Dresche für die Bauern: Getreide-Ernte in Bayern. Doch die Neuaussaat von Teilen der Ernte lassen sich die Saatgut-Hersteller teuer bezahlen. Nun drohen sie mit einer Klagewelle. (Foto: Bayerischer Bauernverband)
Landwirtschaft

Der Keim des Streits auf Bayerns Äckern

Saatgut-Hersteller drohen den Bauern mit einer Klagewelle. Denn rund 31.000 Höfe bezahlen keine Lizenzgebühren für den so genannten "Nachbau". Dabei verwenden sie seit Jahrhunderten einen Teil ihrer Getreideernte für die Saat im Frühjahr. Agrar-Rebellen wie der Unterfranke Hubert Handel widersetzen sich den Millionen-Forderungen der Industrie - bislang erfolgreich.

Der Acker-Rebell aus dem Landkreis Main-Spessart sieht eine moderne Form der Bauernknechtschaft heraufdämmern. „Enteignung, Entrechtung“, schimpft Hubert Handel, „die Agrarkonzerne diktieren dem Volk. Das läuft auf eine neue Leibeigenschaft hinaus.“ Doch der Landwirt aus Steinfeld nördlich von Würzburg will sich dem Diktat der Unternehmen nicht beugen. Seit fast zwanzig Jahren bekämpft Handel die finanziellen Ansprüche, die große Saatguthersteller an kleine Bauern wie ihn stellen.

Die Agrarkonzerne diktieren dem Volk. Das läuft auf eine neue Leibeigenschaft hinaus.

Hubert Handel

Die Unruhe unter bayerischen Landleuten wächst derzeit. Denn der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) droht, Millionen Euro für entgangene Lizenzgebühren einzutreiben. Sprecherin Ulrike Amoruso-Eickhorn kündigt an: „Wenn gezahlt und gemeldet wird, gibt es keine Klagewelle.“ Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn sich weiterhin rund 31.000 deutsche Höfe weigern, Lizenzgebühren für den so genannten Nachbau zu entrichten, kommt die Klagewelle.

Körner für Millionen

Seit Generationen legen Getreidebauern zwischen Spessart und Karwendel jeden Herbst einen Teil ihrer Ernte zurück, um die Körner im nächsten Frühjahr wieder auszusäen. Doch seit 1998 das Sortenschutzgesetz in Kraft getreten ist, schulden die Landwirte dem Hersteller ihres ursprünglichen Saatguts für diesen Nachbau ein Entgelt. Dieses versuchen die Produzenten mittlerweile immer rigoroser auf dem Gerichtsweg durchzusetzen. Sie kalkulieren, dass ihnen durch Widerständler wie Bauer Handel jährlich bis zu 13 Millionen Euro entgehen. „Leider wird die Tatsache, dass für die Nutzung der Ideen und des züchterischen Know-hows Lizenzgebühren gezahlt werden müssen, nicht von allen Kunden akzeptiert“, jammert BDP-Chef Carl-Stephan Schäfer.

Das Schreckgespenst Monsanto

Hintergrund ist, dass international agierende Agrarfirmen wie die gefürchtete US-Company Monsanto mittlerweile Patentrechte an vielerlei Nutzpflanzen halten. Durch gentechnische Veränderung oder Weiterentwicklung generieren sie neues Saatgut, das sie nicht nur einmalig verkaufen, sondern auch durch jährliche Lizenzzahlungen lukrativer machen wollen. Das Sortenschutzgesetz nimmt jedoch Kleinbauern, die etwa in Bayern weniger als 20 Hektar Acker bewirtschaften, von der Nachbaugebühr aus. Auch Privatleute müssen für die Wiederverwendung von Pflanzensamen nicht bezahlen.

Für den Unterfranken Handel jedoch würde die Lizenz rund 15 Euro je Hektar betragen. Wieviel Land er bepflanzt, will er nicht verraten. Denn er befürchtet, von Saatgutherstellern finanziell in Anspruch genommen zu werden. Schon einmal hat ihn eine Hamburger Anwaltskanzlei im Auftrag der Saatgut-Treuhandverwaltung bis vor das Münchner Landgericht gebracht, weil er seiner Auskunftspflicht zum Nachbau nicht nachgekommen sei. „Die Kameraden gehen da radikal vor“, grollt Handel. Vor dem Kadi allerdings mussten die Advokaten im vergangenen Jahr einräumen, dass er den ihm zugesandten Fragebogen sehr wohl ausgefüllt und zurückgefaxt hatte. Bezahlen musste er bislang nicht. Denn offenbar haben die Hersteller das Anrecht auf Bezahlung, aber juristische Schwierigkeiten, es durchzusetzen.

Wer Streit sät, erntet: Fragebögen

Im Februar haben die Treuhänder wieder viele bayerische Bauern mit dem Nachbau-Fragebogen versorgt. Doch was geschieht, wenn ein Landwirt nicht darauf reagiert? Auf Bayernkurier-Nachfrage räumte die für die Aktion zuständige BDP-Mitarbeiterin ein: „Dann erinnern wir ihn noch mal.“ Und wer dann immer noch keinen ausgefüllten Bogen zurückschickt? „Den erinnern wir noch mal.“ Außer gestrenger Mahnungen scheinen betroffene Bauern zunächst nichts zu riskieren.

Das Risiko erwischt zu werden, ist vielleicht nicht sehr hoch. Aber eine Verurteilung wird teuer.

Anton Huber

Der Bayerische Bauernverband rät seinen Mitgliedern jedoch zur Zahlung – dem kommen auch viele freiwillig nach. Seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen Jahr komme ohnehin keiner mehr aus, sagt Anton Huber, Referent für Getreide und Ölsaaten beim Verband. „Das Risiko erwischt zu werden, ist vielleicht nicht sehr hoch. Aber eine Verurteilung wird teuer“, erklärt er. So kämen auf den durchschnittlichen bayerischen Bauern mit 30 Hektar Ackerland Lizenzgebühren von 150 Euro im Jahr zu. Können ihm die Hersteller Unterschleif nachweisen, droht ihm jedoch eine Strafe von bis zu 3000 Euro. Ohnehin treffe die Polarisierung „mächtige Konzerne gegen kleine Landwirte“ nicht immer zu. „Oft stammen auch die Züchterbetriebe aus unserer Region und sind keinesfalls schwerreiche Weltunternehmen wie Monsanto oder Bayer“, versichert Huber.

Renegat Handel jedoch weigert sich grundsätzlich. „Wenn da einer zu uns kommt und kontrollieren will, den schmeiß ich vom Hof. Die wollen den Rechtsstaat aushebeln.“ Er beruft sich auf Gewohnheitsrecht. In dritter Generation baut er Getreide an und züchtet Bullen. Vor Jahrzehnten noch habe man in seiner Region Saatgut von großen Gutsbetrieben erworben und mit dem Nachbau-Saatgut gemischt, um keine „Inzucht“ zu betreiben, erzählt Handel. Mit einer einmaligen Zahlung an den Lieferanten sei alles erledigt gewesen.

Der Weg zum Hybrid

Mit der zunehmenden Patentierung von pflanzlichem Erbgut jedoch kommt die jahrelange Zahlungspflicht. Ohnehin bringt die Agrarindustrie bei Mais, Raps oder Roggen so genannte Hybrid-Sorten auf den Markt, die nur eine Wachstumsperiode lang verwendet werden können. „Dazu verkaufen sie Dünger, Spritzmittel. Wir sind doch sowieso von denen abhängig“, sagt Handel. Bei Weizen oder Gerste jedoch könne man wenigstens noch nachbauen.

Einen Ausweg aus der Zahlungspflicht gibt es für Renegaten wie den Mann aus Steinfeld allerdings: Er könnte die Produkte der Großunternehmen meiden und ältere Saatgut-Sorten verwenden, deren Lizenzzeit abgelaufen ist. „Bei denen ist halt der Zuchtfortschritt nicht gegeben“, gesteht Handel ein. Aber genau den wollen die Hersteller bei ihren neueren Sorten in Umsatz verwandeln. Und das, man muss es klar sagen, mit Recht – nämlich dem Sortenschutz-Recht. „Wahrscheinlich erledigt sich das Ganze aber ohnehin in den nächsten zehn Jahren“, glaubt Handel, „dann gibt es auch Weizen und Gerste bloß noch als Hybrid und wir müssen jedes Jahr neues Saatgut kaufen.“