Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Franςois Hollande: Es knirscht zwischen Berlin und Paris – Frankreich will keine Zuwanderungsdebatte. Bild: imago/Kyodo News
Migrantenkrise

Hotspots: Rom und Athen bremsen nach Kräften

In wenigen Wochen sollen elf Registrierungszentren für Migranten in Italien und Griechenland die Arbeit aufnehmen. Eine Illusion: Drei angeblich fertige Zentren funktionieren schlecht, Athen und Rom sträuben sich. Kein Wunder, die angekündigte europäische Umverteilung der Migranten findet nicht statt. Das Problem: Frankreichs Verweigerungshaltung. Paris aber gibt Berlin die Schuld.

Das klingt wie eine gute Nachricht: In vier Wochen sollen elf Hotspots genannte Aufnahmezentren für Migranten in Griechenland und Athen fertig und einsatzbereit sein. Das versicherte unlängst in der Süddeutschen Zeitung der griechische EU Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos. In den Hotspots sollen alle ankommenden Migranten systematisch registriert und anschließend innerhalb der EU umverteilt werden. Zur Registrierung gehört, dass den Migranten Fingerabdrücke abgenommen und ihre Daten mit einer EU-Sicherheitsdatei abgeglichen werden. „Wir haben nicht mehr als vier Wochen Zeit, um an den Grenzen Ergebnisse zu erzielen“, so der EU-Kommissar.

Desolate Hotspots

Klingt gut, wie gesagt. Aber die Realität sieht anders aus. Eigentlich hätten die im vergangenen September vom EU-Gipfel beschlossenen Hotspots schon im November oder spätestens bis Ende Dezember stehen sollen. Aber von den geplanten elf Aufnahmezentren sind erst drei in Betrieb – wenn man das so nennen möchte: zwei in Italien, eines in Griechenland auf der Ägäis-Insel Lesbos. Ein Journalist der Pariser Tageszeitung Le Figaro hat den Lesbos-Hotspot kürzlich besucht und war nicht beeindruckt: „Die Insel Lesbos vom Migranten-Strom überfordert“, überschreibt das Blatt am 10. Januar einen zweispaltigen Artikel. Spiros Kourtis, der Direktor des Aufnahmezentrums selber, erläutert wie es um den Lesbos-Hotspot steht: „Das Zentrum funktioniert nicht wirklich wie ein Hotspot, wir sind noch mitten in den Bauarbeiten. Es gibt nichts, um die Flüchtlinge unterzubringen, wir brauchen noch Zeit.“

Das Zentrum funktioniert nicht wirklich wie ein Hotspot, wir sind noch mitten in den Bauarbeiten. Es gibt nichts, um die Flüchtlinge unterzubringen, wir brauchen noch Zeit.

Spiros Kourtis, Direktor des Aufnahmezentrums auf Lesbos

 

Le Figaro schreibt außerdem von „häufigen Pannen mit der europäischen Fingerabdruckdatei Eurodac, was die Prozedur verzögert“. Dazu komme „das vollständige Fehlen von Koordination zwischen den griechischen Beamten und denen von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex“. Die griechischen und die europäischen Beamten würfen sich gegenseitig vor, die Identifizierungsbüros nur zwischen acht Uhr und halb vier geöffnet zu haben, obwohl die Migranten permanent ankämen, so das Blatt.

Matteo Renzi ebenso wie Alexis Tsipras sträuben sich nach Kräften dagegen, die für Kontrollen, Registrierung und Aufnahme notwendige Infrastruktur und andere Transitlager aufzubauen.

Le Figaro

In zwei von sechs solchen Aufnahmezentren, die in Italien schon in Betrieb sein sollen, sieht es anderen aktuellen Berichten zufolge nicht viel besser aus. „Matteo Renzi ebenso wie Alexis Tsipras sträuben sich nach Kräften dagegen, die für Kontrollen, Registrierung und Aufnahme notwendige Infrastruktur und andere Transitlager aufzubauen“, schreibt wieder Le Figaro.

Umverteilung findet nicht statt

Man kann es den beiden Premiers kaum übel nehmen. Denn von der entscheidenden Voraussetzung für das Funktionieren der Aufnahme- und Registrierungs-Hotspots ist noch überhaupt nichts in Sicht: die anschließende Verteilung der Migranten auf ganz EU-Europa. Im vergangenen September hat der EU-Ministerrat in Mehrheitsabstimmung beschlossen, 160.000 Migranten aus Griechenland und Italien umzuverteilen. Frankreich etwa versprach damals, davon 19.694 Migranten aufzunehmen, erinnert Le Figaro. Vier Monate später sind davon exakt 19 Migranten in Frankreich angekommen – ein knappes Tausendstel.

Beim Flüchtlingsthema ist es Frankreich, dass sich dabei an das Minimum seiner Möglichkeiten hält.

Le Figaro

Gesamteuropäisch sieht es nicht besser aus: Litauen hat aus dem EU-Umverteilungsprogramm bislang 4 Migranten übernommen, Belgien 6, Spanien 18, Portugal 24, Luxemburg 30, Schweden 39 und Finnland 111. Le Figaro: „Angela Merkel hat von Franςois Hollande und seinesgleichen ganz bestimmt mehr erwartet.“

Rom und Athen werden die Migranten weiter nach Norden – vor allem nach Deutschland – durchwinken und durch-chauffieren.

Unter diesen Umständen würden Athen und Rom regelrecht unverantwortlich handeln, wenn sie die Registrierungs- und Aufnahmezentren in ihren Ländern schnell fertigstellten und in Betrieb nähmen: Die Hotspots würden sehr bald vollaufen. Italien und Griechenland hätten dann in wenigen Wochen Hunderttausende Migranten registriert – und würden darum auf ihnen sitzen bleiben. Denn nach dem immer noch gültigen Dublin-Abkommen können einmal registrierte Asylbewerber nirgendwo anders mehr Asyl beantragen und erhalten. Niemand, der real denkt, kann erwarten, dass Renzi und Tsipras sich sehenden Auges darauf einlassen. Rom und Athen werden die Migranten weiter nach Norden – vor allem nach Deutschland – durchwinken und durch-chauffieren.

Französische Verweigerungshaltung

Das Problem sind eben nicht nur eine Handvoll zuwanderungskritische Länder im Osten der EU. Das viel größere Problem heißt Frankreich. Unser großes Nachbarland im Westen hat im vergangenen Jahr exakt 79.130 Migranten aufgenommen, berichtet wieder Le Figaro am 13. Januar. Das sind 22 Prozent mehr als im Vorjahr – und damit auch 22 Prozent mehr als Frankreich Berichten vom Sommer zufolge erwartet hat. Interessant: Nach 5200 Syrern, stellen 5060 Sudanesen das zweitgrößte Kontingent an Asylbewerbern. Da könnte im nächsten Frühjahr und Sommer aus dem Sudan etwas auf Europa – und Deutschland − zukommen. Platz Drei der Frankreich-Asylbewerber besetzten 4650 Kosovaren – fast eine Verdoppelung gegenüber 2014. Dazu kommen noch etwa 4000 unregistrierte Migranten im wilden Lager bei Calais, darunter wieder sehr viele Sudanesen und seit kurzem immer mehr Afghanen.

Die französische Exekutive will keine Einwanderungsdebatte  und verweist diskret auf die deutsche Verantwortung bei der aktuellen Migrationskrise.

Le Figaro

Die französische Verweigerungshaltung ist bewusste Pariser Politik, deutet Le Figaro am 19. Januar an: „Beim Flüchtlingsthema ist es Frankreich, dass sich dabei an das Minimum seiner Möglichkeiten hält.“ Nur an der politischen Oberfläche scheint es so, als zögen Paris und Berlin an einem Strang, etwa wenn es um die Kontrolle der Schengen-Außengrenzen geht oder um jene Hotspots. Le Figaro: „Aber die französische Exekutive will keine Debatte über die Einwanderung und verweist diskret auf die deutsche Verantwortung bei der aktuellen Migrationskrise.“ Das Wort Kontingent, gar Flüchtlings- oder Migrantenkontingent, hat Präsident Hollande noch nie in den Mund genommen.

Es geht darum, dass wir keine Flüchtlinge mehr unkontrolliert in unser Land lassen.

Innenminister Joachim Herrmann

Eine gemeinsame europäische Antwort auf die Migrationskrise, heißt das alles, ist in weiter Ferne. Jetzt droht Zuspitzung. Denn ein Ende des Flüchtlingsstroms sei nicht abzusehen, warnt Avramopoulos. Der EU-Flüchtlingskommissar erwartet im Gegenteil dass „in den nächsten Monaten die Migranten-Zahlen noch höher sein werden“. Dann wird Bayern reagieren müssen, deutet Innenminister Joachim Herrmann an: Künftig müsse man Flüchtlinge unmittelbar an der Grenze zurückweisen, wenn die Kontrollen an den EU-Außengrenzen nicht innerhalb weniger Wochen funktionieren. Herrmann: „Es geht darum, dass wir keine Flüchtlinge mehr unkontrolliert in unser Land lassen.“