Bilder des Krieges, Krieg der Bilder: Die russische Luftwaffe bombardiert hier angeblich ein Trainingscamp der IS-Terrormiliz in Syrien. (Foto: imago/ITAR-TASS)
Syrien

Hollandes schwierige Koalition gegen den Islamischen Staat

Kein guter Start für den großen Koalitionskrieg gegen den IS: Türkische Flugzeuge schießen einen russischen Bomber ab. Präsident Hollande ist auf schwieriger Mission in Washington und Moskau mit dem Streit um die Rolle von Diktator Assad. Syrien und Irak lösen sich auf, und niemand hat eine politische Vorstellung davon, wie es in der Region weiter gehen soll.

Kein guter Start für die „große und einzige Koalition“ gegen den Islamischen Staat, die zu schmieden sich Frankreichs Präsident Franςois Hollande vorgenommen hat: Während Hollande gerade auf dem Weg nach Washington war, zum Gespräch mit US-Präsident Barack Obama, schossen türkische Flugzeuge einen russischen Bomber ab – über türkischem Territorium, sagt Ankara. Über syrischem Territorium, sagen die Russen. Das Flugzeug ist jedenfalls in Syrien abgestürzt, fünf Kilometer von der Grenze entfernt. Einer von zwei Piloten ist tot. Presseberichten zufolge wurde er womöglich von Anti-Assad-Rebellen umgebracht. Ankara unterstützt in der Region turkmenische Rebellen, die russische Flugzeuge zuvor schon bombardiert haben. Mit einer russischen Reaktion ist zu rechnen.

Ein russischer Pilot wurde womöglich von Anti-Assad-Rebellen umgebracht.

Der Vorfall ist kennzeichnend für die Situation im ausgedehnten syrisch-irakischen Bürgerkriegsgebiet, wo eine beinahe schon unüberschaubare Zahl von nahen und fernen Akteuren samt Stellvertretern eben nicht etwa nur gegen den Islamischen Staat oder gegen den syrischen Diktator Assad kämpft. Alle haben sehr unterschiedliche, einander entgegenwirkende politische Ziele und militärische Prioritäten. Im Grunde stehen fast alle Akteure irgendwie und irgendwo gegeneinander, oder kämpfen gar gegeneinander, jeder gegen jeden, direkt oder indirekt.

Ankara unterstützt in der Region turkmenische Rebellen, die russische Flugzeuge zuvor schon bombardiert haben. Mit einer russischen Reaktion ist zu rechnen.

Koalitionskonsens über das politische Ziel in Syrien und Irak wird Hollande kaum zustande bringen. Ob sein kleiner Gipfel-Marathon wenigstens dazu führt, dass der Krieg gegen den IS wenigstens gemeinsame militärische Priorität erhält, muss sich zeigen. Sicher ist es nicht. Immerhin hat ihm am gestrigen Montag Großbritanniens Premierminister David Cameron in Paris Beistand zugesichert, auch militärischen. Anfang nächste Woche will Cameron dem Unterhaus die Zustimmung zu Flugeinsätzen gegen IS-Ziele in Syrien abtrotzen. Britische Flugzeuge könnten dann sehr schnell zum Einsatz kommen.

Washingtons Misstrauen: Keine Zugeständnisse beim Thema Ukraine

In Washington dagegen warten schwierigere Gespräche. Im Weißen Haus hat man mit hochgezogenen Brauen zur Kenntnis genommen, dass sich Hollande von seiner bislang besonders harten Anti-Assad-Linie verabschiedet hat. „In Syrien suchen wir weiter eine Lösung ohne Assad, aber unser Feind, unser Feind in Syrien, das ist der Islamische Staat“, hat er vergangene Woche in Versailles sehr deutlich gesagt. Das Wort und die Pariser Syrien-Wende, die es bedeutet, ist die Voraussetzung für engere Zusammenarbeit mit Moskau. Jetzt fürchtet Washington, dass Hollande dafür zu weiteren Zugeständnissen bereit sein und Putin am Ende auch in der Ukraine-Frage entgegen kommen könnte – etwa beim Thema Sanktionen. Und das genau jetzt, wo eine entscheidende Ukraine-Frist abläuft: Bis 31. Dezember müssen Kiew, Moskau und die ostukrainischen Separatisten die Bedingungen des Minsker Waffenstillstands erfüllt haben. Nach Washingtoner und Kiewer Auffassung sind Moskau und die Separatisten im Verzug. Und im Januar muss die Europäische Union über die Verlängerung der Sanktionen gegen Moskau entscheiden. Für Washington ist es wichtig, das Paris hart bleibt – in der Ukraine-Frage und bei den Sanktionen.

Für Putin ist die Intervention gegen den Islamischen Staat nur ein Vorwand, um in Syrien auf der Seite seines Schützlings Bashar Assad eingreifen zu können.

In Syrien wollen die USA bislang von militärischer Zusammenarbeit mit den Russen nichts wissen. Washington glaubt, so berichtet es die in der US-Hauptstadt wichtige Tageszeitung Politico unter Berufung auf US-Sprecher, dass die russische Intervention gegen den Islamischen Staat für Putin nur ein Vorwand ist, um in Syrien auf der Seite seines Schützlings Bashar Assad eingreifen zu können. Dies und einiges mehr wird Hollande im Weißen Haus zu hören bekommen. Zwei andere leicht widersprüchliche Gedanken wird er dabei im Kopfe wälzen: Ohne amerikanische Mitwirkung und Unterstützung werden die Europäer in Syrien und im Irak gegen den IS nicht viel bewegen können. Zugleich aber sind die Russen bislang die einzigen, die in der Lage und auch willens wären, in Syrien militärische Kräfte einzusetzen. Präsident Obama schließt den Einsatz von amerikanischen Bodentruppen in Syrien bislang kategorisch aus. Moskau hat dort schon etwa 4000 Soldaten stehen und nahe der südsyrischen Stadt Homs offenbar auch schon eine Artillerie-Einheit.

Kaum deutscher Beistand in Syrien

Bevor Hollande am Donnerstag nach Moskau fliegt, wird er am Mittwoch in Paris Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen. Ein Versprechen über militärischen Beistand in Syrien wird er von ihr nicht erwarten – aber mehr als die bisherigen Kondolenzadressen schon. Zwischen den beiden könnte es im Elysée-Palast um bewaffneten deutschen Einsatz in Mali gehen oder um finanzielle Beteiligung am Krieg gegen den Islamischen Staat. Oder um beides. Auch negative französische Kompensation ist vorstellbar: Weil Merkel soviel nicht anzubieten hat, ist sie nun in schlechterer Position, wenn sie gegenüber Paris auf Solidarität bei der Bewältigung der Migrantenfrage drängen will. Gut möglich, dass sie es lässt. Zurück aus Moskau wird Hollande in Paris gleich den nächsten Gipfel-Gast empfangen: Chinas Präsidenten Xi Jin Ping.

Moskaus: Assads Zukunft ist unverhandelbar

In Moskau wird er zuvor vor allem zwei Dinge zu hören bekommen: Zum einen ist für die Russen die Zukunft von Diktator Assad unverhandelbar, jedenfalls noch für eine ziemliche Weile. Putins Syrien-Verbündeter Iran braucht Assad in Damaskus. Unbedingt. Und Putin muss an Assad festhalten, um auf keinen Fall seine Diktatoren-Freunde in Zentral-Asien zu erschrecken und an Moskauer Loyalität zweifeln zu lassen. Zum anderen wird Putin Washingtons Politik von Demokratisierung und Regimewechsel im Mittleren Osten ganz allgemein und in Syrien ganz speziell für gescheitert erklären. Für Moskau auch ein Grund, an Assad noch eine Weile festzuhalten.

Putin will auf keinen Fall seine Diktatoren-Freunde in Zentral-Asien erschrecken und an Moskauer Loyalität zweifeln lassen.

In Moskau hat man Hollandes Ruf nach einem umfassenden Bündnis gegen den Islamischen Staat sofort aufgegriffen und gleich von einer großen Koalition im Stil der einstigen Anti-Hitler-Koalition gesprochen. Soweit ist es noch nicht. Sicher ist: Die Isolierung Russlands nach Moskaus Angriff auf die Ukraine lockert sich.

Ohne Bodentruppen geht es nicht − aber woher sollen sie kommen?

Unterdessen kommt der Krieg gegen den IS in Schwung, mit oder ohne großer Koalition: Frankreich hat seinen Flugzeugträger Charles de Gaulle vor der syrischen Küste in Stellung gebracht und steigert die Luftangriffe gegen die syrische IS-Hauptstadt Rakka. Russland übt Rache für den Bombenanschlag auf jenen russischen Urlaubsflieger über der Sinai-Halbinsel und lässt ebenfalls Bomben auf Rakka und andere IS-Stellungen regnen. Die Amerikaner haben, ebenfalls aus der Luft, wohl schon ein Drittel der IS-Tanklastzüge zerstört – und treffen damit die IS-Öleinnahmen empfindlich.

Amerikanische Versuche, in Syrien sogenannte moderate Rebellen zu rekrutieren, auszubilden, zu bewaffnen und in den Kampf gegen die Islamisten zu schicken, sind grandios gescheitert.

Das wird nicht reichen. Wer den Islamischen Staat wirklich zerstören will, wird ihn aus Syrien und Irak, aus Rakka und Mossul vertreiben müssen. Aber dafür bräuchte es Bodentruppen – die es bis jetzt nirgendwo gibt. Die Kurden in Syrien und Irak kämpfen nur für ihr eigenes Gebiet. Und wer mehr von ihnen will und sie vielleicht noch aufrüstet, zieht sofort die maßlose Wut Ankaras auf sich. Amerikanische Versuche, in Syrien sogenannte moderate Rebellen zu rekrutieren, auszubilden, zu bewaffnen und in den Kampf gegen die Islamisten zu schicken, sind grandios gescheitert − für sehr viel Geld. Soll man den Bodenkrieg gegen den IS den Assad-Truppen überlassen, unterstützt von Iranern, der schiitischen Hisbollah-Miliz und russischen Kräften ? Das würde alle Sunniten, von den Saudis bis zu den Türken, in Raserei versetzen – und nicht zuletzt die sunnitischen Rebellen in Syrien sowie die sunnitische Bevölkerung im IS-Gebiet.

Für die Saudis ist eben nicht der Islamische Staat die Priorität, sondern Teheran und dessen Verbündete in der Region; für die Türken sind es auch nicht die sunnitischen Islamisten, sondern die Kurden.

Bleibt ein Vorschlag der Londoner Wochenzeitung The Economist: Eine Truppe aus türkischen, saudischen und golfarabischen Truppen mit UN-Mandat. Klingt interessant. Doch ist es vorstellbar, dass Türken, Saudis und Golfaraber einen Krieg kämpfen, an dessen Ende der Alawiten-Diktator Assad in Damaskus die Macht behält und mit ihm Teheran? Eher nicht. Für die Saudis ist eben nicht der Islamische Staat die Priorität, sondern Teheran und dessen Verbündete in der Region; für die Türken sind es auch nicht die sunnitischen Islamisten, sondern die Kurden.

Syrien und Irak gibt es nicht mehr

Das ist die Krux: Níemand hat eine Vorstellung, gar einen Plan für die Zeit nach Assad, nicht in Syrien und nicht im Irak. Der Westen kämpft in Syrien und im Irak ohne politische Ziele, ohne politische Perspektive, die er den Irakern und Syrern anbieten könnte, erst recht nicht denen, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben und ihn als geringeres Übel betrachten. Das beobachtet der französische Historiker und Mittelost-Experte Pierre-Jean Luizard in seinem kürzlich erschienenen klugen kleinen Buch: „Le piège Daech – L’Etat islamique ou le retour de l’Histoire — Die Falle Daech – Der Islamische Staat oder die Wiederkehr der Geschichte.“  Wiederherstellung der Souveränität Bagdads über den Irak? Luizard: „Lächerlich. Das ist gewiss das Letzte, was sich die Bewohner von Mossul, Tikrit und Falloujah heute wünschen.“

Der Westen kämpft in Syrien und im Irak ohne politische Ziele, ohne politische Perspektive, die er den Irakern und Syrern anbieten könnte.

Niemand will es zugeben: Aber Syrien und Irak gibt es gar nicht mehr. Beide Länder – wenn sie je wirklich welche waren – haben sich längst in je drei Teile zerlegt: Syrien in ein Alawitistan, ein Kurdistan und eben jenes große vom IS beherrschte syrisch-irakische Sunniten-Gebiet. Niemand wird so schnell den syrischen Staat wieder zusammensetzen. Noch weniger Syriens gesellschaftliches Mosaik aus Religionen und Ethnien. Und ebenso wenig den Irak, wo Bagdad nur noch für die irakischen Schiiten spricht, und wo den Kurden zur Souveränität nur noch die internationale Anerkennung fehlt. Das ist die neue mittelöstliche Realität. Aber niemand in der Region will sie anerkennen: Die Saudis können den Schiiten nicht Bagdad lassen und Teheran nicht den Sunniten Damaskus.

Ein Krieg, der ohne politische Perspektive begonnen wird – ist der nicht schon von vornherein verloren?

Pierre-Jean Luizard, französischer Historiker und Irak-Experte

Der Mittlere Osten wird verschlungen vom „titanischen Kampf zwischen sunnitischem und schiitischem Islam, überlagert vom Konflikt zwischen regionalen Mächten und der Rivalität zwischen Amerika und Russland“, beobachtet wieder The Economist. Ideale Bedingung für den Islamischen Staat, der weiter wuchern wird, solange das so bleibt. Und eine üble Voraussetzung für Krieg gegen ihn, warnt der französische Historiker Luizard: „Eine lange historische Periode geht zu Ende: Es gibt keine Rückkehr zu jenem Mittleren Osten, den wir seit fast einem Jahrhundert kennen. Und ein Krieg, der ohne politische Perspektive begonnen wird – ist der nicht schon von vornherein verloren? Das ist die Falle, die der Islamische Staat den westlichen Demokratien stellt, und für die er gewiss eine tödliche Gefahr bedeutet.“