehr Zentralismus fordert, sowie eine Freigabe des Cannabis-Konsums. Die Frage vorwitziger Kommentatoren, ob die FDP ihre Lage nur noch bekifft ertragen könne, wurde allerdings nicht beantwortet.