Erste Online-Konferenz zwischen dem Präsidenten Taiwans, Ma Ying-jeou, und den Spitzen des EU-Parlaments. Hier Präsident Ma (groß), im kleinen Bild der frühere polnische Premier und ehemalige EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek (l.) und die ehemalige Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding (M.). (Foto: Wolfram Göll)
Taiwan und EU

Engere Kooperation angestrebt

Der Präsident Taiwans, Ma, und die wichtigsten Repräsentanten des Europaparlaments befürworten eine engere Kooperation zwischen der EU und Taiwan. Taiwan plant Friedensinitiativen für das Ost- und das Südchinesische Meer. Besonders lobt Ma die deutsche Wiedervereinigung sowie die europäische Aussöhnung – als Vorbild für China und ganz Ostasien.

Angesichts der aggressiven Aufrüstungs- und Hegemonialpolitik der Volksrepublik China plant Taiwan plant weitere diplomatische Friedensinitiativen für das Ost- und das Südchinesische Meer. Das erklärte der taiwanesische Präsident Ma Ying-jeou bei der ersten Online-Konferenz mit den Spitzen des Europaparlaments. „Ich verspreche: Taiwan wird ein Friedensfaktor in der ostasiatischen Region bleiben“, sagte Ma. Ziel sei, dass alle angrenzenden Nationen die Untersee-Ressourcen friedlich nutzen könnten.

Auf EU-Seite nahmen an der Online-Konferenz unter anderem die frühere Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, der ehemalige polnische Regierungschef und EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek sowie EVP-Fraktionschef Manfred Weber teil. Die EU-Vertreter und Präsident Ma vereinbarten eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und Taiwan, das von allen Sprechern von Seiten der EU als Vorbild an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ostasien gelobt wurde.

Wirtschafts- und Handelsabkommen ist notwendig

Zunächst steht eine Vereinbarung zu Wirtschaft, Handel und Investitionsschutz zwischen der EU und Taiwan an, darin waren sich alle Sprecher einig. Tenor der Wortmeldungen war, dass der bilaterale Handel zwischen der EU und Taiwan mittlerweile ein Ausmaß angenommen habe, der ein solches Abkommen notwendig mache. Taiwan ist nicht nur Weltmarktführer bei vielen Bereichen der IT- und der Nanotechnologie, sondern auch der siebtgrößte Handelspartner der EU weltweit. Umgekehrt ist die EU der fünftgrößte Handelspartner Taiwans.

Es bestehen bereits jetzt 79 bilaterale Verträge, Abkommen, Verabredungen und Initiativen zwischen Taiwan und den EU-Staaten, so Präsident Ma weiter. Die Taiwanesen hätten mittlerweile Visafreiheit in 148 Ländern der Erde, unter anderem der EU, den Überseegebieten Frankreichs und der Niederlande sowie Albanien und dem Kosovo. Präsident Ma betonte, auch die Zahl der taiwanesischen Touristen in der EU sei stark angestiegen. „Die Taiwanesen bewundern die europäische Kultur – und sie kaufen auch viel in der EU ein“, so Ma.

Präsident plant Studentenaustausch nach deutsch-französischen Vorbild

Zur weiteren friedlichen Annäherung mit der Volksrepublik plant Taiwan einen beiderseitigen Studentenaustausch für mehr als 30.000 Studenten jährlich, so Ma. Schon jetzt bestehen 120 Direktflüge zwischen Taiwan und der Volksrepublik pro Tag, und zwar mit 60 verschiedenen Städten – eine Zahl, die man sich noch vor wenigen Jahren nicht habe vorstellen können. 14 Millionen Festlandschinesen hätten Taiwan bisher als Touristen besucht, davon vier Millionen allein im Jahr 2014. Stolz erwähnte Ma, er habe seit seinem Amtsantritt 2008 bisher 23 bilaterale Verträge mit der Volksrepublik unterzeichnet.

Wenn sich junge Menschen aus beiden Ländern treffen können, überwinden sie den Hass der älteren Generationen.

Ma Ying-jeou, Präsident von Taiwan

Der Präsident bezeichnete die deutsch-französische Freundschaft, die europäische Einigung  und vor allem die deutsche Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit als Vorbild für China und den ganzen ostasiatischen Raum. „60 Jahre lang hat die EU mit ihrem Aussöhnungskurs den Frieden gestärkt, die Aussöhnung und das gegenseitige Verständnis der Völker gefördert. Sie ist ein würdiger Träger des Friedensnobelpreises“, lobte Ma.

Etwa das Beispiel des deutsch-französischen Jugendaustausches nach dem Zweiten Weltkrieg habe gezeigt: „Wenn sich junge Menschen aus beiden Ländern treffen können, überwinden sie den Hass der älteren Generationen.“ Dies sei der Hintergrund der taiwanesischen Initiative eines verstärkten Studentenaustauschs mit der Volksrepublik. Er bezeichnete die friedliche Verständigung zwischen der Volksrepublik und Taiwan als „zentrales Element“ seiner Präsidentschaft – natürlich unter Beachtung des Status Quo der Souveränität Taiwans.

Buzek fordert Aufhebung der EU-Einreisesperre gegen Taiwans Regierung

Ein Vorbild sei die EU auch, wenn es darum gehe, widerstreitende Wirtschaftsinteressen verschiedener Staaten auszutarieren, lobte Präsident Ma. Als Beispiel führte er den Streit zwischen Großbritannien, Deutschland, Norwegen und Dänemark um die Ausbeutung der Öl- und Gasreserven in der Nordsee an: Der Streitfall sei vom EU-Gerichtshof in Luxemburg „friedlich“ – wie Ma extra betonte – beigelegt worden. Dies wurde allgemein als Anspielung auf den aggressiven Expansionskurs der Volksrepublik China im Südchinesischen Meer verstanden.

EVP-Fraktionschef Manfred Weber erklärte, die Europäer hörten es sehr gern, dass Präsident Ma die jahrzehntelange Aussöhnungsaktivität der EU als Vorbild für Ostasien und China bezeichne. Dass Ma den bilateralen Studentenaustausch verstärken wolle, nannte Weber eine „großartige Idee“.

Ex-EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek forderte indirekt eine Aufhebung der faktischen Einreisesperre für die Staatsspitze Taiwans in die EU, indem er sagte: „Ich hoffe, wir können bald hier in Brüssel miteinander sprechen.“ In den EU-Staaten gilt im Zuge der Ein-China-Politik kein formelles, aber ein faktisches Einreiseverbot für die fünf höchsten Repräsentanten Taiwans: den Staatspräsidenten, den Vizepräsidenten, den Regierungschef, den Außenminister, den Verteidigungsminister sowie den Parlamentspräsidenten – und zwar für dienstliche wie auch private Zwecke. Derzeit gibt es offiziell keinerlei Pläne, die Einreiseverbote aufzuheben. An Buzek gewandt, antwortete Präsident Ma daher augenzwinkernd, vermutlich käme ein direktes Gespräch rascher zustande, wenn die EU-Vertreter ihn in seinem Büro in Taipeh besuchten.

Taiwanesen betrachten Chinas Säbelrasseln und Wirtschaftsschwäche mit großer Sorge

Im Anschluss an die Online-Konferenz, die die Taipeh-Vertretung in München unter Leitung von Generaldirektor David Wei-ta Chang einem kleinen Kreis von deutschen Wissenschaftlern und Journalisten vorführte, äußerten Taiwan-Experten die Befürchtung, dass nicht nur taiwanesische Investitionen in der Volksrepublik, sondern auch der Friede in der ganzen Region insgesamt gefährdet sei. Taiwan ist der größte Investor in der Volksrepublik China.

Viele weltweit bekannte High-Tech-Produkte werden in Taiwan entwickelt und auf dem Festland zusammengeschraubt. Daher betrachten viele Taiwanesen die momentane wirtschaftliche Schwächephase der Volksrepublik mir Sorge. Gleichzeitig bedroht das militärische Säbelrasseln der Volksrepublik im Südchinesischen Meer die Souveränität des Inselstaates.

Sind Taiwan und das Festland bereits zu eng verflochten?

Kritiker – vor allem aus der taiwanesischen Opposition und unter Studenten – befürchten außerdem, dass die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Taiwan und Festlandschina bereits so eng ist, dass China etwa mit einer umfassenden Beschlagnahme-Aktion Taiwan an der Rand des Bankrotts bringen und somit die Souveränität des Inselstaates ohne einen einzigen Schuss abschaffen könnte.

Im Frühjahr 2014 hatten hunderte Studenten das Parlament in Taipeh besetzt, um gegen ein Handelsabkommen und eine zu enge Verflechtung mit dem Festland zu protestieren. Im Januar 2016 finden Präsidentschaftswahlen statt. Präsident Ma muss sich im Wahlkampf für seinen Annäherungskurs rechtfertigen.