Freitagsgebet in der Ditib-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh. (Foto: imago/Jochen Tack)
Integration

Wenn der Staat die Kontrolle verliert

In zahlreichen deutschen Großstädten haben sich Ghettos entwickelt. Viertel, in denen eigene Regeln und Gesetze gelten, in den vorwiegend türkisch, arabisch, rumänisch oder bulgarisch gesprochen wird. Entstanden sind sie durch Versäumnisse in der Ansiedlungspolitik und naive Multikulti-Romantik. Im Zuge der Flüchtlingskrise wiederholen viele Kommunen die Fehler der Vergangenheit.

Wer sich heute durch manche Stadtteile Berlins bewegt, kann leicht einmal die Orientierung verlieren. An den Geschäften und Imbissbuden prangen fremdartige Schriftzeichen. Die meisten Frauen tragen Kopftuch, viele Männer einen Vollbart. Auf den Straßen wird vorwiegend türkisch und arabisch gesprochen. Neukölln ist so ein Stadtteil. Teile des Bezirks gelten als das, was man wohl am besten als „Ghetto“ bezeichnet. Ghetto in diesem Sinn meint einen abgeschlossenen Bereich, der in sich kulturell oder ethnisch homogen ist, der sich aber genau darin massiv von der Umgebung unterscheidet.

Warnendes Beispiel: Molenbeek

Ein Ghetto und seine Umgebung haben nicht viel miteinander zu tun, hier herrschen eigene Gesetze, Regeln, Sprachen. Es ist ein Stadtteil, in dem vielfach türkisch oder arabisch, rumänisch oder bulgarisch statt deutsch gesprochen wird, in dem weit überdurchschnittlich viele Menschen arbeitslos sind und von Sozialhilfe leben, Häuser verfallen und niemand investiert – außer die eigene Stadtverwaltung mit eher hilflosen Sozialprogrammen. Ein Ghetto ist das Gegenteil von Integration – ist Isolation.

Besonders brisant ist dieses Thema, seit man weiß, dass die Paris-Attentäter zum großen Teil aus Brüssel-Molenbeek stammen und dort zu salafistischen Terroristen wurden. Molenbeek gilt als arabisch-moslemisches Ghetto, über das der Staat die Kontrolle verloren hat. Abgeschottet von der Außenwelt, gedeihen offenbar speziell in Ghettos mit moslemischer Mehrheitsbevölkerung islamistische Extremisten.

Schauplatz von Banden-Kämpfen

In Neukölln leben 328.000 Einwohner, davon beziehen 78.000 Sozialhilfe. 41 Prozent haben einen Migrationshintergrund, 15,2 Prozent sind arbeitslos. Das Viertel hat einerseits einen Ruf als linksautonomer und Multikulti- Stadtteil. Andererseits gibt es zahlreiche Drogendelikte, teilweise ganz offen in der U-Bahn, Touristen werden in düsteren Ecken überfallen. In den letzten Jahren sind massiv Schwarzafrikaner zugezogen, daraus entwickeln sich oft gewaltsame Konflikte mit den „eingesessenen“ Türken der zweiten und dritten Generation.

Als am 12. April die Polizei in Neukölln acht Haftbefehle gegen Mitglieder eines kriminellen arabischen Clans vollstrecken wollte, warf die Aktion ein Schlaglicht auf die Lage im Stadtteil: Die Beamten mussten zur Sicherheit gleich mit 220 Mann anrücken, darunter 60 SEK-Beamte mit Schutzanzügen, Helmen, Masken und schweren Waffen. Vorgeworfen wird den Festgenommenen Anstiftung zu einem Auftragsmord, ein spektakulärer Raub im Luxuskaufhaus KaDe-We sowie illegaler Waffenbesitz. Der frühere Neuköllner Bezirksbürgermeister, Heinz Buschkowsky (SPD), sprach von sieben kriminellen arabischen Clans im Stadtteil Neukölln mit eigenen Netzwerken, die untereinander Revierkämpfe führten. „Da wird vor Ort schon dafür gesorgt, dass jeder weiß, wer in welcher Straße das Sagen hat“, so Buschkowsky.

Geringe Integrationsbereitschaft

Der innenpolitische Sprecher der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Robbin Juhnke, hat seinen Wahlkreis in Neukölln-Süd. Er beschreibt für den „Bayernkurier“ die Situation folgendermaßen: „Neukölln ist ein sehr heterogener Bezirk: Im innerstädtischen, durch Altbauten geprägten Norden ist er durch einen starken Anteil von vor allem türkisch- und arabischstämmigen Einwohnern gekennzeichnet. Insbesondere in diesen Gruppen ist die Integrationsbereitschaft häufig sehr gering ausgeprägt.“ Das beginne bei der mangelnden Beherrschung der deutschen Sprache, so der CDU-Innenpolitiker aus Neukölln: „Durch die Vielzahl an Landsleuten, Satelliten- TV aus der Heimat und eine landsmännische Infrastruktur gibt es nur geringe Anreize, die deutsche Sprache vorrangig und vollkommen zu erlernen.“ Tradition, gepflegte kulturelle Unterschiede und eine gelernte Diskriminierungsopferrolle führten zu einem Verharren in der Parallelgesellschaft. „Diejenigen, denen die Integration trotzdem gelingt, ziehen weg, wenn die Kinder schulpflichtig werden, sie werden durch beispielsweise traditionell erzogene Ehefrauen aus der Türkei ersetzt“, berichtet Juhnke.

Den Ausgangspunkt der Fehlentwicklung erkennt der CDU-Politiker in Fehlern der Ansiedlungspolitik in den „frühen Gastarbeiterjahren“ sowie in der typisch grünen „Multikulti-Romantik“: „Die Probleme haben sich durch eine zu starke Ansiedlung an einer Stelle und zu großzügige Sozialleistungen, die dazu noch eine Integrationsverweigerung nicht sanktionieren, verfestigt. Für eine Problemlösung muss man vor allem an Letzterem ansetzen, um eine Hartz-IV-Karriere plus Schwarzarbeit von vornherein zu unterbinden.“

Kohle-Krise brachte den Absturz

Das zweitbekannteste bundesweite Symbol für gescheiterte Integration und türkisch-arabische Ghetto-Bildung ist Duisburg-Marxloh, im Norden der Ruhrgebietsmetropole. Von den 20.000 Einwohnern haben zwei Drittel (66 Prozent) einen Migrationshintergrund, die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent, genau ein Drittel der Einwohner (33 Prozent) lebt von Sozialhilfe. In der bis dato beliebten Wohn- und Einkaufsgegend siedelten sich während der Boomjahre der 1960er-Jahre erste türkische Gastarbeiter an, die in den Zechen und Stahlhütten malochten. Die Mieten sanken, viele Deutsche zogen weg. Den richtigen Absturz erlebte Marxloh durch die Krise der Kohle- und Stahlindustrie ab Ende der 1980er-Jahre: Mit dem sozialen Abstieg wuchs die Kriminalität. Mittlerweile kontrollieren arabische Familienclans auch Duisburg-Marxloh, stellte die Polizei vor einigen Monaten in einer Analyse fest. Straßenkriminalität, Prostitution, Drogengeschäfte, Gewaltexzesse und überforderte Behörden führen zu rechtsfreien Räumen. Zuletzt sind wegen der niedrigen Mieten auch noch 4.000 Roma aus Bulgarien und Rumänien zugezogen.

Das Entstehen des Ghettos in Duisburg-Marxloh steht stellvertretend für die Entwicklung vieler früherer Arbeiterquartiere im nördlichen Ruhrgebiet und darüber hinaus in vielen Industriestädten in ganz Deutschland, mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Bayern. Weiteres Beispiel: Am östlichen Ende des Ruhrgebiets, in Dortmund-Nord, leben 55.000 Menschen. Davon haben mehr als zwei Drittel einen Migrationshintergrund, die Arbeitslosenquote beträgt 25 Prozent, 18.000 der Einwohner leben von Sozialhilfe: satte 33 Prozent. Im Norden Dortmunds, unweit des Hafens und rund um den legendären Borsigplatz, der Geburtsstätte von Borussia Dortmund, haben sich – ähnlich wie in den anderen Ruhrgebietsstädten – in den 1960er-Jahren zunächst die Gastarbeiter angesiedelt. Dasselbe Muster wie in Duisburg-Marxloh: Die Mieten sanken, die Deutschen zogen weg, auch hier kam der soziale Niedergang mit der Krise der Montan- und Schwerindustrie.

Drogenhandel und Prostitution

Ab den 2000er-Jahren standen Drogenhändler und Prostituierte an den Straßen, die Kriminalitätsrate explodierte. Zuletzt kamen auch hier Roma aus Rumänien und Bulgarien hinzu sowie Schwarzafrikaner, beide Gruppen verschlimmerten jeweils die Kriminalität. Doch die CDU im Dortmunder Stadtrat will den Stadtteil nicht aufgeben. Das betont der Fraktionsvorsitzende Ulrich Monegel im Gespräch mit dem „Bayernkurier“. „Klar, die Dortmunder Nordstadt hat viele Probleme“, sagt Monegel, „aber ein Ghetto ist es sicher nicht.“ Heute sei der Stadtteil „geprägt durch einen hohen Anteil an Migranten, die sich aufgrund günstiger Mieten hier gerne niederlassen“. Durch den Zuzug der Roma aus Rumänien und Bulgarien sei ein großer Straßenstrich entstanden – mitsamt der typischen begleitenden Kriminalität: Gewalt, Überfälle, Raub, Drogen. Die Prostitution konnte zurückgedrängt werden, so der CDU-Fraktionschef. „Die Schließung des Straßenstrichs war die einzig richtige Lösung, das Kippen des Quartiers zu stoppen.“

Heute nennt der Dortmunder CDU-Politiker als größtes Problem der Nordstadt den offenen Drogenhandel, „konzentriert rund um den Borsigplatz und fest in schwarzafrikanischer Hand“. Monegel: „Der hohe Kontrolldruck durch Polizei und Ordnungsbehörden ist gut und richtig und muss bleiben. Wir werden den Bezirk nicht aufgeben, keinen Platz und keine Straße.“

Rückzug der Ordnungsmacht

Die Versäumnisse der Vergangenheit lassen sich, wenn überhaupt, nur mit enormem Aufwand beheben. Verfehlte Siedlungs- und Baupolitik, häufig Hochhaussiedlungen wie in Berlin-Neukölln, Hamburg-Eidelstedt, Bremen-Huchting oder Köln-Chorweiler, das Aufkommen ethnischer, kultureller und sprachlicher Parallelgesellschaften, zuerst türkische, heute türkische und arabische, sinkende Mieten, verfallende Häuser, Wegzug der Deutschen und aller Zuwanderer, die sich integrieren und sozial aufsteigen wollen, das Aufkommen mafiöser, ethnisch klar umrissener Clans – all das führt zum schleichenden Rückzug des Staates als Ordnungsmacht.

Neue Fehler in der Flüchtlingspolitik

Und viele Städte sind gerade dabei, die alten Fehler zu wiederholen: Unweit von Berlin- Neukölln liegt das Tempelhofer Feld. Dort leben heute schon 1.700 Flüchtlinge, die Stadt Berlin will dort bis zu 7.500 Flüchtlinge unterbringen. In Duisburg-Marxloh entsteht gerade eine Containersiedlung für 600 Flüchtlinge. In der Dortmunder Nordstadt leben 450 Flüchtlinge. Für die Stadtplaner sind Problemviertel offenbar ein willkommener Ort, um die Flüchtlinge abzuladen und die gutbürgerlichen Viertel nicht zu belasten. Doch so drängt man die Flüchtlinge gleich von vornherein in die Parallelgesellschaft. So schafft man Nachschub für die Ghettos in Deutschland.