Brasilien im Aufruhr: Im Bild Rio de Janeiro mit dem Zuckerhut (hinten links) und der weltberühmten Christusstatue im Vordergrund. (Bild: Fotolia/thomathzac23)
Brasilien

Staatskrise vor Olympia

Brasilien steht wenige Monate vor den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro vor einer Staatskrise. Der Oberste Gerichtshof des südamerikanischen Landes gab grünes Licht für eine Abstimmung am Sonntag über eine Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff. Deren Koalitionspartner hat bereits die Regierung verlassen. Seit Wochen demonstrieren Hunderttausende gegen Rousseff.

Die Mehrheit der Richter wies in der Nacht zum Freitag den Antrag zurück, dass Rousseff nicht ausreichend Gelegenheit für ihre Verteidigung bekommen habe. Per Eilantrag hatte die Regierung versucht, das Verfahren vorerst zu stoppen. Das Abgeordnetenhaus kann damit bereits am Sonntag abstimmen: Stimmen zwei Drittel der Mitglieder für eine Fortsetzung des Verfahrens, und anschließend auch noch der Senat mit einfacher Mehrheit, wäre Rousseff zunächst für 180 Tage suspendiert.

Auswirkung auf Olympia

Dann könnte sie zum Beispiel auch nicht am 5. August die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro eröffnen. In der Zeit der Suspendierung würden die Vorwürfe gegen sie intensiv juristisch geprüft, es geht unter anderem um angebliche Tricksereien beim Staatshaushalt. In der Zwischenzeit würde sie Vizepräsident Michel Temer ersetzen. Im Oktober könnte der Senat mit Zwei-Drittel-Mehrheit Rousseff endgültig des Amtes entheben und Tener würde bis Ende 2018 Präsident bleiben.

Seine Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) hat wie vier weitere Parteien mit Rousseff gebrochen, er ist aber weiterhin Vizepräsident. Die ursprüngliche 9-Parteien-Koalition ist so stark geschrumpft, dass die notwendigen 342 von 513 Stimmen am Sonntag im Abgeordnetenhaus erreicht werden könnten. Nach Angaben des Portals „O Globo“ zeichnet sich eine entsprechende Zwei-Drittel-Mehrheit ab. Allerdings gibt es traditionell eine sehr geringe Fraktionsdisziplin, die Regierung versucht einzelne Abgeordnete der Opposition für sich zu gewinnen.

Neue Demonstrationen gegen die grassierende Korruption

Für Sonntag werden in Brasilien neue Demonstrationen von Gegnern und Anhängern Rousseffs erwartet. Vor allem ein milliardenschwerer großer Korruptionsskandal hat die Krise verschärft. Bei mindestens 89 Auftragsvergaben des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Petrobras, dessen Aufsichtsratsvorsitzende Rousseff von 2003 bis 2010 war, an Bauunternehmen sollen Schmiergelder geflossen sein. Gegen dutzende Politiker wird derzeit ermittelt – parteiübergreifend.

Auch Rousseffs Vorgänger und Ziehvater, der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, steht unter Korruptionsverdacht. Die als Befreiungsschlag gedachte Nominierung von Lula als Kabinettschef geriet zum Fiasko. Ein Bundesrichter untersagte, dass er Kabinettschef mit allen Amtsprivilegien werden darf – gegen ihn wird wegen einer möglichen Begünstigung durch einen Baukonzern bei einem Apartment an der Atlantikküste ermittelt. Er wäre in dem Amt besser vor möglicher Untersuchungshaft geschützt, auch wenn Rousseff eine solche Absicht bestreitet. Als Minister mit allen Privilegien wäre nur der Oberste Gerichtshof für Lula zuständig gewesen und nicht mehr der rigoros ermittelnde Richter Sérgio Moro – er führt die Ermittlungen im größten Korruptionsskandal Brasiliens. Moro ordnete auch den Mitschnitt von Telefonaten Lulas an, auch ein Gespräch mit Rousseff wurde publik und an Medien weitergereicht. Es legt den Verdacht nahe, dass Lula nicht nur beim Überwinden der Rezession und politischen Problemen helfen, sondern vor Attacken der Justiz geschützt werden soll. Rousseff sprach von einem beginnenden „Staatsstreich“.

Die Regierung ging gegen die Ablehnung von Lula in die Berufung, die Entscheidung steht aber noch aus. Jedenfalls protestierten Hunderttausende auf den Straßen gegen Lulas Ernennung und im Abgeordnetenhaus gab es tumultartige Szenen.

Wirtschaftskrise belastet Brasilien

Zudem brach 2015 die Wirtschaftsleistung um 3,8 Prozent ein, das Pro-Kopf-Einkommen sank auf 28.876 Reais (7320 Euro). Im Januar waren 9,6 Millionen Menschen arbeitslos. Durch die zusätzliche politische Krise ist das Land nahezu regierungsunfähig, daher wird auch der Ruf nach Neuwahlen immer lauter.

Der IWF hat seine Prognose gesenkt: Neben politischen Unsicherheiten und wachsenden Risiken auf den Finanzmärkten gibt es vor allem Probleme in Schwellen- und Entwicklungsländern. China, Russland und eben auch Brasilien – die einstigen Hoffnungsträger und Wachstumstreiber – sind inzwischen zu Problemländern für die Weltwirtschaft geworden. Der IWF sieht massive Kapitalabflüsse aus diesen Ländern, weil Anleger nach der Finanzkrise inzwischen wieder sicherere Optionen in Industrieländern bevorzugen.

(dpa/avd)