Wechselwillig: Das Rathaus im thüringischen Sonneberg. Bild: Imago/Werner Otto
Thüringer Landkreise

Sehnsucht nach Bayern

Eine umstrittene Gebietsreform in Thüringen sorgt dafür, dass sich die Landkreise Sonneberg und Hildburghausen am liebsten dem Freistaat Bayern anschließen möchten, zu dem sie ohnehin enge wirtschaftliche, kulturelle und soziale Beziehungen haben. Der Übertritt, sofern er nicht nur als Drohkulisse wirken sollte, würde aber vor sehr hohen rechtlichen Hürden stehen.

Die süd-thüringische 24.000-Einwohner-Stadt Sonneberg hat Sehnsucht nach Bayern. Aber auch die Landkreise Sonneberg und Hildburghausen drohen, zum Freistaat zu wechseln. Der Auslöser ist eine geplante Gebietsreform der rot-rot-grünen Landesregierung, die für Sonneberger und Hildburghausener vermutlich erhebliche Nachteile mit sich bringen würde. Die Landesregierung von Thüringen will die Zahl der aktuell 17 Landkreise auf nur noch acht reduzieren. Aus Sicht der beiden Landkreise droht im schlimmsten Fall ein Südthüringer Großkreis mit der künftigen Kreisstadt Suhl, genauer eine Zusammenlegung der Landkreise Hildburghausen und Sonneberg mit einem Teil des Kreises Schmalkalden-Meiningen und der Stadt Suhl. Sollte es wie befürchtet kommen, drohten beide Landräte, Christine Zitzmann (parteilos) für Sonneberg und Thomas Müller (CDU) für Hildburghausen, dass man dann nach Bayern wechseln wolle. Neben Lokalpatriotismus geht es natürlich auch um zwei Landratsposten, die verschwinden.

Kein Gespür für die Bürger?

Auch die Noch-Kreisstadt Sonneberg will eigene Wege gehen. Sie hatte kürzlich angekündigt, eine Bürgerbefragung über einen Übertritt nach Bayern zu prüfen. Denn künftig womöglich von der neuen Kreisstadt Suhl aus regiert zu werden, das würde viele Sonneberger an die Zeit in der DDR erinnern – wo man im Bezirk auch von Suhl aus regiert wurde. Jede Form von Föderalismus war den Zentralisten der SED wesensfremd und staatsgefährdend. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum Bodo Ramelow, Ministerpräsident und Linkspartei-, also SED-Rechtsnachfolger-Mitglied, kein Gespür für die eigenen Bürger hat. Das ist natürlich nicht ganz fair, schließlich hatte eine von der schwarz-roten Vorgängerregierung einberufene Expertenkommission die Zusammenlegung beider Kreise mit Suhl und einem Teil von Schmalkalden-Meiningen vorgeschlagen. Im September 2015 hatte dann aber der neue Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) die Leitlinien für die Gebietsreform vorgestellt – mit dem Ziel, Geld im Verwaltungsbereich einzusparen. Danach soll künftig kein Landkreis weniger als 135.000 Einwohner haben. Die Kreise Sonneberg mit rund 56.000 Einwohnern und Hildurghausen mit 64.000 verfehlen diese Vorgabe deutlich.

Stellen Sie sich vor, ein Stadtteil von München würde auf einmal zu einem anderen Bundesland gehören. Das wäre so ähnlich.

Heiko Voigt, Stellvertreter der Sonneberger Bürgermeisterin

Die „rote“ Stadt Suhl erfreut sich auch wegen ihrer schlechten Finanzlage geringer Beliebtheit. Dagegen haben Sonneberg, Hildburghausen und Schmalkalden-Meiningen ihre „Hausaufgaben“ gemacht, sogar Rücklagen gebildet. Übrigens lehnt auch der Suhler Oberbürgermeister Jens Triebel (parteilos) das neue Gebilde ab. Aber das ist nicht alles, was die Sonneberger stört: „Stellen Sie sich vor, ein Stadtteil von München würde auf einmal zu einem anderen Bundesland gehören. Das wäre so ähnlich“, sagte Heiko Voigt, der die seinerzeit erkrankte Bürgermeisterin Sibylle Abel (CDU) vertrat, dem Magazin FOCUS Online zu der Gebietsreform. „Wir sprechen den fränkischen Dialekt und fühlen uns den Franken viel näher als dem Rest von Thüringen. Landsmännische Grenzen würden bei der Reform überhaupt nicht berücksichtigt. Ich vermisse eine sachgerechte Herangehensweise.“

Wir sind Thüringer, aber wir sind fränkische Thüringer oder Thüringer Franken.

Christine Zitzmann, Landrätin von Sonneberg

Landrätin Christine Zitzmann sagte 2015 mit Blick auf die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Region: „Wir sind Thüringer, aber wir sind fränkische Thüringer oder Thüringer Franken.“ Die Sprache, die wie der Coburger Dialekt dem Itzgründischen zugeordnet wird und anders klingt als das Thüringisch, das nördlich des Rennsteigs gesprochen wird, ist in der Tat verwandt. Auch architektonisch ähneln die Kommunen im Süden Thüringens mit ihren Fachwerkhäusern und der Blockbauweise wie im Frankenwald denen der bayerischen Nachbarn. Hier geht man ebenfalls zur Kerwa, zur Kirchweih also, und die Trachten haben wenig Bezug zu Thüringen. Wer jetzt historisch zu wem gehört hat, darüber streiten sich die Geister. Dies ist auch nicht wirklich von Belang, schließlich ist in 40 Jahren DDR doch so etwas wie eine Ost-Identität gewachsen. So käme es vermutlich auch einigen Bürgern seltsam vor, plötzlich ein Bayer zu sein. Ein Franke, das wäre wohl akzeptabler.

Oberfranken und Südthüringen sind zusammengewachsen

Denn alles hier richtet sich ins oberfränkische Coburg aus – und umgekehrt: Wer ins Theater geht, fährt nach Coburg. Schule, Sport, Einkauf und Arbeitsmarkt sind länderübergreifend. Rund 6000 Menschen pendeln täglich in den Kreis Sonneberg, davon viele aus Coburg und Kronach, fast 10.000 pendeln hinaus, hauptsächlich nach Oberfranken. Ein gemeinsamer Verein der Unternehmer aus diesen Regionen, der Wirtschaftsförderverein „WIR – Vom Rennsteig bis zum Main“, dient der besseren Vernetzung. Auch der Zweckverband „Grünes Band“ eint die Regionen. Mitte März 2015 schlossen sich Kreis und Stadt Sonneberg dem neuen länderübergreifenden Tourismusverein „Coburg.Rennsteig – grenzenlos fränkisch“ an.

Wenn die Entscheidungen nicht mehr hier getroffen werden, steht der wirtschaftliche Erfolg, den wir mit den bayerischen Nachbarn haben, auf dem Spiel.

Heiko Voigt, Stellvertreter der Bürgermeisterin von Sonneberg

Seit Oktober 2013 hat die Spielzeugstadt Sonneberg einen assoziierten Status in der Metropolregion Nürnberg, seit April 2014 auch der Landkreis. Dank der Zugehörigkeit zur Metropolregion warb Sonneberg erstmals beim Nürnberger Christkindlesmarkt und auch bei der Expo, profitiert zudem von diversen Fördermitteln. „Sonneberg ist die wirtschaftsstärkste Stadt in Thüringen. Das liegt vor allem an der guten Zusammenarbeit mit der bayerischen Nachbarstadt Neustadt“, so Voigt bei FOCUS Online. Neustadt und Sonneberg betreiben obendrein einen länderübergreifenden Verkehrs- und einen Klinikverbund (Regiomed). „Wenn die Entscheidungen nicht mehr hier getroffen werden, steht der wirtschaftliche Erfolg, den wir mit den bayerischen Nachbarn haben, auf dem Spiel“, fürchtet Voigt. Ein wirtschaftlicher Abstieg aber droht schon allein durch die Thüringer rot-rot-grüne Koalition mit ihren wirtschaftsfernen Denkweisen.

Das gallische Dorf

Eine Drohkulisse solle der Länderwechsel nicht sein, so der Sonneberger Stellvertreter der Bürgermeisterin, Heiko Voigt, sondern eine ernstzunehmende Option. Der Landkreis ist so etwas wie das gallische Dorf Thüringens. Schon 1993 sollte Sonneberg seine Eigenständigkeit verlieren und protestierte vehement – und der kleinste Landkreis Thüringens blieb erhalten. Er ist auch nicht der einzige Kreis, in dem sich Widerstand gegen die neue Gebietsreform regt. Neben Hildburghausen, das ebenfalls mit Bayern liebäugelt, droht der Eichsfeldkreis mit einem Wechsel nach Niedersachsen, und bereits vor zwei Jahren der Kreis Altenburger Land mit einem Wechsel nach Sachsen.

Hohe rechtliche Hürden

Die Hürden für so einen Länderwechsel wären jedoch hoch. Für das Beispiel Kreis Sonneberg würde gelten: Sowohl Thüringen als auch Bayern müssten dazu gemäß Artikel 29 Absatz 8 Grundgesetz einen Staatsvertrag schließen, der anschließend vom Bundestag abzusegnen wäre. Der Staatsvertrag bedürfte der Bestätigung durch Volksentscheid in jedem beteiligten Bundesland. Betrifft der Staatsvertrag nur Teilgebiete der Länder, kann die Bestätigung auf Volksentscheide in diesen Teilgebieten beschränkt werden. Die betroffenen Gemeinden und Kreise müssten gehört werden. „Wir sind keine Träumer und keine Populisten“, sagte Sonnebergs Vizebürgermeister Voigt dennoch zur SZ. Der steinige Weg ist allen Beteiligten bekannt. Die Stadtspitze lässt dennoch eine Abstimmung prüfen.

Bayern ist aufgeschlossen

Und wie steht Bayern zu diesen Absichten? Bayern steht einem Wechsel der Thüringer Landkreise Sonneberg und Hildburghausen aufgeschlossen gegenüber. Auf Anfrage der Coburger SPD-Landtagsabgeordneten Susann Biedefeld teilte der bayrische Innenminister Joachim Herrmann die genannten rechtlichen Voraussetzungen mit. Zunächst sei aber Thüringen am Zug. Sollte Thüringen signalisieren, dass es den Überlegungen zu einem Wechsel nach Bayern eine Chance gibt, könnten bilaterale Gespräche der Länder über eine Neugliederungsmaßnahme aufgenommen werden.

Thüringen lädt Coburg zur Fusion ein

Der Thüringer Innenminister war offenbar durch die offizielle Landtagsanfrage seiner Parteifreundin alarmiert: Scheinbar humorvoll verkündete Poppenhäger, er lade Vertreter der Region Coburg zu Gesprächen über einen Wechsel nach Thüringen ein. „Die traditionell häufigen Missverständnisse insbesondere zwischen Alt-Bayern und Franken“ seien seit langem bekannt und die räumliche Distanz zur bayerischen Landeshauptstadt München groß. Die Autobahn habe den Weg von Coburg nach Erfurt so kurz gemacht, dass Coburger „oft einen der Feiertage in Bayern nutzen, um in die aufblühende Thüringer Landeshauptstadt Erfurt einkaufen zu fahren“. So spreche eigentlich nichts dagegen, dass die Region Coburg im Zuge der Thüringer Gebietsreform mit den Kommunen der Landkreise Sonneberg und Hildburghausen zusammengehe. „Natürlich innerhalb des Freistaats Thüringen“, fügte Poppenhäger in seiner Mitteilung hinzu. Das ist zugegeben ein gelungenes Ablenkungsmanöver von dem Ärger der eigenen Kommunen und gibt zugleich deren Wunsch der Lächerlichkeit preis. Ob das wiederum dort für größere Freude über den eigenen Innenminister sorgen wird, ist jedoch mehr als fraglich.

Es sollte vielmehr den politisch Verantwortlichen in Thüringen zu denken geben, wenn dort Landkreise nach Bayern wollen.

Joachim Herrmann

Nun stellte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann noch einmal klar, dass die Idee, den Landkreis Sonneberg aus Thüringen nach Bayern übertreten zu lassen, nicht aus Bayern kam. „Der Wunsch des Landkreises Sonneberg hat mich total überrascht. Die Landrätin Christine Zitzmann hat sich mit einem Schreiben an uns gewandt und berichtet, dass viele Bürgerinnen und Bürger aus ihrem Landkreis vom Freistaat Thüringen zum Staatsgebiet des Freistaats Bayern wechseln wollen. Dass wir uns um Thüringer Landkreise beworben hätten, entbehrt jeglicher Grundlage. Es sollte vielmehr den politisch Verantwortlichen in Thüringen zu denken geben, wenn dort Landkreise nach Bayern wollen. In Bayern gibt es jedenfalls keine Kommune, die zu Thüringen wechseln will. In Bayern wohnen heißt  lebenswert wohnen und ich empfinde das als großes Lob unserer Nachbarn, wenn sie das auch so sehen. Aber wir wollen hier niemanden abwerben.“

Ich wünsche den Bürgerinnen und Bürgern von Sonneberg eine erfolgreiche Entwicklung und viel Erfolg bei der Fortsetzung ihrer Anstrengungen, die Zukunft des Landkreises positiv zu gestalten.

Joachim Herrmann

In ihrem Schreiben erläuterte die Landrätin die vielfältigen Verflechtungen der benachbarten thüringischen und fränkischen Räume. Auch bei der Zusammenarbeit mit verschiedensten Zweckverbänden oder mit der Metropolregion Nürnberg würden die Landesgrenzen bereits jetzt überschritten werden. Herrmann zeigte sich erneut aufgeschlossen, machte aber auf die Konsequenzen aufmerksam: „Eine mögliche Umgliederung kann nur dann klappen, wenn sich der Freistaat Thüringen einer Neugliederung der Teilgebiete nicht von vornherein verschließt. Bei den Verwaltungsinternas unserer Nachbarn werden wir uns nicht einmischen. Wir freuen uns jedoch über das Lob unserer Nachbarn. Ich wünsche den Bürgerinnen und Bürgern von Sonneberg eine erfolgreiche Entwicklung und viel Erfolg bei der Fortsetzung ihrer Anstrengungen, die Zukunft des Landkreises positiv zu gestalten.“