Blitzsauber: Das topmoderne Geschäftsviertel von Taipeh mit Nationalflagge und dem „101-Tower“, dem dritthöchsten Gebäude der Welt. (Bild: Wolfram Göll)
Taiwan

Schöne Grüße aus dem besseren China

Die Republik China alias Taiwan ist reich, wunderschön und technologisch führend – praktisch jeder Erdenbürger besitzt irgendein Hightech-Produkt aus Taiwan. Doch die Insel von der Größe Baden-Württembergs hat ein Problem: den großen Bruder auf dem Festland. Die regierende KMT hat viele Verträge zur Annäherung geschlossen. Doch in der Bevölkerung wächst die Angst vor dem roten Drachen.

Der Frühling ist dieser Tage auf seinem Höhepunkt auf der Insel Taiwan, von den Europäern auch „Formosa“ genannt – „die Schöne“. In diesen Tagen erfährt man, woher der Name kommt: Überall blühen die Bäume und Blumen, bei 30 Grad und strahlendem Sonnenschein spielen die Eltern in den vielen kleinen und großen Parks in der Hauptstadt Taipeh mit ihren Kindern.

Da die Temperatur auch nachts nicht unter 25 Grad fällt, bevölkern bis weit nach Mitternacht Tausende Menschen aller Altersgruppen die legendären Nachtmärkte mit ihrem breiten kulinarischen Angebot – von Mangokuchen und Oolong-Tee über die landestypischen, mit Fleischbällchen gefüllten Teigknödel und traditionellen Suppen bis zu gegrillten Pilzen. Aber auch Armbanduhren, Sportkleidung und Elektronik gibt es hier.

Dem ausländischen Besucher kommt es fast so vor, als gäbe es für Mädchen und junge Frauen eine verbindlich vorgeschriebene Nationaltracht, die bei jedem Wetter kurze Röcke und leichte Tops vorsieht. Die südländische Leichtigkeit kommt nicht von ungefähr: Die Insel Taiwan, nur so groß wie Baden-Württemberg, aber mit 23 Millionen Menschen wesentlich dichter besiedelt, ist zwischen tropischem und subtropischem Klima angesiedelt – sie liegt geographisch gleichauf mit dem südlichen Saudi-Arabien. Allerdings wird die Hitze unter der sengenden Sonne abgemildert durch die Lage am Pazifik mit der kühlenden Meeresbrise, die immer mal wieder auch durch die Straßen der Hauptstadt fegt.

Penibel sauber

Besuchern fallen zwei weitere Phänomene besonders auf: Erstens die penible Sauberkeit etwa in der Metropole Taipeh. Die ist mit 2,6 Millionen Einwohnern beinah doppelt so groß wie München, im Ballungszentrum leben über sechs Millionen Menschen. Sogar in der U-Bahn, hochmodern, hellerleuchtet und stets auf die Sekunde pünktlich, glänzt der Boden bis unter die Sitzbänke hinein so blitzblank, dass man sich ohne Bedenken dort hinlegen könnte.

Und zweitens die Freundlichkeit der Einheimischen gegenüber Ausländern. Wer als sichtbar Fremder irgendwo steht und sich sinnierend-orientierend umschaut, wird häufig von Passanten auf Englisch angesprochen, ob er eine Auskunft oder Hilfe benötige. Sogar Fahrkartenverkäuferinnen, Wachleute, Polizisten oder Taxifahrer sind sehr freundlich und hilfsbereit – soweit sprachlich möglich.

Ohne Ellbogen

Auch wegen dieser Eindrücke der Sauberkeit, Freundlichkeit, der südlichen Leichtigkeit und Lebensfreude nennen viele Besucher Taiwan schlicht das „bessere China“.

Taiwan und Taipeh schneiden im Vergleich wesentlich besser ab als die Volksrepublik China und deren eher schmutzige und ano­nyme Hauptstadt Peking, wo Touristen und Einwohner auf der Straße, in Geschäften und Museen oft schmerzhaft das Ellbogen-Prinzip erfahren.

Taiwan steht in der ungebrochenen Tradition der Republik China, die 1911 gegründet wurde. Nach der Niederlage gegen die Kommunisten von Mao Tse-Tung 1949 verpackten die Nationalchinesen die Goldreserven und Kunstschätze der Verbotenen Stadt und schafften sie auf die vor der Südostküste Chinas liegende Insel – so dass noch heute die größten Kunstschätze aus der Geschichte Chinas nicht in Peking, sondern im Nationalen Palastmuseum in Taipeh zu bewundern sind.

Stabile Demokratie

Taiwan ist heute – nach jahrzehntelanger, strikt antikommunistischer Einparteienherrschaft der Kuomintang (KMT) von Staatsgründer Tschiang Kai-Schek und der inneren Liberalisierung seit den 1980er Jahren – eine stabile, lebendige Demokratie mit Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, eine offene Gesellschaft.

Bis 1971 war Taiwan die einzige Vertretung Chinas bei der Uno, allerdings erkannten im Lauf der 1970er Jahre nach den USA alle Nato-Staaten die Volksrepublik China an und stoppten die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan. Derzeit hat Taiwan 22 diplomatische Verbündete, meist kleine Staaten in Mittelamerika, Afrika und im Südpazifik. Einziger europäischer Partner ist der Vatikan. Taiwan ist in den westlichen Staaten durch Vertretungen der Hauptstadt Taipeh präsent, die de facto als Ersatz-Botschaften fungieren.

Ein „Global Player“

Wirtschaftlich ist das kleine, fleißige und reiche Taiwan ein „Global Player“ und Schwergewicht in der Region. Als High-Tech-Standort konkurriert es mit Japan und Südkorea. Die wichtigsten Tablet- und Notebook-Hersteller wie Acer, Asus, BenQ oder HTC haben ihren Sitz in Taiwan. Das alles entscheidende Verhältnis zum mehr als 60 mal größeren Festlandschina – auch als „Mainland China“ bezeichnet – entwickelt sich rasant, aber nicht konfliktfrei.

Nach der Erlaubnis von Investitionen aus Taiwan in der Volksrepublik ab 2001 ist China heute mit Abstand das größte Investitionsziel Taiwans und seit Jahren der größte Handelspartner. Viele taiwanesische Industriekonzerne lassen die High-Tech-Komponenten in Taiwan fertigen, schippern die Teile in die VR China und lassen die Geräte dann dort zusammenschrauben.

So steht zwar „Made in China“ auf den Produkten, aber der technologisch wichtigere Anteil stammt oft aus Taiwan. Daher hat ein beträchtlicher Anteil der chinesischen Rekord-Exporte in die USA oder nach Europa ihren Ursprung in Taiwan.

Die entscheidende Zukunftsfrage

Politisch ist das Verhältnis zum „Mainland China“ das mit Abstand wichtigste Thema auf der Agenda Taiwans. Es ist die alles entscheidende Zukunftsfrage und der wichtigste Punkt in allen Wahlkämpfen. Denn die VR China betrachtet Taiwan nur als abtrünnige Provinz und will sie sich einverleiben.

Das Beispiel Hongkong, wo China trotz anfänglicher Zusagen („Ein Land, zwei Systeme“) nun langsam aber stetig die Demokratie beseitigt, schreckt ab. Taiwan ist gewarnt und will unter keinen Umständen den Status als souveräne Republik und Hort der Freiheit aufgeben. Gleichzeitig ist eine Annäherung an die VR China wirtschaftlich lebenswichtig.

Reger Austausch

21 bilaterale Verträge haben Taiwan und die VR China seit 2008 geschlossen. Dank derer gibt es jetzt beispielsweise 118 Direktflüge täglich sowie einen regen touristischen Austausch. Jährlich besuchen mehr als drei Millionen Festlands-Chinesen Taiwan und können bei ihrer Visite live erleben, dass chinesische Kultur und Demokratie sehr wohl zusammenpassen – was von der Kommunistischen Partei in Peking ja immer bestritten wird.

Auch 125.000 Studenten vom Festland kosten in Taiwan das freie Leben und nehmen dieses Denken mit zurück in die Heimat. So will das kleine Taiwan langfristig als „demokratisch-pluralistischer Sauerteig“ für das große China wirken, wie der Direktor der Taipeh-Vertretung in München, David Wei-Ta Chang erklärt. Doch bis diese Riesen-Masse des „Mainland China“ mit seinen 1,2 Milliarden Menschen auf diese Weise durchsäuert ist, kann es natürlich ein bisschen dauern. Eine überaus ambitionierte Aufgabe ist das auf jeden Fall.

Vorsichtige Annäherung

Verantwortlich für die Annäherung ist ausgerechnet die traditionell antikommunistische KMT-Partei unter Präsident Ma Ying-Jeou, der seit 2008 das Land regiert. Doch es regt sich Kritik – vor allem an dem 2010 unterzeichneten Freihandelsabkommen. Im März 2014 hielten hunderte Studenten das Parlament in Taipeh besetzt, um die Ratifizierung zu verhindern – aus Angst vor einer zu großen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Volksrepublik.

Wenn nicht deren militärisches Säbelrasseln im Südchinesischen Meer zur Destabilisierung Taiwans führt, so die Befürchtung, könnten die Kommunisten irgendwann Taiwan über die Wirtschaftsschiene quasi überwältigen und eingemeinden. Viele Taiwanesen scheinen diese Sorge zu teilen: Bei den Kommunalwahlen im November verlor die KMT wichtige Städte wie etwa Taipeh. Stärker wurden dabei tendenziell Kräfte, die eine größere Selbständigkeit und Isolierung Taiwans fordern.

Das stachelt auch Präsident Ma Ying-Jeou an, noch etwas aggressiver für sein sehr ambitioniertes Konzept der demokratischen Umformung Chinas nach dem Vorbild Taiwans zu werben: Denn Anfang 2016 steht die Präsidentschaftswahl an.