Eigentlich wollte Griechenlands größte Oppositionspartei, die konservative Nea Dimokratia, am Sonntag, 22. November, einen neuen Parteivorsitzenden wählen oder zumindest den notwendigen ersten Wahlgang dafür abhalten. Die vier Kandidaten − der amtierende Interimsvorsitzende Evangelos Meimarakis sowie die Fraktionssprecher Adonis Georgiadis und Kyriakos Mitsotakis, ferner der Regionalgouverneur von Zentralmakedonien, Apostolos Tzitzikostas − erwarteten nach einem zweimonatigen, teilweise erbittert geführten parteiinternen Wahlkampf nunmehr die Entscheidung. Die Partei ließ bereits verlauten, dass sie angesichts der Regierungsschwäche von Tsipras nunmehr in Gestalt ihres neuen Vorsitzenden den künftigen Premier Griechenlands präsentieren würde. „Es wird ein Festtag der Nea Dimokratia“, versprach Parteisekretär Andreas Papamimikos.
Absage am Wahltag
Hierzu erhielt die Firma „Infosolutions“ von der Nea Dimokratia den Auftrag, ein elektronisches Betriebssystem für die Erfassung und Auszählung der Stimmen bereitzustellen. Gegen 10.00 Uhr am Sonntagmorgen erfuhren die Griechen dann, dass die Firma „Infosolutions“ erklärte, sie sehe sich nicht in der Lage, die Wahlen ordnungsgemäß durchzuführen.
Das wird ein Festtag für die Nea Dimokratia.
Parteisekretär Andreas Papamimikos
Bis dahin hatten jedoch in den ab 7.00 Uhr morgens geöffneten Wahllokalen schon viele engagierte Helfer den Wählern die Stimmabgabe auch ohne Computerunterstützung, sozusagen „per Hand“, ermöglicht. Die Gebühr für die Wahl betrug drei Euro. Dieses Verfahren war den Verantwortlichen jedoch zu unsicher, weshalb sie den Abbruch der Wahlen anordneten. Dieses Desaster hatte ein Internetportal bereits am Samstagabend vorausgesagt, nur wollte es niemand glauben.
Betriebssystem für 750.000 Euro − weder vorher in Betrieb genommen, noch überhaupt getestet.
Die Firma „Infosolutions“ erklärte sich umgehend bereit, der Partei die kassierten Vorschüsse zurückzuzahlen. Das Unternehmen hatte bei einer Ausschreibung als preiswertester Anbieter den Zuschlag bekommen. Das Auftragsvolumen soll bei 750.000 Euro gelegen haben. Offenbar wurde aber das fragliche Betriebssystem weder vorher in Betrieb genommen noch überhaupt getestet. Die Nea Dimokratia hat angeblich nun auf Schadensersatz in Millionenhöhe geklagt.
Rücktritt des Interimsvorsitzenden
Die Anhänger der Nea Dimokratia reagierten mit Wut und Enttäuschung auf die Absage der Wahl. Innerhalb der Partei kam es zu heftigen Reaktionen. Alle verlangten den Rücktritt des Parteisekretärs und Vorsitzenden des Wahlkomitees Andreas Papamimikos. Apostolos Tzitzikostas und Kyriakos Mitsotakis forderten zudem den sofortigen Rücktritt des amtierenden Parteivorsitzenden Meimarakis, weil sie ihm die politische Verantwortung für „den schwärzesten Tag der Partei“ zuschreiben.
Interims-Parteichef Evangelos Meimarakis tritt zurück, will aber weiterhin für den Parteivorsitz kandidieren.
Jetzt schimpft jeder gegen jeden. Die Mehrheit der Griechen zeigte sich über den Fauxpas äußerst amüsiert. Wie es nun mit der Nea Dimokratia weitergeht, ist unklar. Sechzehn Parlamentarier der Partei forderten eine außerordentliche Fraktionssitzung. Der bisherige Interimsvorsitzende Evangelos Meimarakis kündigte am gleichen Tag nach anfänglichem Zögern seinen Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden an, will aber weiterhin für den Parteivorsitz kandidieren.
Zum vorläufigen Nachfolger wurde der bisherige Geschäftsführer der parlamentarischen Fraktion, Jannis Plakiotakis, von Meimarakis ernannt. Selbst dieses Verfahren gestaltete sich schwierig und ist innerhalb der ND nicht unumstritten: Zunächst hatte Meimarakis Jannis Plakiotakis nur zum Vizeparteiführer ernannt. Dann trat er zurück und machte seinen Posten für Plakiotakis frei.
Die Rolle von Ex-Parteichef Antonis Samaras
Für die schlechte Stimmung innerhalb der Partei spricht auch die Tatsache, dass Meimarakis zur Sitzung der Parlamentsfraktion am Dienstag 24. November − zwei Tage nach dem Wahlfiasko − nicht erschienen war. Ebenso wie die beiden früheren Ministerpräsidenten Antonis Samaras und Kostas Karamanlis. Zuvor hatte Meimarakis einen Teil der Schuld am gescheiterten Urnengang Samaras zugeschoben. Er erklärte, dass jene Firma, die das elektronische System für den Urnengang zur Verfügung stellte, von Samaras vorgeschlagen worden sei. Das Versagen dieses Systems war dafür verantwortlich, dass die Wahl abgebrochen werden musste.
Ex-Ministerin Dora Bakoyanni deutete politische und wirtschaftliche Interessen an, deren Verfechter der ND Schaden zufügen wollten.
Damit aber nicht genug! Die frühere Ministerin Dora Bakoyanni schloss in einem Fernsehgespräch eine Sabotage des Urnengangs vom Sonntag nicht aus. Sie deutete politische und wirtschaftliche Interessen an, deren Verfechter der ND Schaden zufügen wollten. Bakoyanni selbst hatte 2009 erfolglos für den Vorsitz der Partei kandidiert. Indirekt brachte sie auch die Möglichkeit zum Ausdruck, dass es damals zu Wahlfälschungen gekommen sein könnte. Ihr Gegenkandidat, der damals als Sieger aus diesem Rennen hervorging, war Antonis Samaras. Nachdem er die Parlamentswahlen im Jahr 2012 für sich entscheiden konnte, regierte er das Land bis Ende Januar 2014. Abgelöst wurde er vom jetzigen Premier Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken „Syriza“.
Nea Dimokratia vor der Spaltung?
Die zweitgrößte Partei des Landes erlebt die tiefste Krise ihrer Geschichte und wird von der Spaltung bedroht. Man spricht sogar vom möglichen Ende der Ära der Nea Dimokratia. Es besteht die Gefahr, dass die ohnehin innerlich zerrissene Partei nun auseinanderbricht. „Vor einem Auseinanderbrechen habe ich keine Angst, denn ich sehe es”, sagt dazu Yiannis Varvitsiotis, Urgestein der Partei und ihr langjähriger stellvertretender Vorsitzender.
Die linksradikale Regierungspartei Syriza bedauert die Probleme der größten Oppositionspartei, weil das Land eine verantwortungsbewusste Opposition dringend nötig habe.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Die amtliche Presseerklärung von Syriza „bedauerte“ die Probleme der größten Oppositionspartei, weil das Land eine verantwortungsbewusste Opposition dringend nötig habe.
Über ein mögliches Auseinanderbrechen der ND wird in den politischen Kreisen Athens heftig diskutiert. Mehrere Szenarien werden erörtert. Sie reichen von der Schaffung einer neuen Rechtspartei bis hin zur Entstehung einer Partei der liberalen Mitte. „Nur ein verstärktes politisches Engagement aller Parteimitglieder kann das Trauma der ND heilen. Das Land braucht eine starke und geeinte Mitte-Rechts Partei“, so lautet die Botschaft von Kyriakos Mitsotakis.
Jetzt sucht die Partei nach einer neuen, zuverlässigen Informatikfirma, damit die Urwahl möglichst bald doch noch stattfinden kann.