Manuel Valls fordert Obergrenze
Klare Worte von Premierminister Manuel Valls: Frankreich übernimmt von der EU 30.000 Asylbewerber – „aber mehr werden es nicht“. EU-Kommissar Günter Oettinger fordert die Verschärfung des Asylrechts. Bundeskanzlerin Angela Merkel drängt auf einen europäischen Verteilungsmechanismus für Migranten. Paris wird Widerstand leisten: Denn Frankreichs Banlieues vertragen keine neue Massenzuwanderung.
Frankreich

Manuel Valls fordert Obergrenze

Klare Worte von Premierminister Manuel Valls: Frankreich übernimmt von der EU 30.000 Asylbewerber – „aber mehr werden es nicht“. EU-Kommissar Günter Oettinger fordert die Verschärfung des Asylrechts. Bundeskanzlerin Angela Merkel drängt auf einen europäischen Verteilungsmechanismus für Migranten. Paris wird Widerstand leisten: Denn Frankreichs Banlieues vertragen keine neue Massenzuwanderung.

Klare Worte von Frankreichs Premierminister Manuel Valls: „Europa muss sagen, dass es nicht mehr so viele Migranten aufnehmen kann, das ist nicht möglich.“ Valls Forderung nach sehr deutlicher Reduzierung – und implizit: Begrenzung – des Migrantenstroms nach Europa fielen im Interview mit mehreren europäischen Tageszeitungen. Am Vorabend des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel packte der Premier seine Kritik an Merkels Weigerung, eine Obergrenze für Asyl-Migranten festzulegen, in bemüht freundlich Worte: „Deutschland hat da eine ehrenwerte Wahl getroffen.“ Ein vergiftetes Lob an die Adresse Berlins: „Ehrenwert“, sagte Valls, nicht: „klug“. Mit Blick auf die einsame Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, die EU-Asylregeln außer Kraft zu setzen, fügte Valls hinzu: „Es war nicht Frankreich, das gesagt hat: Kommt!“ Soll heißen: Frankreich fühlt sich jetzt auch nicht in der Pflicht.

Europa muss sagen, dass es nicht mehr so viele Migranten aufnehmen kann, das ist nicht möglich.

Premierminister Manuel Valls

Statt weiterhin Tausende Migranten unkontrolliert nach Europa zu lassen, plädierte der Premier, sollten die Europäer mit den syrischen Nachbarstaaten Türkei, Libanon und Jordanien Lösungen finden, die dazu führen, dass diese Länder mehr Flüchtlinge erfassen und aufnehmen können. Sonst, so Valls, „stellt Europa seine Fähigkeit in Frage, seine Grenzen wirksam zu kontrollieren“. Der Premier fügte eine Warnung hinzu: Die Kontrolle von Europas Grenzen, entscheide über das Schicksal der Europäischen Union. Valls: „Wenn wir das nicht tun, dann werden die Völker sagen: Schluss mit Europa!“ Wer das als Drohung aus Paris versteht, liegt vermutlich nicht ganz falsch.

Frankreich hat vorgeschlagen, 30.000 Asylbewerber aufzunehmen – mehr werden es nicht.

Manuel Valls

Im Fernsehgespräch mit dem Sender France 2 wurde Valls am gleichen Abend in der Talk-Sendung „Des paroles et des actes“ – „Worte und Taten“ – noch deutlicher: „Es gibt eine Tradition der Aufnahme in Frankreich – aber man muss es auch beherrschen.“ Es gebe die Tradition des Empfangs und das verfassungsmäßige Recht auf Asyl, betonte der Premier: „Aber zugleich gibt es da noch etwas Wichtiges: Wir können in Europa nicht all diejenigen aufnehmen, die vor der Diktatur in Syrien fliehen.“ Valls nahm dann Bezug auf den Vorschlag der EU-Kommission, 160.000 Asylbewerber auf die EU-Mitgliedsländer zu verteilen und versprach den französischen Fernsehzuschauern eine präzise Asylanten-Obergrenze: „Frankreich hat vorgeschlagen, davon 30.000 aufzunehmen – mehr werden es nicht.“

Günter Oettinger: Asylrecht ändern

Kritik an der deutschen Haltung in der Migrationsfrage übte gegenüber der Tageszeitung Handelsblatt auch EU-Kommissar Günter Oettinger. Der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft macht Deutschlands großzügiges Asylrecht mitverantwortlich für die große Migrantenkrise. Oettinger: „Das deutsche Asylrecht wirkt wie ein Magnet auf die Flüchtlinge.“ Die Zuwanderung lasse sich nur dauerhaft begrenzen, wenn es weniger Anreize gebe, so Oettinger, der darum zur Änderung des Asylrechts rät: „Eine Änderung des Grundgesetzes wäre geboten, um das Asylrecht neu zu ordnen.“

Das deutsche Asylrecht wirkt wie ein Magnet auf die Flüchtlinge.

EU-Kommissar Günter Oettinger

Solange dies nicht geschehe, bliebe nur eine Alternative: „Milliardenhilfe für die Flüchtlingslager in der Türkei und anderen Staaten.“  Oettinger stellte allerdings sofort klar, dass sich die EU „an der Finanzierung nur begrenzt beteiligen“ könne. Der aktuelle EU-Haushalt lasse dafür nur wenig Spielraum. Wie Valls drängt auch Oettinger auf bessere Sicherung der EU-Außengrenzen, um die Migration nach Europa zu steuern. Dafür, so der EU-Kommissar, müsse die EU-Grenzschutzbehörde Frontex leistungsfähiger werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel drängt auf einen europäischen Verteilungsmechanismus und droht mit dem Ende des Schengener Abkommens.

Vor ihrer Begegnung mit Präsident Franςois Hollande in Paris hat Bundeskanzlerin Merkel unterdessen wieder auf einen permanenten und verbindlichen Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge in Europa gedrängt. In der Generaldebatte im Bundestag verlieh sie der Forderung mit einer Drohung Nachdruck: Die Fortdauer des Schengen-Abkommens über den kontrollfreien Reiseverkehr stehe auf dem Spiel. An der Frage einer solidarischen Verteilung der Flüchtlinge und an der „Bereitschaft zu einem permanenten Verteilungsmechanismus“, so Merkel, entscheide sich, „ob wir Schengen noch auf Dauer aufrecht erhalten können.“

Frankreichs Banlieues: Für die Republik verlorene Territorien

Doch in Frankreich wird Merkel mit ihrer Forderung weiter auf entschlossenen Widerstand stoßen. Der Terror in Paris und die Vorgänge im Problem-Stadtteil St. Denis lenken nun zum zweiten Mal in sehr kurzer Zeit die Aufmerksamkeit der Franzosen auf die gefährliche Situation in ihren Banlieue-Vorstädten. Vor einem Monat, noch vor den Terroranschlägen in Paris, wurden sie intensiv an die wochenlangen Zuwanderer-Krawalle in ihren Banlieue-Vorstädten vor genau zehn Jahren erinnert.

Anstieg des Islamismus und der Abschottung, begünstigt durch eine schlecht beherrschte Einwanderung.

Le Figaro

Alle Zeitungen und Fernsehsender ergingen sich in Reflexion und Analyse. Die Schlussfolgerung klang überall ähnlich pessimistisch: Seit 2005 ist viel Geld investiert worden, aber die Probleme sind geblieben. „Zehn Jahre nach den Krawallen versinken die Banlieues immer tiefer in der Misere“, titelte etwa die linksorientierte Pariser Tageszeitung Le Monde: „Die Armut wächst, der Drogenhandel blüht und die religiöse Radikalisierung beunruhigt.“ Das bürgerliche Konkurrenzblatt Le Figaro schrieb von immer zahlreicheren für „die Republik verlorenen Territorien“, wo Schulversagen, Arbeitslosigkeit und Kriminalität die Regel seien: „Zu diesem explosiven Cocktail hinzugekommen ist der Anstieg des Islamismus und der Abschottung, begünstigt durch eine schlecht beherrschte Einwanderung.“

Frankreichs Banlieues vertragen keine neue massenhafte arabische und afrikanische Zuwanderung.

Frankreichs Blick auf die Gewalt vor zehn Jahren und auf die heutige Wirklichkeit in seinen Migrantenvorstädten hat Folgen für die aktuelle Politik: Paris hat Angst vor der nächsten großen Explosion in seinen Zuwanderungsmilieus und ist vorsichtig geworden mit massenhafter arabischer und afrikanischer Zuwanderung. Frankreichs Banlieues vertragen das nicht mehr, und die Franzosen wissen es genau. Sie werden sich kaum drängen lassen – nicht von Berlin und nicht von Brüssel – jetzt Jahr für Jahr Hunderttausende Migranten aufzunehmen. Problem: Im Bundeskanzleramt und im Innenministerium in Berlin weiß man offenbar viel zu wenig über den Stand der Zuwanderungs- und Integrationsdebatte im Nachbarland.