Barbarenmiliz: Die IS-"Gotteskrieger". (Bild: Fotolia/Oleg Zabielin)
Frankreich

Reise in den Tod

Immer mehr Dschihadisten mit französischen Pässen ziehen nach Syrien und Irak. 910 waren insgesamt schon dort, fast 500 halten sich derzeit dort auf. Neuen Zahlen des französischen Innenministeriums zufolge haben 126 von ihnen den Tod gefunden. Bedrückend: Ein Viertel von ihnen sind Konvertiten – die der Islamische Staat besonders gerne in Selbstmord-Attentaten verheizt.

„Jeden Monat sterben in Syrien sieben Franzosen“, titelte kürzlich die Pariser Tageszeitung Le Monde. Gemeint waren Dschihadisten des Islamischen Staates mit französischen Pässen. Auf einer ganzen Seite präsentierte das Blatt eine spannende Aufschlüsselung der Aktivitäten französischer Dschihadisten im sogenannten Islamisch en Staat in Syrien und Irak. Die Zahlen aus der letzten Bilanz des französischen Innenministeriums von Ende Juli 2015 sprechen eine deutliche Sprache: Immer mehr IS-Dschihadisten kommen aus Frankreich und immer mehr sterben: In nur einem Jahr hat sich ihre Zahl um 44 Prozent erhöht, aber ihre Todesrate um 280 Prozent.

910 Dschihadisten mit französischen Pässen sind oder waren in Syrien und Irak für den Islamischen Staat im Einsatz – die Londoner Tageszeitung The Daily Telegraph schrieb im vergangenen Juni von 1200 französischen IS-Terroristen. Sichtbar wird in den Zahlen so oder so eine beunruhigende Dynamik: In den vergangenen sieben Monaten ist ihre Zahl deutlich schneller gewachsen als im Halbjahr zuvor. Denn im Juli 2014 zählte das Innenministerium 556 und im Januar diesen Jahres 700 französische IS-Dschihadisten.

20 französische Syrien Dschihadisten im Januar 2013 – fast 1000 heute

Zur Zeit befinden sich 494 Gotteskrieger aus Frankreich in dem mittelöstlichen Bürgerkriegsgebiet (Juli 2014: 343). Im Januar 2013 sollen es um die 20 gewesen sein. Bis Juli 2015 sind 126 von ihnen ums Leben gekommen. Auch die Zahl der französischen Toten auf dem syrisch-irakischen Schlachtfeld wächst immer schneller: Bis Juli 2014 waren 33 Dschihadisten aus Frankreich ums Leben gekommen und bis zum vergangenen Januar 75. Allein seit Anfang des Jahres sind über 50 weitere französische IS-Terroristen ums Leben gekommen – so viele wie im ganzen Jahr 2014. Der Luftkrieg der Koalition gegen den IS kann dabei eine Rolle gespielt haben: US-Angaben zufolge sollen bei den Luftangriffen auf Ziele in Syrien und Irak etwa 10.000 IS-Schergen den Tod gefunden haben.

Die Zahlen zeigen, wenn das noch notwendig war, dass die Reise nach Syrien eine Reise in den Tod ist.

Französisches Innenministerium

Die Todesrate fällt noch krasser aus, wenn man sich klar macht, dass 158 von 494 französischen Dschihadisten, die sich derzeit in Syrien aufhalten, Frauen sind, von denen bislang nur eine gestorben ist – an einer Krankheit. Die Zahlen zeigen, zitiert Le Monde das Innenministerium, „dass die Reise nach Syrien eine Reise in den Tod ist“. Jeder siebte französische IS-Dschihadist kommt ums Leben, Tendenz steigend. Einen besonders hohen Preis zahlen minderjährige Islamisten: Von 16 französischen Jugendlichen, die nach Syrien aufgebrochen sind, sind fünf ums Leben gekommen, fast ein Drittel. Das französische Innenministerium geht allerdings davon aus, dass auch mehrere Dutzend Kinder von ihren Familien nach Syrien verschleppt wurden.

Konvertiten werden vom IS offenbar bevorzugt als Selbstmordbomber verheizt − oder sie lassen sich besonders gerne verheizen.

Insgesamt elf Dschihadisten mit französischen Pässen haben in Syrien oder im Irak Selbstmordattentate begangen, acht davon im Jahr 2015. Interessant: Mehr als die Hälfte der Selbstmordattentate wurden von Konvertiten begangen, die offenbar ein Viertel der französischen Gotteskrieger ausmachen. Konvertiten, bedeutet diese Zahl auch, werden offenbar vom IS besonders gerne per Selbstmordbombe verheizt – oder lassen sich besonders gerne verheizen. Le Monde erinnert in dem Zusammenhang an jenen berühmten Satz, den Al-Kaida-Chef Osama bin Laden 1997 in einem Interview mit dem US-TV-Sender CNN aussprach: „Wir lieben den Tod genauso, wie Ihr das Leben liebt.” Die Konvertiten nehmen das wohl besonders ernst.

Besonders viele Dschihadisten aus Belgien und Dänemark

UN-Angaben sollen sich derzeit 25.000 auswärtige Dschihadisten aus etwa 100 verschiedenen Ländern in Syrien und Irak aufhalten. Ohne diese Terror-Touristen, sagen Experten, hätte der Islamische Staat den Kampf längst verloren. Frankreich gehört zum harten Kern derjenigen Länder, die, obwohl nicht an das Kriegsgebiet grenzend, an die Tausend oder sogar sehr viel mehr Syrien-Dschihadisten stellen − zusammen mit Russland (genauer: Tschetschenien 800-1500),  Marokko (1500) oder Tunesien, das schon vor einem Jahr mit 3000 Dschihadisten die Liste anführte. Gemessen an der Bevölkerungszahl rutscht Frankreich auf den 13. Rang, schreibt Le Monde, nach mehrheitlich muslimischen Ländern wie Libanon (900), Kosovo (150), Albanien (90) oder Bosnien (330). Vor Frankreich liegen in diesem Ranking auch zwei kleine EU-Länder mit starker islamischer Zuwanderung: Belgien mit 440 und Dänemark mit 100 bis 150 IS-Gotteskriegern in Syrien und Irak (alle Zahlen: The Daily Telegraph 2. September 2014). Aus Deutschland kommen derzeit etwa 600 IS-Terroristen.

223 Rückkehrer

Frankreich ist aus mehreren Gründen für den Islamischen Staat interessant, erläutert Le Monde: Mit fünf bis sechs Millionen Muslimen lebt dort Europas größte muslimische Minderheit. Gleichzeitig ist das Land dem syrisch-irakischen Bürgerkriegsgebiet relativ nahe. Frankreich ist darum für den IS zugleich ein großer „Rekruten-Fischteich“, so das Blatt – und eben potentielles Terrorziel.

Wenn Ihr nicht nach Syrien kommen könnt, dann handelt vor Ort.

Appell eines französischen IS-Terroristen in Syrien

Und die Gefahr steigt. Denn 290 IS-Terroristen mit französischen Pässen haben Syrien inzwischen wieder verlassen. 223 von ihnen sind nach Frankreich zurückgekehrt und bereiten nun der Polizei Kopfzerbrechen. Zwar denke wohl nur eine Minderheit der Syrien-Rückkehrer über Attentate in Frankreich nach, hofft Le Monde. Das Blatt zitiert allerdings auch einen französischen IS-Terroristen mit einem Appell an seine Glaubensbrüder in Frankreich vom vergangenen Februar: „Wenn Ihr nicht nach Syrien kommen könnt, dann handelt vor Ort.“