Der neue Machthaber in Nigeria hat eine dunkle Vergangenheit und zwei vordringliche Probleme. Bild: Fotolia, niyazz
Wahl in Nigeria

Das hoffentlich kleinere Übel

Auf Nigerias gescheiterten Präsidenten Goodluck Jonathan folgt ausgerechnet ein ehemaliger Militärdiktator - ganz demokratisch. Nigerias nächster Präsident wird Ex-Diktator Muhammadu Buhari. Auf ihn warten vor allem zwei große Herausforderungen: der Boko-Haram-Terror und die uferlose Korruption im Land

Um diese Wahlentscheidung wird die Nigerianer kaum jemand beneidet haben: Gegen den gescheiterten Amtsinhaber Goodluck Jonathan trat mit Muhammadu Buhari just jener ehemalige Militärdiktator an, der 1983 ein kurzes nigerianisches Experiment mit Republik und Demokratie im Putsch erledigt hatte – bevor er 1985 nach kurzer, aber heftiger Terror-Herrschaft beim nächsten Coup selber aus dem Amt gefegt wurde. Jetzt, 30 Jahre später, hatten die Nigerianer nur die unerfreuliche Wahl zwischen einem Übel, das sie schon kannten und einem anderen, das einst ihre Großeltern erlebten.

Neuer Präsident mit Blut an den Händen

Sie haben sich für den 72-jährigen Ex-Militärdiktator aus dem muslimischen Norden des Landes entschieden – und damit Noch-Präsident Jonathan zur einzigen Leistung seiner jämmerlichen Präsidentschaft verholfen: Nach kurzem Zögern hat er Buhari angerufen und seine Niederlage eingestanden. Dann hat er seine Unterstützer eindringlich auf Ruhe und Frieden verpflichtet: „Niemandes Ehrgeiz ist das Blut eines einzigen Nigerianers wert.“ Wenn es dabei bleibt, erlebt Nigeria Ende Mai seine erste friedliche demokratische Machtübergabe überhaupt. Einen „ruhmreichen Verlierer“, gar „Mini-Mandela“ nennt darum die Neue Zürcher Zeitung Amtsinhaber Jonathan.

Sein Nachfolger, Buhari, hat Blut an den Händen. Vor 32 Jahren führte er als hartgesottener Militärdiktator einen „Krieg gegen die Disziplinlosigkeit“ und gegen Kritik – mit Peitsche, Kerker, Arbeitslager, Geheimtribunalen und Exekutionen. Dazu kam seine verheerende, Buharismus genannte Wirtschaftspolitik: Er diktierte Preise, verbot „überflüssige“ Einfuhren, sperrte die Grenzen und ließ 700000 Arbeitsmigranten vertreiben, um Arbeitsplätze für Nigerianer zu schaffen. Massenarmut war die Folge, in Nigeria und bei den Nachbarn. Im Nachbarland Niger ist eine Hungersnot nach ihm benannt, erinnert Thomas Scheen, der Afrika-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „El Buhari“.

Trotzdem haben sich jetzt die Nigerianer mit 54 zu 45 Prozent der abgegebenen Stimmen für ihn entschieden. Bemerkenswert: Buhari hat nicht nur die verarmten und vernachlässigten muslimischen Nordstaaten gewonnen, sondern auch im Zentrum des Landes und im christlichen Süden Stimmen geholt. Sogar in der Zehn-Millionen-Wirtschaftsmetropole Lagos gewann Buhari 55 Prozent der Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 30 Prozent. Wer in Nigeria Präsident werden will, muss laut Verfassung in zwei Dritteln der 36 Bundesstaaten mindestens ein Viertel der Wähler gewinnen. Kein Problem für den Moslem Buhari: Religions- und Stammesgrenzen haben bei dieser Wahl offenbar keine so große Rolle gespielt – ein hoffnungsvolles Zeichen für das religiös und ethnisch gespalten erscheinende Land.

Nigeria hat die größte Wirtschaft des schwarzen Kontinents

Zwei Dinge haben Buhari geholfen: Die meisten Wähler können sich an seine Militärregierung nicht erinnern. Etwa die Hälfte der heute 177 Millionen Nigerianer (1950: 38 Millionen) sind jünger als 20 Jahre. Aber sehr viele trauen dem Ex-General offenbar zu, den Krieg gegen die mörderischen Boko-Haram-Islamisten zu gewinnen. Etwa 18000 Personen sind in den vergangenen Jahren dem Boko-Haram-Terror zum Opfer gefallen, 2000 allein in diesem Januar. Die Islamisten haben dem Islamischen Kalifatsstaat in Irak und Syrien Treue gelobt und beherrschen im Norden Nigerias schon ein Gebiet von der Größe Belgiens. Präsident Jonathan hat sich kaum dafür interessiert, seine korrupte und demoralisierte Armee hat die Nigerianer im Norden des Landes schlicht dem Terror überlassen.

Den anderen großen Kampf, den Buhari führen will und muss ist der gegen Nigerias uferlose Korruption. Nigeria ist Afrikas Bevölkerungsgigant und hat die größte Wirtschaft des Kontinents. Das Land fördert pro Tag 2,3 Millionen Fass Öl – nur ein Drittel weniger als etwa der Iran. Trotzdem leben zwei Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze und mehr als die Hälfte muss mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen. Weil der Ölpreis so dramatisch gesunken ist, könnte es für die Nigrianer bald noch schlimmer kommen.

Korruption, Misswirtschaft und Verschwendung

Hauptursache der Misere sind Misswirtschaft und dramatische Korruption. 70 Prozent der Staatseinnahmen kommen aus dem Öl. Aber die Fördermengen werden nicht an den Ölquellen gemessen, sondern erst auf den Export-Terminals, berichtet die Londoner Wochenzeitung The Economist. Auf dem Weg bis zu den Terminals geht viel verloren. Jeden Tag werden etwa 100000 Faß Öl abgezweigt, was die Staatskasse jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar kostet, schätzt wieder The Economist. Als vor zwei Jahren der Notenbank-Chef errechnete, dass 20 Milliarden Dollar Öleinnahmen schlicht verschwunden waren, ließ Präsident Jonathan ihn feuern.

Zur Korruption kommen Misswirtschaft und Verschwendung: Weil Investitionen fehlen, stagniert die Ölproduktion. Weil es keine Leitungsinfrastruktur gibt, kann Erdgas weder Kraftwerke noch Privatverbraucher erreichen und wird einfach abgefackelt. Vier staatseigene Raffinerien sind in so üblem Zustand, dass Afrikas größtes Ölförderland 70 Prozent seines Benzins importieren muss. Weil es zu subventionierten Preisen verkauft wird, blühen Schmuggel, Korruption, und Kriminalität.

Ist Buhari der richtige Mann, um die Riesenprobleme des Riesenlandes zu lösen? „Ich kann meine Vergangenheit nicht ändern, aber ich weiß, dass ich nach den demokratischen Spielregeln arbeiten muss“, sagt der Ex-Diktator heute. Er wird außerdem die Wirtschaftspolitik in die richtigen Hände legen müssen. Und er muss sich gegen Nigerias mega-korrupte Eliten durchsetzen – wahrscheinlich eine noch schwierigere Herausforderung als der Kampf gegen Boko-Haram.

„Wir sind froh, dass wir bei dieser Wahl keine Stimme haben“, seufzte Wochen vor dem Wahltermin The Economist: „Aber wenn man uns eine angeboten hätte, würden wir – mit schwerem Herzen – Buhari wählen.“ Der Ex-Dikatator hat die seltene Chance, vergangene schwere Sünden durch tätige Reue vergessen zu machen. Man muss den Nigerianern wünschen, dass er sie nutzt.