Im Labyrinth der Akten: Magazin-Mitarbeiter Udo Peters sondiert in der Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde von Neubrandenburg Akten des einstigen MfS. (Foto: Imago)
Stasi-Akten

Die Zukunft der DDR-Vergangenheit

Eine Expertenkommission regt die Abschaffung der Stasi-Unterlagenbehörde an. Vor allem in den Außenstellen beantragen immer weniger Menschen Einsicht in ihre Akten. Die Dokumente sollen zwar erhalten bleiben, meist auch am bisherigen Ort. Aber das Amt soll den Status als Sonderbehörde verlieren und bis 2021 organisatorisch ins Koblenzer Bundesarchiv überführt werden. Dagegen regt sich Widerstand.

Rund 111 Regal-Kilometer Akten, dazu 16.000 Säcke voller Aktenschnipsel aus den Reißwölfen der DDR-Staatssicherheit – all das verwalten die 1600 Mitarbeiter der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen. In Zukunft könnte sich für die Behörde, die landläufig lange Zeit nach dem früheren Leiter und heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck benannt wurde, einiges ändern. Eine Expertenkommission unter Vorsitz des vormaligen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, hat Vorschläge dafür erarbeitet – die umgehend auf heftigen Protest von ehemaligen Bürgerrechtlern und Behörden-Mitarbeitern stoßen.

Hände weg von der Stasiunterlagenbehörde!

Ralf Schuler, in der Bild-Zeitung

Nach Böhmers Vorstellungen soll die Stasi-Unterlagenbehörde bis spätestens 2021 ins Koblenzer Bundesarchiv überführt werden, was ihrer Abschaffung entspricht. Die Akten sollen jedoch weiterhin öffentlich zugänglich bleiben, in der Regel auch am bisherigen Ort ihrer Lagerung. In Frage stellt die Kommission allerdings, ob Einsicht an jeder der bisher acht Außenstellen in den ostdeutschen Bundesländern auch weiterhin nötig ist.

Zwar haben seit der Wiedervereinigung rund drei Millionen Betroffene ihre Akte persönlich angesehen. Aber die Nutzung gehe spürbar zurück, sagt Böhmers Kommissionskollege Richard Schröder – nur mehr 7 Prozent der Antragsteller wollten auch selber in den Außenstellen vorbeikommen.

Widerstand auf Landesebene

Nach den Vorschlägen der Kommission soll die Bundesbehörde ihren Status als Sonderbehörde verlieren, ihr Chef nurmehr als „Ombudsmann“ der Stasi-Opfer fungieren. Gegen diesen Bedeutungsverlust wehren sich nun die Verantwortlichen in der Stasiakten-Behörde. Die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Birgit Neumann-Becker, möchte den Status einer Sonderbehörde erhalten. Ihre Brandenburger Kollegin Ulrike Poppe fordert, das Amt weiterzuentwickeln statt es abzuwickeln.

Der Thüringer Beauftragte Christian Dietrich möchte eine bessere Zugänglichkeit der Stasi-Akten erreichen, sowie kürzere Wartezeiten für die Antragsteller. Der Protest der Landesbeauftragten war allerdings erwartbar. Denn die von Böhmer angeregte organisatorische Umgestaltung betrifft speziell die Außenstellen, deren Dienste immer weniger genutzt werden.

Gegen das Vergessen und Verdrängen

Aber auch der Leiter Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, protestierte. Denn der Auftrag der Behörde ist nicht erledigt, gerade im Angesicht sich ausbreitender ostalgischer Verklärung und eines Ministerpräsidenten der SED-Nachfolgepartei „Die Linke“ in Thüringen. Immerhin 62.000 Anträge auf Akteneinsicht wurden allein 2015 gestellt.

Damit wird die 1989 begonnene Tradition der Aufarbeitung beschädigt, das Flaggschiff der DDR-Aufarbeitung versenkt.

Hildigund Neubert

Dazu lassen noch die von der Stasi in letzter Minute geschredderten Akten, die derzeit per Hand und maschinell wieder zusammengesetzt werden, auf weitere prominente Spitzel und Funktionäre der SED hoffen, die bisher ihre Hände in Unschuld wuschen. Nur die Wahrheit kann zudem die Wunden der hunderttausenden Opfer der kommunistischen Diktatur heilen, denn viele warten immer noch auf Rehabilitierung und die Wahrheit. „Ins Bundesarchiv gehören Akten, die nicht mehr aktuell benutzt werden, sondern nur noch für historische Fragestellungen. Die Stasiakten werden aber intensiv für gegenwärtig laufende Dinge wie Rehabilitierung oder die Klärung des persönlichen Schicksals durch Akteneinsicht gebraucht. Die Antragszahlen sprechen für sich“, betonte auch Hildigund Neubert in der „Welt„, die zehn Jahre Stasiakten-Landesbeauftragte in Thüringen war und in der Böhmer-Kommission ein Minderheitenvotum verfasste. Die BStU sei eine „Institution der Freiheit“.

Gefälschte und manipulierte Stasi-Akten im Fall Domaschk

Jüngstes Beispiel nach einem Bericht der Zeitung Welt: Der Fall Matthias Domaschk ist an seinem 35. Todestag wieder eröffnet worden. Eine von der Thüringer Staatskanzlei beauftragte Untersuchungskommission legte ihren Zwischenbericht vor, nach dem der Tod des Unangepassten in einer DDR-Polizeistation kein Selbstmord war, wie seine Verwandten und Freunde, darunter der heutige Leiter der Stasiunterlagenbehörde, Roland Jahn, immer angenommen haben.

Ein Motiv für die Selbsttötung nach gerade mal einem Tag Verhör fehlte vollständig, zumal Domaschk nicht mal von der Stasi etwas nachgewiesen werden konnte. Die MfS-Akten zum „Suizid“ seien verfälscht und manipuliert worden, so die Kommission. Der damals verantwortliche Stasi-Offizier, der das Verhör leitete, musste sich dafür bis heute nur wegen Freiheitsberaubung verantworten und erhielt eine kleine Geldstrafe. Ein Mord jedoch wäre nicht verjährt und nur die Stasi-Akten können hier noch Aufschluss geben.

Mahnmal gegen Unterdrückung

Die Stasiunterlagenbehörde ist aber auch „ein Mahnmal gegen Unterdrückung“ und ein „Archiv des Widerstands“, wie es der Bild-Kommentator Ralf Schuler ausdrückte, und dient darüber hinaus vielen Ländern als Vorbild für die Aufarbeitung von üblen Diktaturen. „Während Albanien das Gesetz gerade adaptiert, schafft Deutschland es ab“, kritisierte Hildigund Neubert. „Hände weg von der Stasiunterlagenbehörde! Wiedervorlage in zehn Jahren“, so Schuler weiter.

Entscheiden muss über die Vorschläge von Böhmers Kommission nun der Bundestag. Hintergrund: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz, das den Umgang mit den Dokumenten der DDR-Staatssicherheit regelt, läuft 2019 aus.

(GD/avd)