Umstritten: Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras. (Bild: Imago/Wassilis Aswestopoulos)
Hintergrund

Die Links-Rechts-Regierung von Tsipras muss liefern

Das griechische Parlament hat die von der EU geforderten Sozial-, Renten- und Steuerreformen verabschiedet. Die Geldgeber kamen dem klammen Land dafür etwas entgegen. Das verschafft den Griechen Zeit, gerettet ist der Krisenstaat damit allerdings noch nicht, analysiert die Leiterin der Hanns-Seidel-Stiftung in Athen, Polixeni Kapellou.

Konflikte zwischen Abgeordneten und Ministern innerhalb des Parlaments – Auseinandersetzun­gen zwischen Demonstranten und Polizei außerhalb des Parlaments. Als Beobachter der griechi­schen Politik konnte man in der ersten Maiwoche in Athen leicht den Überblick verlieren. Die Ursa­che ist die innenpolitisch heftig umstrittene Sozial-, Renten- und Steuerreform, welche die Links (Syriza) – Rechts (ANEL) – Regierung unter Führung von Alexis Tsipras dem Parlament nach zweitägiger Beratung am achten Mai 2016 zur Abstimmung vorlegte.

Während die Abgeordneten im Parlament um das zu beschließende Gesetzespaket rangen, hatten sich in Athen vor dem griechischen Parlament („Vouli ton Ellinon“) auf dem Syntagma-Platz tausende Menschen zu Protesten gegen die massiven Rentenkürzungen und Steuererhöhungen versammelt. Nach Schätzungen der Polizei protestierten landesweit bis zu 26.000 Demonstranten dagegen.

Das Gesetzespaket: Steuern rauf, Gehälter und Renten runter

Hintergrund der Sozial-, Renten- und Steuerreform ist das im Sommer 2015 beschlossene „Memoran­dum of Understanding“, das Griechenland mit den europäischen Geldgebern ausgehan­delt hatte, um im Rahmen des dritten Hilfspakets im Gegenzug für Sparauflagen und Reformen neue Kredite zu erhalten (86 Milliarden Euro). Griechenland muss nun nach dem Willen der Gläubi­ger 5,4 Milliarden Euro einsparen, um neue, dringend notwendige Hilfskredite zu erhalten. Durch Rentenkürzungen in Höhe von 1,8 Milliarden und gleichzeitige direkte und indirekte Steuererhö­hungen von zusammen 3,6 Milliarden Euro will die Regierung die Auflagen der Geldge­ber erfüllen.

Vorausgegangen waren der Abstimmung Wochen zäher Verhandlungen zur Überprüfung der griechi­schen Reformfortschritte, deren positiver Abschluss ebenfalls Bedingung für die Freigabe weiterer Kredite ist. Nach anfänglichem Optimismus – Griechenland überraschte mit einem Primärüber­schuss (Primärhaushalt ohne Kreditkosten) von etwa drei Milliarden, und auch Berlin erwartete einen zügigen Abschluss der Gespräche – wurden die Verhandlungen zunehmend zu einer Hängepartie.

Der „springende Punkt“: Präventivmaßnahmen

Für große politische Kontroversen sorgte die vor allem vom IWF geforderte vorsorgliche Verabschie­dung von Präventivmaßnahmen, die in Griechenland in Kraft treten sollen, falls Griechen­land die vereinbarten griechischen Haushaltsziele bis 2018 nicht erreichen werde. Die deutsche Auffassung, wonach der IWF unbedingt am dritten Hilfspaket beteiligt werden soll, ver­lieh dieser Forderung zusätzliches Gewicht.

Die Verhandlungen schienen derart festgefahren, dass Ministerpräsident Tsipras in der vergange­nen Woche einen erneuten Griechenland-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs einberu­fen wollte. Eine Forderung, mit der er jäh scheiterte. Sowohl EU-Ratspräsident Donald Tusk als auch Berlin sahen dafür keine Notwendigkeit. Vielmehr seien die offenen Fragen im Kreise der Eurofinanzminister zu lösen.

Vor dem Eurogruppentreffen hatte sich die Lage zugespitzt. Finanzminister Euklidis Tsakalotos bezeichnete die geforderten Präventivmaßnahmen als nicht durchsetzbar. Weder juristisch – da man laut Tsakalotos nach griechischem Recht keinen Einsparbetrag „X“ festlegen könne, falls das Haushaltsziel „Y“ im Jahr 2018 oder 2019 nicht erreicht werde; noch politisch – da die Regierung im Parlament lediglich über eine hauchdünne Mehrheit von drei Stimmen verfüge und der soziale Friede in Griechenland zunehmend in Gefahr gerate. Daraufhin hatte die griechische Regierung als Kompromiss einen Mechanismus vorgeschlagen, nach dem die Staatsausgaben automatisch gekürzt werden würden, sollte Griechenland seine vereinbarten Haushaltsziele verfehlen.

Die Debatte im Parlament: Verhärtete Fronten

Vor diesem brisanten von Streiks geprägten Hintergrund beriet sich das Parlament am siebten und achten Mai 2016. Es war das erste Gesetzespaket seit dem neuen Memorandum of Understan­ding vom Sommer 2015, das die SYIRZA-ANEL-Koalition dem Parlament vorlegte, obwohl sie doch mit völlig anderen Versprechungen angetreten war. Seit 2010 wurden, vor allem unter Führung der Nea Demokratia, schmerzhafte, aber notwendige Strukturreformen durchgeführt, was soziale Verwerfungen zur Folge hatte, die nach mehreren Neuwahlen die derzeitige Links-Rechts-Regierung ins Amt spülten.

Ministerpräsident Tsipras verteidigte im Parlament sein Gesetzespaket. Ohne weitreichende Refor­men könne das griechische Rentensystem nicht überleben, so Tsipras. In der Tat kommen derzeit etwa 3,6 Millionen Erwerbstätige für 2,7 Millionen Rentner auf. Jeder Vierte über 65 ist von Altersarmut bedroht, während die Arbeitslosigkeit in Griechenland bei 25 Prozent – bei den Jugendlichen gar 52 Prozent – liegt. Auch das Durchschnittseinkommen der Griechen sank seit Anfang der Krise um 40 Prozent.

Tsipras verteidigte die Maßnahmen und beteuerte, die Rentenreform werde dazu beitragen, dass Griechenland bald wieder auf eigenen Füßen stehen könne und so auch den Pensionären zugute­komme. Gleichzeitig beschuldigte er die Opposition, keine konstruktiven Gegenvorschläge unterbrei­tet zu haben. Ein Vorwurf, gegen den sich der neue Vorsitzende der Nea Demokratia (ND), Kyriakos Mitsotakis, vehement wehrte – hatte er doch auf dem zehnten außerordentlichen Parteitag der ND kürzlich eine „erweiterte soziale Vereinbarung der Wahrheit“ gefordert. Die Regierung Tsipras sei die unfä­higste und gefährlichste Regierung seit Einführung der Demokratie in Griechenland, so Mitsota­kis in seiner leidenschaftlichen Parlamentsrede, eine Regierung, die die Mittelklasse verar­men lasse, so Mitsotakis weiter. Aber es gebe einen anderen Weg, es gebe einen Weg der Hoffnung. An Tsipras gewandt fügte er hinzu: „Sie sind kein Linker. Sie sind ein Opportunist, der alles dafür tut, um an der Macht zu bleiben“. Die Fronten waren also verhärtet, was sich wiederum im Abstimmungsergebnis widerspiegelte: Alle 153 Abgeordneten der Regierung stimmten für die Sozial-, Renten- und Steuerreform, während die Opposition ebenfalls geschlossen dagegen stimmte.

Vor dem Eurofinanzministertreffen: Gestärkte Verhandlungsposition

Mit dem verabschiedeten Sozial-, Renten- und Steuerpaket, das Finanzminister Tsakalotos als Zeichen der griechischen Reformbereitschaft im Gepäck hatte, machte er sich auf den Weg nach Brüssel, wo am 9. Mai 2016 das mit Spannung erwartete Treffen der Eurofinanzminister stattfand. Dort erhoffte er sich – gestärkt durch die erfolgreiche Parlamentsabstimmung – neben dem positi­ven Abschluss der laufenden Überprüfung zweierlei:

Einerseits eine Erklärung der Eurofinanzminister, welche das Vertrauen der Märkte und Investo­ren in Griechenlands Wirtschaft wiederherstellen sollte. Andererseits Verhandlungen über Schuldener­leichterungen für Griechenland. Insbesondere IWF-Chefin Lagarde hatte letzteres in einem Brief gefordert, um die Schuldentragfähigkeit Griechenlands wiederherzustellen. Andern­falls würde sich der IWF nicht am dritten Hilfspaket beteiligen.

Dass gerade der IWF danach ruft, überrascht nicht, da der Fonds laut seinen Statuten nur Gelder vergeben darf, wenn die Schuldentragfähigkeit eines Landes gewährleistet ist. Nur durch Wachs­tum alleine könne Griechenland diese vermutlich nicht erreichen, so die Annahme des IWF, die bei einer Bruttoverschuldung von 176,9 Prozent des BIP im Jahre 2015 (Eurostat) durchaus als berechtigt erscheint. Auch müsse die Vereinbarung mit der EU, bis 2018 einen Haushaltüber­schuss von 3,5 Prozent des BIP zu erreichen, auf 1,5 Prozent gesenkt werden, so Lagarde in dem Brief.

Nach dem Eurofinanzministertreffen: Nur eine Verschnaufpause

Die Ergebnisse des Gipfels wertete die griechische Regierung als Erfolg, wurden doch von Seiten der europäischen Geldgeber neue Hilfskredite sowie Schuldenerleichterungen in Form von Laufzeitver­längerung der Kredite zu günstigeren Zinsen in Aussicht gestellt. „Wir haben aber noch viel Arbeit zu erledigen, die Liquiditätslage wird angespannter“, so ESM-Chef Klaus Regling.

Auch die griechische Regierung begrüßte die Verhandlungsergebnisse, insbesondere im Hinblick auf die zuvor geforderten Präventivmaßnahmen, bei denen die Geldgeber Griechenland Zugeständ­nisse machten. „Die griechische Regierung und die drei europäischen (Geldgeber-) Instituti­onen glauben daran, dass wir diesen Mechanismus nicht benötigen werden“, gab sich Finanzminister Euklidis Tsakalotos nach dem Treffen zuversichtlich.

Die Ergebnisse des Eurogruppentreffens am neunten Mai 2016 geben dem Land eine kurze Verschnauf­pause und lassen eine vorsichtig optimistische Bewertung zu. Über den Berg, geschweige denn gerettet, ist Griechenland noch lange nicht. Konkrete Beschlüsse werden erst am 24. Mai 2016 beim nächsten regulären Treffen der Eurofinanzminister gefasst.