Im "Dompierre" in München gibt es "Brot am Haken" seit 2016. (Bild: AS)
Sozialprojekt

Ein Bon fürs Glück

Im Vorbeigehen Gutes tun - dieses Prinzip steckt hinter dem Sozialprojekt "Brot am Haken". In München unterstützen die Initiative von der Bäckerei bis zur Jazzbar 34 Ladenbesitzer. Wie funktioniert`s und wie kommt`s an? Wir waren mit der Kamera dort.

Constantin Häberle, Sohn von Bäckereiinhaber Thomas Häberle, sieht Christine Köppel auf der andere Straßenseite und winkt ihr durch das Ladenfenster entgegen. „Cappuccino, Schokocroissant und ein Baguette für den Haken bitte“, bestellt die junge Frau. Mit ihrem Frühstück und dem Einkaufsbon für ein Baguette geht sie zu dem kleinen Tisch in der Ecke der Bäckerei „Dompierre“. Dort steckt sie den Papierbon auf einen Haken. Der Haken ist in einem Holzbrett befestigt, ein Bon für eine Rosinenschnecke und einer für einen Kaffee hängen bereits dort. Köppel setzt sich auf die schmale Bank am Fenster, blättert in der Zeitung und beißt ins Croissant. Die Tür geht auf und Annette H. tritt ein. Die ältere Dame blickt auf die Bons am Haken und wählt den Bon für das Baguette. Bevor sie damit die Bäckerei verlässt, setzt sie sich zu Köppel. Die beiden Frauen plaudern über das Wetter und die neue Baustelle an der Ecke. Sie begegnen sich öfter hier und tauschen auch immer ein paar Sätze aus.

Versteckte Armut in München

In München fällt es rund 250.000 Menschen schwer, mit ihrem Einkommen die Lebenshaltungskosten aufzubringen. Fast 120.000 Menschen bekommen Sozialleistungen, laut aktuellem Armutsbericht. Es trifft vor allem ältere Menschen und Alleinerziehende. „In einer Stadt wie München ist das Bewusstsein vieler Menschen für versteckte Armut überhaupt nicht da“, sagt Michael Spitzenberger. Das will er ändern und Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten zusammenbringen. Bedürftige sollen sich wieder als Teil der Gesellschaft fühlen. Dazu entwickelte der Immobilienmakler das Sozialprojekt mit der Marke „Brot am Haken“. Der BAYERNKURIER hat Spitzenberger in der Bäckerei „Dompierre“ getroffen. Wir erfahren, wie das Projekt ankommt und was ihn antreibt.

Brot am Haken: Freude schenkenPlay Video
Brot am Haken: Freude schenken

34 Läden in München hat Spitzenberger bereits mit Holzbrettern samt Haken ausgestattet. Inhaber von Bäckereien, Eisdielen, Imbissen, einem Kosmetikstudio, einer Jazzbar und möglicherweise bald auch einer Zahnarztpraxis unterstützen die Initiative. Kunden können dort nicht nur für sich einkaufen, sondern auch für Produkte oder Dienstleistungen ihrer Wahl bezahlen. Die Spenden landen in Form von Kassenbons oder Gutscheinen an den Haken in den Geschäften.

„Wir finden das Konzept einfach gut“, sagt Häberle Junior. Brot, das er bis abends nicht verkauft hat, spendet die Bäckerei an die Münchner Tafel. „Da ist es eine logische Konsequenz auch ‚Brot am Haken‘ bei uns zu etablieren“, sagt der 23-Jährige. Bisher erproben sie das Angebot nur in einer der fünf Filialen. Einige Stammkunden spenden regelmäßig. Menschen, die Bons annehmen, kommen aber noch nicht so häufig.

Mut gefragt

Wer zum Bon greift, wird nicht kontrolliert. „Es braucht aber Mut, die Hemmschwelle zu überwinden und sich einen Bon zu nehmen“, sagt Spitzenberger. Die Aufgabe seines Projektes liegt vor allem darin, Bedürftige auf die Angebote aufmerksam zu machen. Dazu arbeitet er mit der Münchner Tafel, Servicezentren und Streetworkern zusammen.

Es braucht Mut, die Hemmschwelle zu überwinden.

Michael Spitzenberger, Gründer „Brot am Haken“ in München

„Wir bauen auf ein organisches Wachstum. Nicht jedes Viertel eignet sich dazu, aber das Interesse nimmt immer mehr zu“, sagt er. Anfragen erreichten ihn bereits aus anderen Städten. Doch bislang stemmt Spitzenberger das Projekt als Ein-Mann-Betrieb – ohne dass er etwas damit verdient. Als Immobilienmakler profitiert er von seinem Netzwerk und kann es sich leisten, die ehrenamtliche Arbeit weiterzuentwickeln.

Der Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, treibe ihn an. Langfristig will Spitzenberger einen weiteren Mitarbeiter beschäftigen und „Brot am Haken“ als gemeinnützigen Verein organisieren. Eine Finanzspritze von 30.000 Euro und Aufmerksamkeit in den Medien hat ihm im Juni der Paulaner Salvatorpreis eingebracht. Das Geld steckt Spitzenberger in den Ausbau der Büroräume und die Entwicklung einer App. Sie soll soziale Einrichtungen und Vereine in München vernetzen und Angebote für Bedürftige besser sichtbar machen.

Warum „Brot am Haken“?

Die Idee stammt ursprünglich aus Istanbul. Dort hängen Bäckereibesitzer restliches Brot am Abend in Tüten verpackt vor die Läden. Bedürftige können sie kostenlos mitnehmen. Auch in Italien gibt es „caffè sospeso“, übersetzt aufgeschobener Kaffee. Dass Spitzenberger begann, das Konzept vor zwei Jahren in München zu etablieren, verdankt er seinem Freund Sören Özer. Der türkischstämmige Bäckereibesitzer hatte den „Haken“ bereits in Hamburg eingeführt. Seit März organisiert Özer das Projekt dort über den Verein „Brot am Haken Nord“.