Straßenbild in der britischen Hauptstadt London. (Bild: H.M.)
Multikulti-Debatte

David Cameron will britische Werte durchsetzen

Im Kampf gegen wachsende islamistische Tendenzen im Lande will David Cameron alle Teile der multikulturellen britischen Gesellschaft auf die Einhaltung liberaler britischer Werte verpflichten. In Birmingham hat er eine regelrechte Leitkultur-Rede gehalten und zugegeben, dass in manchen Orten des Königreichs die Integration sichtbar gescheitert ist.

„Das muss aufhören.“ Mit dem Ausbruch ging Premierminister David Cameron mit jener Geisteshaltung ins Gericht, die  vorgeblich aus kultureller Sensibilität über schlimme Auswüchsen der multikulturellen Gesellschaft hinwegsieht – und damit eben religiöse Radikalisierung befördert. Angekündigt war Cameron in Birmingham mit einer Rede über Londons Kampf gegen die Terroristen des Islamischen Staats (IS) – im Mittleren Osten wie im eigenen Land. Geworden ist daraus eine bemerkenswerte und sehr entschlossene Rede über Britishness und britische Werte – über britische Leitkultur, wie man in Deutschland sagen würde – und darüber, wie sie durchgesetzt werden soll gegen fortschreitende islamische Radikalisierung im Lande.

Mindestens 700 britische IS-Dschihadisten

Ziemlich genau zehn Jahre nach den islamistischen Terror-Anschlägen in London am 7. Juli 2005, bei denen 56 Personen ums Leben kamen und über 700 verletzt wurden, sehen die Briten den nächsten großen Terroranschlag auf sich zukommen. Die Sorge ist nicht unbegründet. Der Anschlag im tunesischen Sousse mit 39 Toten, galt offenbar vor allem britischen Urlaubern. In Großbritannien selbst häufen sich die Berichte über radikalisierte Jugendliche – oder ganze Familien mit kleinen Kindern –, die sich in Syrien und dem Irak dem IS anschließen. Mindestens 700 Muslime mit britischen Pässen sollen nach Syrien und Irak gereist sein. Wohl 60 von ihnen sind dort schon ums Leben gekommen. Darunter im Juni auch der 17-jährige Talhas Asmal aus Dewsbury in West Yorkshire – „Großbritanniens jüngsten Selbstmordbomber“ so der Fernsehsender BBC.

Ein Anschlag ist sehr wahrscheinlich.

Geheimdienst MI5

Die Hälfte der 700 britischen Terror-Touristen, soll inzwischen wieder nach Großbritannien zurückgekehrt sein und stellt nun eine potentielle Terror-Gefahr dar. „Die britische Regierung hat Großbritannien in einen sehr blutigen Krieg hineingezogen, der auf den Straßen Londons sichtbar werden wird“, drohte im vergangenen September in London der islamistische Hass-Prediger Anjem Choudry. Der Geheimdienst MI5 hat Großbritanniens Terro-Warnstufe auf „severe“ – hoch – gesetzt, die zweithöchste Stufe. Dem MI5 zufolge bedeutet das: „Ein Anschlag ist sehr wahrscheinlich.“

Die britische Regierung hat Großbritannien in einen sehr blutigen Krieg hineingezogen, der auf den Straßen Londons sichtbar werden wird.

Anjem Choudry, Islamist in London

Das ist der aktuelle Hintergrund für Camerons spannende Rede über „Extremismus“, so der Kurztitel auf der Internetseite der Regierung. Doch der Premier verliert kaum ein Wort über den IS und dessen Terror-Regime in Syrien und Iraq. Es geht ihm allein um die „Ideologie des islamistischen Extremismus“ im eigenen Lande und um jene „nicht-gewalttätigen Extremisten“, die mit „bestimmten intoleranten Ideen ein Klima schaffen, in dem Extremisten gedeihen können“.

 Der„British way of life“ als Verpflichtung für alle

Ein starkes Signal war schon die Wahl des Ortes für Camerons Auftritt –  die 1928 gegründete staatliche Ninestiles-Gesamtschule in Birmingham. 90 Prozent ihrer 1400 Schüler sind Muslime. Die Schule gehört zu jenen Schulen in Birmingham, die vor einem Jahr als „trojanische Pferde“ in die Presse kamen: Islamische Extremisten hatten dort die Zügel in die Hand genommen und die pädagogische Richtung bestimmt.

Was sich in jener Schule abgespielt hat, gehört genau zu jenen gefährlichen islamischen Radikalisierungstendenzen, die Cameron jetzt entschlossen bekämpfen will. Seine Waffe: „unserer Werte“, „britische Werte“. „Wir sind alle Briten“, setzt Cameron seinen Zuhörern auseinander und erklärt ihnen auch, was das für alle heißen muss: „Wir achten die Demokratie und den Rechtstaat. Wir glauben an Redefreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, an Gleichberechtigung unabhängig von Rasse, Geschlecht, Sexualität oder Glaube.“

Wir glauben daran, unterschiedliche Religionen zu achten, aber wir erwarten auch, dass diese Religionen den «British way of life» unterstützen. Das sind britische Werte.

David Cameron

Das klingt wie ein Glaubensbekenntnis, und so ist es auch gemeint. In Birmingham fordert Cameron das Bekenntnis zu britischen Werten regelrecht ein: „Wir glauben daran, unterschiedliche Religionen zu achten, aber wir erwarten auch, dass diese Religionen den ‚British way of life‘ unterstützen. Das sind britische Werte.“ Der „British way of life“ als Verpflichtung für alle – das ist neu. Und Cameron setzt noch ein „Muss“ drauf: „Ob sie Muslim sind, Hindu, Jude, Christ oder Sikh, ob sie hier geboren wurden oder im Ausland, wir können uns alle als Teil dieses Landes fühlen – und wir müssen jetzt zusammenkommen und gemeinsam für unsere Werte eintreten, mit Zuversicht und Stolz.“ Das klingt nicht wie eine Bitte, sondern wie eine Forderung.

Keine falschen Rücksichten mehr auf kulturelle Gefühle

Cameron will nichts Geringeres, als jetzt „unsere Werte erzwingen“. So hat er es in Birmingham formuliert. Denn zur Auseinandersetzung mit den Extremisten gehöre, „dass wir uns auf einige ziemlich unbequeme Debatten einlassen – ganz besonders kulturelle Debatten“. Cameron wörtlich: „Viel zu oft hat uns der Mut gefehlt, unsere Werte zu erzwingen –  aus Angst, andere zu beleidigen.“ Als Beispiele führt der Premier mit hörbarer Erbitterung – „es macht mich krank“ – 4000 Fälle von Frauenbeschneidung im vergangenen Jahr an oder 11.000 sogenannte Ehrenmorde in den vergangenen fünf Jahren, alles mitten in England. Cameron: „Und das sind nur die Fälle, die gemeldet wurden“. „Unverzeihlich“ nennt er die Vorgänge im nordenglischen Rotherham, wo die Behörden aus Angst vor Rassismusvorwürfen ein Jahrzehnt lang zuschauten, wie pakistanische Zuhältergangs weit über 1000 englische Mädchen, manche nicht älter als 11 Jahre, in die Prostitution zwangen. Cameron:

Wir müssen eine koordinierte Anstrengung machen, um dies aus unserer Gesellschaft herauszutreiben. Kein Wegschauen mehr aus falscher Rücksichtnahme auf kulturelle Gefühle.

David Cameron

Es gehe um „unsere Werte“, und die, so Cameron, vertrage keine „passive Toleranz“ gegenüber extremistischem Gedankengut. Seine Regierung werde darum den Druck aufrechterhalten auf „kulturelle Praktiken, die diesen Werten direkt zuwider laufen können“. Aus dem Grund soll demnächst das Innenministerium etwa die in England tätigen Scharia-Gerichte neu überprüfen.

Der Islam in Großbritannien braucht Reform

Einen ganzen Redeabschnitt widmet Cameron dem „Islam“ – nicht etwa dem „Islamismus“, so jedenfalls die Überschrift im veröffentlichten Redetext – und den moderaten Stimmen der Reformer, auf die es beim Kampf gegen den islamischen Extremismus jetzt besonders ankomme. „Diese extremistische Ideologie ist nicht der wahre Islam“, betont Cameron in Birmingham. „Das habe ich selbst viele, viele Male gesagt, und es ist völlig richtig, das zu tun. Und ich werde es heute wieder sagen.“

Die Verbindung zwischen der Religion des Islam und den Extremisten einfach zu leugnen, das funktioniert nicht, weil diese Extremisten sich selber als Muslime identifizieren.

David Cameron

Doch allzu schnell hätten in der Vergangenheit Regierungen „die religiösen Aspekte des islamistischen Extremismus“ abgetan. Cameron: „Aber die Verbindung zwischen der Religion des Islam und den Extremisten einfach zu leugnen, das funktioniert nicht, weil diese Extremisten sich selber als Muslime identifizieren.“  Dies zu bestreiten sei nicht nur sinnlos, sondern sogar gefährlich, so Cameron: „Wenn man bestreitet, dass das irgendetwas mit dem Islam zu tun hat, dann nimmt man den kritischen Reform-Stimmen jeden Einfluss.“ Nach Auffassung der Regierung in London braucht der Islam in Großbritannien Reform – nichts anderes bedeutet es, wenn der Premier in Birmingham die Worte Reform und Reformer im Zusammenhang mit dem Islam so oft in den Mund nimmt.

In Großbritannien ist in den vergangen Jahrzehnten einiges falsch gelaufen – mit der Einwanderung, mit der multikulturellen Ideologie. Mit manchen Einwanderern sind Vorstellungen, die von britischen Werten weit entfernt sind.  Als das Eingeständnis darf man Camerons Rede lesen. Der Premier wörtlich:

Bei allen Erfolgen und unserer multirassischen und multikulturellen Demokratie müssen wir der tragischen Wahrheit ins Gesicht sehen, dass es Leute gibt, die in diesem Land geboren und aufgewachsen sind, die sich nicht wirklich mit Großbritannien identifizieren – und wenig oder gar keine Verbindung zu anderen Menschen hier fühlen.

David Cameron

Neue britische Anti-Extremismus-Strategie

Was ist zu tun? Für den Herbst kündigte er eine „Anti-Extremismus-Strategie“ an. Um was es darin gehen wird, deutet er nur an: So soll es leichter werden, jugendlichen Terror-Touristen die Pässe zu entziehen. In den Gefängnissen, wo offenbar islamistische Radikalisierung außer Rand und Band ist, soll etwas geschehen. Mädchen sollen besser davor geschützt werden, zur Genitalbeschneidung nach Afrika gebracht zu werden. Opfer, die vor Zwangsehen flüchten, sollen lebenslange Anonymität erhalten. Internet-Unternehmen sollen in die Pflicht genommen werden und sollen ihre Datenschätze für den Kampf gegen den Terror zur Verfügung stellen. Cameron will etwas gegen die dramatisch wachsende Segregation in vielen Städten und Schulen unternehmen – was genau, hat er in Birmingham nicht gesagt. Reform-Muslime sollen von der Regierung mehr Unterstützung und mehr Geld erhalten.

Entschlosseneres Vorgehen gegen die „nicht-gewalttätigen Extremisten“, gegen die Hassprediger hat Cameron in Birmingham angekündigt. Da ist in der Tat viel zu tun, wie etwa das Beispiel des schon erwähnten radikalen Predigers Anjem Choudry zeigt. Im Januar hat er den Terroranschlag auf die Journalisten der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo in einem Artikel in der US-Zeitung USA Today begrüßt – ausführlich zitiert von der Londoner Tageszeitung The Independent. Folgen hatte das für ihn offenbar keine. Es wird interessant sein zu beobachten, wie London gegen Leute wie Choudry in Zukunft vorgeht.