Der Kosovo ist sozusagen eine Gründung von UN, Nato und EU. Aber jetzt erreicht die Versuchung des radikalen Islamismus das kleine Westbalkan-Land. Bild: imago
Kosovo

Dschihadisten aus dem Kosovo

Das europäische Land, aus dem gemessen an der Bevölkerungsgröße die meisten Dschihadisten kommen, ist doch nicht Belgien − sondern Kosovo: Presseberichten zufolge halten sich derzeit 300 Gotteskrieger aus dem Kosovo in Syrien und Irak auf. Mit Geld und wahabitischen Predigern aus Saudi-Arabien erreicht jetzt radikaler Islamismus das kleine Balkan-Land. Eine Warnung vor dubiosen Moscheefinanziers.

Steht das zu 95 Prozent muslimische Kosovo der arabischen Welt und dem Maghreb näher als Europa? Das könnte man meinen, wenn man auf die Zahl der Dschihadisten schaut, die aus dem Kosovo nach Syrien und Irak gezogen sind und sich dort vermutlich dem Islamischen Staat angeschlossen haben. Der Pariser Tageszeitung Le Monde zufolge sollen sich derzeit etwa 300 kosovarische Dschihadisten in Syrien aufhalten, einige von ihnen samt ihren Familien. 60 weitere Gotteskrieger aus dem Kosovo sollen schon ums Leben gekommen sein. Das bedeutet natürlich nicht, dass der ganze Kosovo islamistisch ist.

Die Versuchung des radikalen Islamismus erreicht Kosovo.

Le Monde

Aber 360 Dschihadisten, wahrscheinlich für die Terrorarmee des Islamischen Staates  − für ein Land mit nur 1,8 Millionen Einwohnern ist das eine dramatisch hohe Zahl. Bislang galt Belgien mit bis Ende 2015 etwa 470 Gotteskriegern als Europas wichtigstes Dschihadisten-Herkunftsland: 42 Dschihadisten pro eine Million Belgier. Kosovo kommt auf 200 Dschihadisten pro eine Million Kosovaren und stellt damit den EU-Spitzenreiter Belgien weit in den Schatten. Gemessen an der Einwohnerzahl ähnelt Kosovos Dschihadisten-Zahl eher denen arabischer und nordafrikanischer Staaten: Bis zu 636 tunesische, 83 saudi-arabische, 373 jordanische und 100 libysche Dschihadisten kommen jeweils auf eine Millionen Bewohner ihrer Herkunftsländer.

Geld und wahabitischer Einfluss aus Saudi-Arabien

Beunruhigend dabei ist: Seit der Trennung von Serbien 1990 und auch seit seiner Unabhängigkeit 2008 steht Kosovo mehr oder weniger unter der Vormundschaft der Vereinten Nationen und der EU. Uno, Nato und EU haben den kosovarischen Staat sozusagen geschaffen. Was nicht verhindert hat, dass jetzt „die Versuchung des radikalen Islamismus Kosovo erreicht“, wie Le Monde es formuliert. „In dem mehrheitlich muslimischen Land kann man jetzt die Rückkehr religiöser Frömmigkeit beobachten“, so das Blatt. Unter dem Deckmantel humanitärer Arbeit betreiben saudische Nichtregierungsorganisationen wahabitische Mission, gibt Le Monde einen ausländischen Diplomaten wieder. Mit Wahabiten und Salafisten kommen Gewaltprediger in das kleine Westbalkan-Land.

Unter dem Deckmantel humanitärer Arbeit betreiben saudische Nichtregierungsorganisationen wahabitische Mission.

Der Golf-Arabische Einfluss im Kosovo geht auf die Zeit unmittelbar nach dem Kosovo-Krieg zurück. Wahabiten und Salafisten aus Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten nutzten das staatliche Vakuum der Nachkriegszeit, um im Kosovo ihren extremen Islam zu verbreiten. Mit Geld vom Golf wurden Moscheen gebaut, in die dann die Gläubigen gelockt wurden, die dafür, so Le Monde, ebenfalls Geld erhielten. Imame wurden vor allem in Saudi-Arabien und Ägypten ausgebildet, schreibt das Blatt.

Die Keime des Radikalismus sind vor zehn Jahren gepflanzt worden. Seither sind sie gewachsen, und es wird schwer werden, das wieder loszuwerden.

Linda Gucia, Soziologin

Kosovarische Behörden nehmen den Kampf gegen den religiösen Fanatismus durchaus ernst, agieren aber nicht entschlossen genug, sagen Beobachter. Im Sommer 2014 konnte die kosovarische Polizei immerhin etwa ein Dutzend Imame aufgreifen, die zur Teilnahme am heiligen Krieg in Syrien aufgerufen hatten. Darunter war auch der Imam der Groß-Moschee von Pristina, so Le Monde und zitiert eine einheimische Soziologin: „Die Keime des Radikalismus sind vor zehn Jahren gepflanzt worden. Seither sind sie gewachsen, und es wird schwer werden, sie wieder loszuwerden.“