Hoffnung, aber noch wenig Stabilität in Mali
Die Bundeswehr hat die Führung der EU-Ausbildungsmission im westafrikanischen Sahelzonenland Mali übernommen. Ein Friedensvertrag zwischen der Regierung in Bamako und nordmalischen Rebellen macht Hoffnung. Aber von Stabilität ist der bettelarme streng islamische Wüstenstaat noch weit entfernt.
Bundeswehr

Hoffnung, aber noch wenig Stabilität in Mali

Die Bundeswehr hat die Führung der EU-Ausbildungsmission im westafrikanischen Sahelzonenland Mali übernommen. Ein Friedensvertrag zwischen der Regierung in Bamako und nordmalischen Rebellen macht Hoffnung. Aber von Stabilität ist der bettelarme streng islamische Wüstenstaat noch weit entfernt.

Im Beisein von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat an diesem Dienstag die Bundeswehr das Kommando über die EU-Ausbildungsmission im westafrikanischen Sahelzonen-Land Mali übernommen. Ein deutscher Brigadegeneral führt nun das 600 Soldaten große EU-Kontingent aus 24 Ländern – darunter auch 160 Bundeswehrsoldaten. Seit Frühjahr 2013 hat die European Training Mission in Mali (EUTM)  schon mehr als 500 malische Soldaten ausgebildet. Der europäische Einsatz ist Teil einer größeren MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen, die derzeit rund 9150 Soldaten und 1060 Polizisten aus über 40 Ländern in Mali stationiert hat. Die Blauhelmtruppen sind mit einem robusten Mandat ausgestattet und sollen das Land stabilisieren und die Rebellen im Norden Malis entwaffnen.

Friedenshoffnung

Das Land sowie der EU- und UN-Einsatz befinden sich in einer „entscheidenden Phase“, so Ministerin von der Leyen. Im Mai haben die Regierung und Vertreter einer Koalition von nordmalischen Tuareg-Rebellen in der Hauptstadt Bamako einen Friedensplan unterzeichnet. Der Vertrag, dem acht Monate dauernde Verhandlungen in Algier vorausgegangen waren, soll in den drei nordmalischen Regionen Timbuktu, Gao und Kidal Ruhe und Normalität herstellen. Die Regierung in Bamako hat darin akzeptiert, dass die nördlichen Nomaden-Provinzen weitgehende Autonomie erhalten: Innerhalb von 18 Monaten sollen dort Regionalräte mit weitreichenden Kompetenzen gewählt werden. Dafür erkennen die Rebellen die Souveränität der Regierung in Bamako an. Malis Armee darf wieder in den Norden einziehen und soll außerdem Einheiten der Rebellen sowie regierungstreuer Milizen integrieren. Einfach wird das nicht.

Den französischen Truppen gelang es nicht, den Norden dauerhaft zu stabilisieren.

Damit endete eine fast drei Jahre währende Bürgerkriegssituation  – zumindest auf dem Papier. Anfang 2012 hatten jüngere Offiziere die Regierung in Bamako weggeputscht – der Putschistenführer, ein Hauptmann, war übrigens aus einem amerikanischen Ausbildungsprogramm hervorgegangen. Tuareg-Rebellen und Dschihadisten nutzten das Chaos in Bamako und das Machtvakuum im Wüstenstaat, um den gesamten Norden unter ihre Kontrolle zu bringen und dort den de facto unabhängigen Separatstaat Azawad – Land der Nomaden – auszurufen. Als dann die Dschihadisten auf Bamako marschierten, griff Anfang 2013 die ehemalige französische Kolonialmacht ein. Französische Truppen verhinderten die Katastrophe: Bamako fiel nicht in die Hände der Dschihadisten. Den Franzosen gelang es auch schnell, die Rebellen und Gotteskrieger aus den größeren Städten im Norden zu vertreiben. Aber den Norden dauerhaft kontrollieren konnten sie nicht. Als im Mai 2014 malische Truppen auf die nordmalische Stadt Kidal vorstießen, erlitten sie eine schwere Niederlage – der Norden ging wieder fast völlig verloren.

In Mali Fluchtursachen bekämpfen

Umso wichtiger ist jetzt die Friedenshoffnung für das Land. „Wir wissen, was auf dem Spiel steht“, erklärte Ministerin von der Leyen nach einem Treffen mit ihrem malischen Amtskollegen: „Denn wir können, wenn wir es schaffen, hier einen Stabilitätsanker entwickeln.

Nichts kann Menschen eher davon abhalten, die lebensgefährliche Flucht nach Europa zu wagen, als die Tatsache, dass sie in ihren Heimatländern Perspektiven haben, eine Zukunft sehen.

Ursula von der Leyen

Das könnte auch den Europäern bei ihrer gegenwärtigen Zuwanderungskrise helfen, erhofft sich die Ministerin. Denn mehr Stabilität in Afrika könne massenhafte Flucht verhindern. Von der Leyen: „Nichts kann Menschen eher davon abhalten, die lebensgefährliche Flucht nach Europa zu wagen, als die Tatsache, dass sie in ihren Heimatländern Perspektiven haben, eine Zukunft sehen.“

Dramatische Bevölkerungsexplosion, viele Analphabeten, strenger Islam

Problem: Von Stabilität und Perspektive ist Mali noch weit entfernt. Das Sahelzonen-Land, das mit über 1,2 Millionen Quadratkilometern Fläche fast vier Mal so groß ist wie Deutschland, zählt zu den 25 ärmsten Ländern der Welt. Seit 1950 hat sich Malis Bevölkertung von 4,6 Millionen auf heute 16,9 Millionen fast vervierfacht.

Für 2050 rechnet die UN mit etwa 45 Millionen und für das Jahr 2100 mit über 100 Millionen Maliern. Dass das bettelarme Sahelzonen-Land solche Massen je ernähren könnte, ist völlig ausgeschlossen.

Bei einer Geburtenrate von 6,06 Kindern pro Frau hält der Trend an: Für 2050 rechnet die UN mit etwa 45 Millionen und für das Jahr 2100 mit über 100 Millionen Maliern. Dass das bettelarme Sahelzonen-Land solche Massen je ernähren könnte, ist völlig ausgeschlossen. Schon jetzt ist der Bevölkerungsdruck immens: 67 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre. Aber nur 38,7 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren kann lesen und schreiben – 29,2 Prozent der Frauen und 48,2 Prozent der Männer.

Streng islamisch: 62 Prozent der malischen Muslime befürworten Amputationsstrafen für Diebstahl und Raub. 58 Prozent wollen Ehebrecher steinigen lassen.

Mit fast 95 Prozent Muslimen ist Mali ein praktisch rein islamisches Land – und ein recht strenggläubiges dazu: Einer umfangreichen Untersuchung des Washingtoner Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center aus dem Jahr 2010 zufolge wollen 63 Prozent der malischen Muslime das brutale islamische Scharia-Recht als offizielles Gesetz im Lande. 74 Prozent halten Polygamie für richtig, 79 Prozent sagen, dass sie ihren Töchtern Genitalbeschneidung zufügen lassen. 62 Prozent der malischen Muslime befürworten Amputationsstrafen für Diebstahl und Raub. 58 Prozent wollen Ehebrecher steinigen lassen. Schon fast Hoffnung macht da, dass „nur” 36 Prozent der Malier die Todesstrafe für Abfall vom islamischen Glauben befürworten.

Neue Regierung, aber keine politische Besserung

Seit bald zwei Jahren hat Mali wieder eine reguläre Regierung. Am 4. September 2013 wurde der aktuell amtierende Staatspräsident Boubacar Keita mit 78 Prozent der Stimmen gewählt. Aber auch der neue Präsident sei offenbar den schlechten Angewohnheiten seiner Vorgänger erlegen, urteilte vor einem Jahr, die Londoner Wochenzeitung The Economist: Der Präsident sei sehr würdebewusst, seine Regierung sei abgehoben und fühle sich niemandem Rechenschaft schuldig. Gegen die politische Fäulnis in der Hauptstadt habe Keika wenig unternommen. Arbeitslosigkeit, hohe Preise, Korruption und Nepotismus seien so weit verbreitet wie eh und je. Malis Armee hat kein einziges Flugzeug – aber Präsident Keita soll 40 Millionen Dollar für ein Privatflugzeug ausgegeben haben, gibt The Economist empörte malische Stimmen wieder. Im riesigen, praktisch unregierten nördlichen Teil des Wüstenstaates trieben islamistische Extremisten, Separatisten, professionelle Kidnapper und Schmuggler ungehindert ihr Unwesen, so das Blatt im Mai 2014.

750 in Kidal stationierte UN-Friedenssoldaten haben sich in ihren Stellungen verbarrikadiert.

Viel besser ist es seither nicht geworden. In den weiten Wüstengebieten im Norden Malis entzögen sich ganze administrative Regionen der Regierungsgewalt, berichtete diesen März die Neue Zürcher Zeitung. Das Schweizer Blatt malte unter Berufung auf einen malischen Reporter ein düsteres Bild von den Zuständen in den nördlichen Städten Gao und Kidal: Rebellen hätten die Straße von Gao nach Kidal mit Sprengfallen praktisch unpassierbar gemacht. Kidal gliche einer Geisterstadt, in der Tuareg-Rebellen Drogen- und Waffenhändlern sowie Islamisten freie Bahn ließen. Der NZZ zufolge haben sich 750 in Kidal stationierte UN-Friedenssoldaten in ihren Stellungen verbarrikadiert. Aus gutem Grund: Seit April 2013 wurden in Mali 42 Blauhelm-Soldaten getötet und 166 verletzt. Im vergangenen Jahr kamen Dutzende UN-Soldaten bei Anschlägen ums Leben. Erst diesen März griff ein Islamist unter Allah-u-akbar-Rufen ein unter Ausländern populäres Restaurant in der Hauptstadt Bamako an – fünf Personen kamen ums Leben.