Das Erdbeben in Nepal hat eines der ärmsten Länder der Welt getroffen. Bild: Fotolia, Gudellaphoto
Nepal-Erdbeben

Erdbeben im Armenhaus

Das verheerende Erdbeben in Nepal hat ein politisch dysfunktionales, bettelarmes Land getroffen. Beobachter beschreiben die Rettungsarbeiten als „unkoordiniert“. Warum es gar nicht unbedingt am Geld fehlt und welche Lehren die Behörden aus dem Unglück ziehen müssten.

Ein Erdbeben der Stärke 7,9 auf der bis zum noch nie gemessenen Wert 10 (globale Katastrophe) reichenden Richterskala ist schlimm genug. Noch schlimmer wird es, wenn sich eine derartige Katastrophe in einem abgelegenen, bettelarmen und politisch dysfunktionalen Land ereignet.

Drei Tage nach dem Beben sprachen Behördensprecher in der schwer zerstörten Hauptstadt Kathmandu von 3700 Toten und über 6000 Verletzten allein in Nepal. Die Zahl wird steigen. Nicht nur weil die Verletzten schlecht versorgt werden, sondern weil über die Lage in schwer erreichbaren kleineren Städten und Dörfern wenig bekannt war. Das Erdbeben löste Lawinen aus, die, mitten in der Bergsteiger-Saison, das Mount-Everest-Basislager zerstörten. 18 Bergsteiger kamen im Gebiet des Mount Everest ums Leben, weit über 100 wurden bei Erscheinen dieser Ausgabe noch vermisst.

Nepal gehört zu den durch Erdbeben besonders gefährdeten Regionen der Welt. In der Himalaja-Region stoßen die indische und die eurasische Erdplatte aufeinander. Experten hatten schon lange große tektonische Spannungen gemessen und erwarteten ein größeres Erdbeben – ohne jedoch den Zeitpunkt voraussagen zu können.

Schwerverletzte auf offener Straße behandelt

Nepal wurde jedenfalls völlig unvorbereitet getroffen. Beobachter beschreiben die Rettungsarbeiten als „unkoordiniert“. Krankenhäuser sind völlig überfordert. In Kathmandu werden auch Schwerverletzte auf offener Straße behandelt. Die Wasserversorgung wird zum Problem. Beobachter fürchten den Ausbruch von Epidemien: In Nepal ist die Cholera endemisch – nepalesische UN-Soldaten haben die Seuche nach 2010 ins ebenfalls erdbebenzerstörte Haiti getragen.

Einen Hinweis auf die politische Stabilität des Landes liefert das Parteiensystem: Zur Parlamentswahl im November 2013 traten 120 Parteien an. 30 davon schafften es ins 205 Mandate große Parlament. Ein Maoisten-Aufstand führte 1996 zu einem zehn Jahre währenden Bürgerkrieg. 2008 erklärte eine Verfassunggebende Versammlung Nepal zur demokratischen Republik und schaffte die Monarchie ab. Zwischen 2008 und 2011 wechselten vier Koalitionsregierungen einander ab, zwei Mal angeführt von der Vereinten Kommunistischen Partei der Nepal-Maoisten und ebenfalls zwei Mal von der Kommunistischen Partei Nepals/Vereinte Marxisten-Leninisten. Letztere Partei ist zweitstärkster Partner in der aktuellen Koalitionsregierung von Premierminister Sushil Koirala. Beobachter sprechen von „Mangel an politischem Konsensus“ im Lande.

Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt – in der Region ist nur Afghanistan noch ärmer. Die Bevölkerung hat sich seit 1950 von 8,1 Millionen auf etwa 30 Millionen fast vervierfacht. 40 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Der durchschnittliche Monatslohn beträgt umgerechnet 18 Dollar. 42 Prozent der Nepalesen sind Analphabeten.