Mark Riebling, Sascha Hinkel und Theo Waigel (v.l.n.r.) betonen die Tapferkeit Josef Müllers während des Zweiten Weltkrieges. (Foto: Anja Schuchardt)
München

Spionage, Papst Pius XII. und der Ochsensepp

Man nehme einen amerikanischen Analysten und einen ehemaligen deutschen Bundesfinanzminister und lasse sie über die "Ochsensepp-Frage" diskutieren: am Ende sind die Zuhörer begierig darauf, das Buch "Church of Spies" zu lesen. Rund 200 Teilnehmer kamen anlässlich des "Tag der Archive 2016" zum Podiumsgespräch in die Hanns Seidel Stiftung nach München.

In dem Buch „Church of Spies“ beleuchtet der Autor Mark Riebling das kirchliche Spionagenetzwerk des Vatikans, den Mut und die Tapferkeit des ersten CSU-Vorsitzenden Josef Müllers gegenüber den SS-Schergen sowie seine Pläne für den Aufbau eines neuen Europas. Riebling präsentierte das Ergebnis jahrelanger Archivrecherchen. Theo Waigel, Ehrenvorsitzender der CSU und von 1989-1998 Bundesminister der Finanzen, bereicherte das Gespräch mit seinen persönlichen Erfahrungen mit Müller.

Wer ist der „Ochsensepp“?

Josef Müller fungierte als Verbindungsmann zwischen dem deutschen Widerstand und dem Vatikan. Bereits im Herbst 1939 nahm er Verbindung zum Jesuitenpater Leiber, dem Privatsekretär des Papstes auf. Von Leiber erhielt er eine Reihe von Informationen über die Einstellung des Papstes und der Feindmächte. Über Leiber bekam Müller auch Verbindungen zu englischen und amerikanischen Kreisen. In Bayern war er zeitlebens als „der Ochsensepp“ bekannt. Der Sohn eines fränkischen Bauern hütete als Junge die Ochsen seines Vaters, bevor er nach München ging und sich in der Weimarer Republik zum Rechtsanwalt hocharbeitete. 1979 verstorben, hat er nicht nur seine Autobiografie „Bis zur letzten Konsequenz“ verfasst. Er sagte auch unter Eid im Seligsprechungsprozess für Papst Pius XII. aus. Müller, selbst streng gläubiger Katholik, verfügte über gute Kontakte zur Kurie. Er hatte in den Grotten von St. Peter geheiratet, sein Trauzeuge war der deutsche Monsignore Schönhöffer, der als Mittelsmann fungierte.

Held Müller im Abenteuerroman

Nicht nur Josef Müller, auch zahlreiche bayerische und Münchner Priester und Jesuiten, das verschwörerische Zusammenwirken mit militärischen Widerstandskreisen, die Pläne, mit den Westalliierten zu Friedensverhandlungen zu kommen und die gescheiterten Aktionen gegen Hitler sind Thema. Kein Wunder, dass sich das Buch wie ein Abenteuerroman liest. Riebling und Waigel betonten den heldenmütigen Einsatz Müllers im Widerstand gegen Hitler.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte er als Gründer der Christlich-Sozialen Union zu großem politischen Einfluss. An vorderster Linie in die heftigen Flügelkämpfe der jungen Partei involviert, verstrickte sich der streitbare und umstrittene Unionsgründer in den 1950er-Jahren aber auch in politische Affären, so dass in der Folge sein Einfluss auf die politischen Geschicke schwand. Waigel betont, dass Josef Müller immer an der europäischen Linie festgehalten hat. So war er es, der bereits 1946 für eine europäische Währung plädierte.

Wir brauchen eine gemeinsame europäische Währung, weil Länder, die einen gemeinsame Währung haben, nie mehr Krieg gegeneinander führen.

Josef Müller, Mitbegründer der CSU

Welche Schuld trifft den Papst?

Über das Verhalten von Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkrieges waren Riebling und Waigel nicht ganz einer Meinung. Riebling unterstützt die Meinung Müllers, dass eine öffentliche Äußerung dramatische Folgen mit sich gezogen hätten. Die geheime Verbindung des Papstes zum deutschen Widerstand bietet eine plausible Erklärung für sein so häufig kritisiertes „Schweigen“, den Deckmantel scheinbarer Neutralität, den Pius XII. bis zum Kriegsende aufrecht erhielt. Dass er Pius XII. gegenüber diesen Standpunkt vertreten hatte, bestätigte Müller in seinen Memoiren: „Immer wieder hatte ich in Rom zum Ausdruck gebracht, es müsse oberstes Gebot sein, die Nazis nicht durch einen unbedachten Schritt zu reizen […] nachdrücklich wies ich immer wieder darauf hin, dass man den Nazis keine billigen Gründe zum Zuschlagen liefern dürfe.“  Waigel hingegen ist sich unsicher: „Niemand in der Kirche hat sich eindeutig geäußert, so trifft alle die Schuld geschwiegen zu haben.“

Müller bald auf Großleinwand?

Beide wecken am Ende des Gesprächs Hoffnungen auf zusätzlichen Stoff. So hofft Riebling auf eine Verfilmung seines Spionagebuches, dessen deutsche Übersetzung Anfang 2017 erscheint. Die Rechte hat sich ein Autor bereits gesichert. Waigel scherzt darauf: „Aber bei der Suche nach einem Hauptdarsteller haben sie hoffentlich nicht an mich gedacht.“ Er ist zurzeit mit einem andere Stoff beschäftigt, sozusagen seinen Memoiren. Auf die Frage, ob es bald auch eine Biographie von ihm gibt, schmunzelt Waigel: „Ich bin dabei und ob ich fertig werde entscheidet der liebe Gott.“