Schlepper-Land Kroatien
Slowenien im Katastrophen-Modus: 26.000 Migranten in zwei Tagen. Kroatien lädt jeden Tag etwa 10.000 Migranten einfach an der slowenischen Grenze ab – und fordert das Nachbarland auf, sie doch einfach nach Österreich zu schleusen. Slowenien erwägt darum den Bau eines Grenzzauns. Migrantenrekord auch auf den Ägäis-Inseln Lesbos und Chios: 40.000 in fünf Tagen. Der EU-Gipfel? Eine Farce.
Migrantenkrise

Schlepper-Land Kroatien

Slowenien im Katastrophen-Modus: 26.000 Migranten in zwei Tagen. Kroatien lädt jeden Tag etwa 10.000 Migranten einfach an der slowenischen Grenze ab – und fordert das Nachbarland auf, sie doch einfach nach Österreich zu schleusen. Slowenien erwägt darum den Bau eines Grenzzauns. Migrantenrekord auch auf den Ägäis-Inseln Lesbos und Chios: 40.000 in fünf Tagen. Der EU-Gipfel? Eine Farce.

Slowenien: 26.000 Migranten in zwei Tagen

Die Bundespolizei in Bayern bereitet sich auf die nächste große Migrantenwelle vor. Aus gutem Grund: Auf dem Balkan bricht der Ansturm wieder alle Rekorde – und Slowenien kann die Flut nicht stoppen. Für Freitag berichteten slowenische Stellen von über 14.000 Migranten auf der Durchreise nach Österreich und Deutschland. Am Tag zuvor waren es 12.000 – vor allem aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und dem Irak. Dem kroatischen Innenministerium zufolge sind seit vergangenem Samstag 47.000 Migranten in das kleine Alpen-Adria-Land geströmt. Slowenien ist mit 20.000 Quadratkilometern nicht einmal ein Drittel so groß wie Bayern und zählt zwei Millionen Einwohner.

Die Kroaten laden täglich 10.000 Migranten einfach an der slowenischen Grenze ab.

Ursache der Migrantenflut: Sloweniens Nachbarland Kroatien transportiert viel zu schnell viel zu viele Migranten von seiner Grenze zu Serbien zu seiner Grenze zu Slowenien. Um sie möglichst schnell los zu werden, fahren die Kroaten Tag für Tag mindestens 10.000 Migranten zehn Stunden per Zug quer durch ihr Land und laden sie dann einfach vor der slowenischen Grenze ab. Aber Slowenien, das an einer Schengen-Außengrenze seinen Registrierungspflichten nachkommen muss, kann pro Tag nur 2500 Migranten registrieren, abfertigen und nach Österreich weiterleiten.

Hohn aus Zagreb

Sloweniens Regierungschef Miro Cerar hat Zagreb für seinen Mangel an Solidarität und Kooperation scharf kritisiert. Die Antwort aus dem jüngsten EU-Mitgliedsland Kroatien: Gelächter. Weil die Slowenen sich an die Schengen-Regeln halten wollen, warf ihnen Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic allen Ernstes indirekt Dummheit vor. Die Slowenen sollten sich nicht so anstellen und die Migranten doch einfach passieren lassen und sie, so wie die Kroaten, möglichst schnell durch ihr Land hindurch transportieren. Milanovic: „Kann sich Slowenien nicht ein wenig rationaler verhalten? Ich weiß nicht, was die machen, die sollen die Leute doch einfach durchlassen.“ Milanovic weiter: „Die (Slowenen) haben es doch viel einfacher als wir und müssen die Flüchtlinge nur 30 bis 40 Kilometer transportieren und wir 300 Kilometer.“ Soviel zum Thema Solidarität unter EU-Partnern.

Kann sich Slowenien nicht ein wenig rationaler verhalten? Ich weiß nicht, was die machen, die sollen die Leute doch einfach durchlassen.

Kroatiens Ministerpräsident Zoran Milanovic

Slowenien erwägt nun den Bau eines Zauns an seiner Grenze zu Kroatien. Zunächst warteten die Slowenen auf eine europäische Lösung und auf europäische Hilfe. Sollte die auf dem bevorstehenden EU-Sondergipfel am Sonntag keine Konturen annehmen, werde sein Land „alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten prüfen“, so Ministerpräsident Cerar – eben auch die der Abriegelung der Grenze. Cerar: „Sollten wir auf der europäischen Ebene die Hoffnung verlieren, sind alle Optionen möglich, denn dann sind wir auf uns selbst gestellt.“

EU-Gipfel: Schuld sind immer die anderen

Dieser Fall scheint nun einzutreten: Beim Sondertreffen wegen des Chaos auf der Balkanroute war die Atmosphäre in Brüssel angespannt. „Jeder ist versucht zu sagen, jemand anders ist Schuld“, sagte ein Diplomat am Rande der Gespräche von zehn EU-Ländern sowie Mazedonien, Serbien und Albanien. Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic äußerte wenig Hoffnung auf rasche Fortschritte. Die EU plant laut Entwurf für die Abschlusserklärung, innerhalb einer Woche mehr als 400 Grenzschützer in Slowenien und auf dem Balkan einzusetzen. Druck gab es auf Griechenland. Einige Regierungschefs warfen Ministerpräsident Alexis Tsipras vor, zu wenig für den Schutz der EU-Außengrenzen zu tun. Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic kritisierte Griechenland als Tor für Flüchtlinge in die Europäische Union: „Warum kontrolliert Griechenland nicht sein Seegebiet zur Türkei? Ich weiß es nicht.“ Tsipras beklagte dagegen die Abwesenheit des „entscheidenden Partners“ Türkei bei dem Treffen, ohne den es schwer werde, eine Lösung zu finden. Athen werde bis Ende des Jahres wie zugesagt fünf Registrierungszentren (Hotspots) einrichten.

Europa steht auf dem Spiel, wenn wir nicht alles tun, was in unserer Macht steht, um gemeinsam eine Lösung zu finden.

Miro Cerar, Sloweniens Regierungschef

Außerdem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex in einer neuen Mission die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien sowie Albanien besser absichern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, bei dem Treffen gehe es „um Linderung, um vernünftiges Obdach, um Wartemöglichkeiten und Ruhemöglichkeiten für die Flüchtlinge“ sowie die Aufgabenteilung entlang der Balkanroute. Die Kanzlerin warnte allerdings: „Nicht lösen können wir das Flüchtlingsproblem insgesamt. Da bedarf es unter anderem natürlich weiterer Gespräche mit der Türkei.“ Sloweniens Regierungschef Miro Cerar warnte vor dem Ende der EU, wenn Europa die Krise nicht in den Griff bekomme: „Europa steht auf dem Spiel, wenn wir nicht alles tun, was in unserer Macht steht, um gemeinsam eine Lösung zu finden.“ In den vergangenen zehn Tagen seien in seinem Land mehr als 60.000 Flüchtlinge angekommen. Umgerechnet auf ein großes Land wie Deutschland entspräche dies einer halben Million Ankömmlinge in Deutschland pro Tag. Auf dem Tisch lag ein 16-Punkte-Plan von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur besseren Zusammenarbeit entlang der Route über den westlichen Balkan. Der Weitertransport der Migranten zur nächsten Landesgrenze soll aufhören, wenn es dafür keine Genehmigung des Ankunftsstaates gibt. „Eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen in ein Nachbarland ist nicht akzeptabel“, heißt es.

Ägäis-Inseln: So viele Migranten wie noch nie dieses Jahr

Und der Druck steigt weiter. Denn auch am südlichen Ende der Balkanroute erreicht die Welle der Migranten neue Rekordwerte: Innerhalb von fünf Tagen haben wieder fast 50.000 Migranten vom türkischen Festland aus die griechischen Ägäis-Inseln erreicht – so viele wie noch in diesem Jahr. Am Tag kommen jetzt durchschnittlich etwa 9600 Personen auf den Inseln an. Besonders belastet ist weiterhin die Insel Lesbos, die seit dem 17. Oktober fast 30.000 Migranten erreichten. Fast 10.000 weitere kamen auf der Nachbarinsel Chios an − täglich etwa 2000. Auch sie alle werden innerhalb der nächsten Woche an den kroatischen und slowenischen Grenzen auflaufen. Migranten-Berichten zufolge dauert die inzwischen von allen Ländern auf der Balkanroute gut organisierte Reise von der Ägäis bis nach Österreich etwa sieben Tage.

Seit 17. Oktober kamen fast 40.000 Migranten auf den Ägäis-Inseln Lesbos und Chios an − sie sind jetzt unterwegs nach Kroatien und Slowenien.

Ein Ende des Migrantenstroms ist nicht abzusehen. Denn die Türkei öffnet alle Schleusen in Richtung Europa täglich noch weiter. Womöglich aus sehr politischem Kalkül. Ankara spricht jetzt von einem neuen Ansturm von Zehntausenden syrischen Flüchtlingen auf die türkische Grenze. Einem Vizepräsidenten des Türkischen Roten Halbmonds zufolge sind allein aus Aleppo 80.000 Personen geflohen. Aktivisten syrischer Hilfsorganisationen sprechen von 20.000 bis 70.000 syrischen Flüchtlingen auf dem Weg Richtung Türkei.

Ankara nutzt die Migranten als Waffe gegen Europa − und Moskau

Auslöser der neuen Fluchtwelle in Syrien sei die von russischen Flugzeugen unterstützte jüngste Offensive der Truppen von Diktator Assad, sagen sowohl Ankara als auch Vertreter der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA). Die Argumentation dient Ankaras politischen Zielen in Syrien.

Denn Russlands Intervention zugunsten von Diktator Assad wirft alle türkischen Syrien-Pläne über den Haufen. Aber gegen Moskau ist Ankara machtlos. Doch jetzt hat Präsident Recep Erdogan offenbar ein neues politisches Instrument entdeckt, pünktlich zur Syrien-Konferenz in Wien: Er nutzt die Flüchtlinge als Waffe gegen Europa. Mit ihr will er die Europäer zwingen, ihrerseits Druck auf Moskau auszuüben und Wladimir Putin im türkischen Sinne zur Vernunft zu bringen. Darum öffnet Ankara jetzt seine Grenzen und droht den Europäern mit Zehn- oder Hunderttausenden weiteren Migranten. Europas große Migrantenkrise ist noch lange nicht zu Ende.(HM/dpa/avd)