NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) weist die Verantwortung für die Fehlleistungen der Polizei während der Übergriffe auf Frauen in Köln allein der dortigen Polizeiführung zu. (Foto: Imago/Sven Simon)
Übergriffe von Köln

Jäger will nichts gewusst haben

In einer achtstündigen Marathonsitzung musste NRW-Innenminister Jäger dem Landtag Rede und Antwort zu den schrecklichen Übergriffen von Köln in der Silvesternacht stehen. Was wusste das Ministerium? Warum wurde erst so spät reagiert? Warum sprach die Polizei noch am Neujahrsmorgen von einer "friedlichen Nacht"? Geht es nach dem SPD-Politiker, trifft ihn und sein Ministerium keinerlei Schuld.

Vier Stunden waren für die Befragung angesetzt. Am Ende musste sich Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) mehr als acht Stunden lang den Fragen des Untersuchungssauschusses des NRW-Landtags zu den Übergriffen von Köln in der Silvesternacht stellen.

Jäger: Vorfälle „nicht vorhersehbar“

Dabei stritt der SPD-Politiker – wie bereits vorab angekündigt – jegliche Verantwortung für sich selbst oder sein Ministerium ab. Das Ausmaß der Gewalttaten von Köln sei für die Regierung anfangs nicht zu erkennen gewesen, betonte Jäger. „Bis zum 3. Januar konnte keiner erahnen, was dort geschehen ist“, behauptete der Minister. Selbst der vor Ort verantwortlichen Kölner Polizeibehörde sei vor dem 4. Januar die Dimension nicht klar gewesen, sagte Jäger als Zeuge im sogenannten „Untersuchungsausschuss Silvesternacht“ des Düsseldorfer Landtags.

Was wusste das Ministerium – und wann?

In der Silvesternacht waren Hunderte Frauen am Kölner Hauptbahnhof von ausländischen Männergruppen drangsaliert, beraubt und belästigt worden – auch Vergewaltigungen wurden angezeigt. Ein großer Teil der Beschuldigten ist nach Erkenntnissen der Ermittler nordafrikanischer Herkunft. Erst in den Tagen nach der Silvesternacht war das wahre Ausmaß der Vorfälle bekannt, und gegen das Innenministerium Kritik laut geworden. Einer der Hauptvorwürfe: Das Ministerium soll Fakten zum Hergang und der Aufarbeitung, insbesondere die Nationalität der Täter, unterschlagen und vertuscht haben. Unter anderem hatte die Kölner Polizei behauptet, vom Innenministerium angewiesen worden zu sein, bestimmte Details zu den Vorgängen nicht zu veröffentlichen. Unter anderem sei der „Wunsch des Ministeriums“ geäußert worden, in einer Mitteilung das Wort „Vergewaltigung“ zu streichen.

Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts – und das von einem Mann namens Jäger.

Dieser Anschuldigung trat Jäger energisch entgegen: Es habe später keine Vertuschung bei der Kommunikation gegeben, behauptete der Minister. Ein erster Überblick sei erst am 4. Januar möglich gewesen: „Wichtig ist mir, dass sich diese schrecklichen Bilder nicht wiederholen, dass Frauen nicht noch einmal solch eine Demütigung über sich ergehen lassen müssen.“ Zumindest er selbst sei über derartige Aktionen nicht informiert gewesen, ließ der Minister wissen. Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts – und das von einem Mann namens Jäger.

Jäger verstrickt sich in Widersprüche

Doch ganz astrein scheint die Argumentation Jägers nicht zu sein: Denn wie mehrere Ausschussmitglieder berichteten, verstrickte sich der SPD-Politiker bisweilen in Widersprüche. So hatte Jäger behauptet, die sexuellen Übergriffe seien in dieser organisierten Version ein „neues Phänomen“ in Europa, das man vor den Vorkommnissen keinesfalls hätte vorausahnen können. Dieser Einschätzung steht allerdings die vermeintliche Gelassenheit gegenüber, mit der Jäger reagierte, als er erstmals über das Drama von Köln informiert worden war. Damals habe er eine sogenannte „WE-Meldung“ erhalten – WE steht für „Wichtiges Ereignis“. Diese hätte ihn zwar „schockiert“ – die Meldung hätte aber nicht so aus der Masse an Informationen herausgeragt, dass der Minister aktiv geworden wäre.

Auch die von Jäger bemängelte „mangelnde Kommunikation“ mit den Sicherheitsbehörden in Köln scheint eine Schutzbehauptung zu sein. Jägers eigener Ministerialdirigent Wolfgang Düren – im Ministerium zuständig für Polizeiangelegenheiten – hatte schon im Frühjahr von einem intensiven Austausch zwischen Behörden und Ministerium in der Silvesternacht gesprochen.

Als Innenminister ungeeignet

Den bereits erwähnten Vorwurf, das Innenministerium habe die Polizei angewiesen, das Wort „Vergewaltigung“ aus einer Mitteilung zu streichen, wollte Jäger ebenfalls nicht gegeben haben. Vielmehr zweifelte der Minister generell an, dass irgendjemand aus seinem Hause eine derartige Order gegeben habe. Damit liegt er aber nicht auf der Linie seiner Mitarbeiter: Diese hatten nämlich schon im Vorfeld schriftlich versichert, man habe mit den Behörden in Köln nicht einmal telefoniert. Obendrein lässt Jäger damit erneut seine Polizeibeamten im Regen stehen, ja er bezichtigt die Zeugen dieses „Wunsches“ sogar der Lüge. Ein Innenminister, der sich in strittigen Fällen nicht bis zur gerichtlichen Klärung des Sachverhalts vor seine Polizisten stellt, ist aber ungeeignet für dieses Amt – und macht sich bei seinen Untergebenen unbeliebt. Schon mit seiner frühzeitigen Schuldzuweisung an die Kölner Polizei wurde klar, dass für Jäger seine eigene Karriere wichtiger ist, als der Schutz seiner Beamten vor möglicherweise unberechtigten Vorwürfen.

Unabhängig vom Ergebnis: Imageschaden für den Innenminister

So schwer es sein mag, die wahrlichen Verantwortlichen für die unzähligen Fehlleistungen rund um die Übergriffe von Köln zu ermitteln – für Ralf Jäger ist der politische Schaden schon jetzt riesig. Zahlreiche Medien werten den Auftritt des Ministers vor dem Untersuchungssauschuss als Beleg dafür, dass der SPD-Mann zumindest sein Ministerium nicht im Griff hat. Anders ist die uneindeutige Haltung Jägers, gerade bei der Frage nach einer Einflussnahme auf Polizeimitteilungen, nicht zu erklären.

Trotz der achtstündigen Sitzung ist die Arbeit Jägers mit dem Untersuchungsausschuss noch nicht beendet. Der Ausschussvorsitzende, Peter Biesenbach von der CDU, kündigte an, dass man Jäger „noch einige Male“ als Zeugen laden werde.