Angespannte Sicherheitslage: Checkpoint von afghanischen Sicherheitskräften in der Provinz Wardak. Bild: Imago/Xinhua
Medienbericht

Ganz was Neues: Afghanistan ist unsicher

Das Auswärtige Amt zeichnet in einem angeblich dem NDR vorliegenden, vertraulichen Papier ein schlechtes Bild von der Lage in Afghanistan. Sollte dieser Bericht zutreffen, könnte er laut dem Sender die Abschiebung von Afghanen in ihre Heimat erschweren. Nur: So geheim ist diese Analyse gar nicht, man findet das Meiste ganz offiziell im Länderbericht auf der Webseite des Ministeriums.

Innenminister Thomas de Maizière will mehr Afghanen abschieben – schließlich habe unter anderem die Bundeswehr das Land sicherer gemacht. Doch im Auswärtigen Amt von Minister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sieht man das, dem Papier nach zu urteilen, anders. „NDR Info“ zitiert aus einem Bericht des Ministeriums über die „asyl- und abschieberelevante Lage“ vom 6. November 2015, der als Entscheidungshilfe für Gerichte und Behörden gedacht ist. Die 28-seitige Verschlusssache „Nur für den Dienstgebrauch“ beschäftige sich neben der Sicherheitslage vor allem mit der Umsetzung von Grund- und Menschenrechten, behauptet der Sender. Doch so umwerfend neu sind diese Erkenntnisse nicht, man findet sie fast alle auf der Webseite des Ministeriums. Steckt vielleicht die Absicht – von wem auch immer – hinter der Veröffentlichung, die Abschiebung von Afghanen zu verhindern? Wie auch immer, ein näherer Blick lohnt jedenfalls.

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet.

Angeblich vertraulicher Bericht zu Afghanistan

Besonders negativ werde laut NDR in dem Papier die Lage von Frauen und Kindern beurteilt. Trotz erheblicher Verbesserungen seit 2001 heißt es zur Lage der Frauen: „Traditionell diskriminierende Praktiken und Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter. (…) Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet.“ Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen fänden vor allem in der Familie statt, aber auch durch Arbeitskollegen. Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sei in weiten Teilen Afghanistans „nach wie vor ein großes Problem“, heißt es weiter, besonders durch Sicherheitskräfte. Die Justiz funktioniere „nur sehr eingeschränkt“, die Regierungsführung sei „weiterhin mangelhaft“ und die Entwicklung Afghanistans durch die weit verbreitete Korruption gehemmt.

Ganz was Neues: Angespannte Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist laut der Analyse regional unterschiedlich. „Die größte Bedrohung für die Bürger Afghanistans geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. (…) Die Zentralregierung hat auf viele dieser Personen kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen oder verurteilen“, zitiert der NDR. Die Zahl der zivilen Opfer liege mit fast 1600 im ersten Halbjahr auf Rekordniveau. Das Auswärtige Amt wollte den Bericht auf Anfrage von „NDR Info“ mit Hinweis auf die Vertraulichkeit des Papiers nicht kommentieren.

Nicht so ganz geheim

So bahnbrechend geheim ist diese Analyse aber auch wieder nicht. In der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (Stand 25. November) heißt es: „Der Aufenthalt in weiten Teilen des Landes bleibt gefährlich. “ Und weiter: „In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden. Auch in der Hauptstadt Kabul können Attentate, Überfälle, Entführungen und andere Gewaltverbrechen nicht ausgeschlossen werden.“ Laut dem weiteren Länderbericht hätten die afghanischen Sicherheitskräfte inzwischen nahezu landesweit die Sicherheitsverantwortung übernommen, „haben die Lage jedoch bisher nicht überall unter Kontrolle bringen können“. Dazu kommen weitere landeskundliche Hinweise wie über „die weit verbreitete Korruption“. Auch die Menschenrechte werden dort thematisiert: „Dennoch bleibt die Menschenrechtslage in Afghanistan, insbesondere die Lage der Frauen, aber auch anderer Bevölkerungsgruppen wie Kinder oder religiöse Minderheiten, schwierig.“ Und zu den Frauenrechten steht dort: „Gewalt gegen Frauen ist in Afghanistan weit verbreitet. (…) In 70 Prozent der Fälle sei der Ehemann der Täter; 90 Prozent der Taten fänden im familiären Umfeld statt.“