Manfred Weber ((l.) zum Küchengespräch im Privathaus von Großbritanniens Premier David Cameron: "Der Sozialmissbrauch in Europa muss bekämpft werden." Bild: Manfred Weber.
CSU Niederbayern

Driftet Europa auseinander?

Interview Flüchtlingsansturm, Zukunft des Schengen-Raums, Russlands Fehlen beim G7-Gipfel in Elmau und der Stellenwert der Außenpolitik für die CSU: Über diese und andere Fragen sprach der Bayernkurier mit dem EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, der sich am Samstag in Essenbach der Wiederwahl als niederbayerischer CSU-Bezirksvorsitzender stellt.

Bayernkurier: Herr Weber, was ist los in Europa? Großbritannien läuft auf ein EU-Referendum zu, in Spanien regiert nach den Regionalwahlen die Ungewissheit, Griechenland steht wieder einmal vor dem Bankrott – kommt Europa gar nicht mehr aus der Krise?

Manfred Weber: Europa steht am Wendepunkt. In den kommenden Jahren entscheidet sich, ob unser Kontinent von nationalen Egoismen gespeist wieder auseinanderdriftet oder gemeinsam in die Zukunft geht. Nichts ist in Stein gemeißelt, Europa kann auch wieder zerbrechen. Konkret müssen wir jetzt ganz konkret die Probleme Europas lösen. Wer die Defizite Europas behebt, der gräbt den Populisten und Radikalen das Wasser ab.

Bayernkurier: Aber der Reihe nach, England zuerst. Vor genau einem Jahrzehnt haben Franzosen und Niederländer Europa geschockt mit ihrem klaren „Nein“ zum Verfassungsvertrag. Müssen wir beim britischen EU-Referendum mit einem ähnlichen Schock rechnen?

Weber: Ich sehe das Referendum vor allem als Chance, nicht zuerst als Problem. Premier Cameron will nicht nur das Verhältnis Großbritanniens zur EU klären, er will ein besseres Europa. Da hat er uns an seiner Seite. Das habe ich ihm auch so gesagt. Jetzt müssen wir in Ruhe überlegen, was wir verbessern können und dann, wie wir das am besten anstellen. Wo wir nicht mitmachen ist, wenn versucht würde, die Zusammenarbeit in Europa mit einem Europa à la carte, dass sich jeder nur nimmt, was ihm gerade gefällt, kaputt zu machen. Das kann nicht funktionieren. Solidarität ist keine Einbahnstraße.

Bayernkurier: In fünf Jahren Euro- und Griechenlandkrise sind euroskeptische Bedenken vermutlich nicht kleiner geworden – weder bei den Briten noch anderswo. Driftet Europa auseinander?

Weber: Wir spüren, dass populistische Kräfte überall versuchen, aus einem Anti-Europäismus Kapital zu schlagen. Die Ursachen für deren Erstarken liegen aber vor allem in den Staaten selbst. Das dümmste, was die Volksparteien nun tun könnten, ist, den Thesen der Populisten nachzulaufen. Die CSU hat in Ihrer Geschichte immer dieser Versuchung widerstanden und damit populistische Kräfte besiegt. Es ist offenkundig, dass etwa die Flüchtlingsströme nach Europa, die Gefahren für die Sicherheit durch Islamismus oder der Instabilität in Osteuropa gemeinsam besser bewältigt werden können.

Bayernkurier: Haben Sie Verständnis für britische Reformwünsche – etwa was sogenannten EU-Sozialtourismus betrifft?

Weber: Es gibt eine Reihe an Themen, die Cameron nennt, die ich unterschreiben würde. Der Sozialmissbrauch in Europa muss bekämpft werden. Da braucht es Veränderungen. Oder: London fordert eine Stärkung der nationalen Parlamente. Auch da bin ich dabei. Mehr Demokratie ist sicher kein Schaden.

Bayernkurier: In Madrid und Barcelona regiert seit kurzem die linksradikale Podemos-Partei – Bewunderer der griechischen Tsipras-Regierung. Geht Spanien jetzt den Weg Griechenlands?

Weber: Die griechische Situation ist singulär und mit Spanien nicht vergleichbar. Auch sind die Ursachen für den Wahlerfolg von Podemos andere, als nur die Ablehnung der Reformen.

Bayernkurier: Dabei war doch Spanien mit für dieses Jahr prognostizierten 2,6 Prozent Wachstum auf einem guten Weg.

Weber: Die Wachstumszahlen werden vermutlich sogar noch höher sein. Hundertausende neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Mit Spanien geht es dank der Arbeit der EVP-Regierung von Mariano Rajoy nach oben. Das Problem ist: Viele Menschen spüren die sehr deutlich anziehende Wirtschaft noch nicht im eigenen Geldbeutel.

Bayernkurier: Machen Sie sich Sorgen über die spanische Parlamentswahl im kommenden November?

Weber: Im Wahlkampf muss gekämpft werden, müssen Alternativen deutlich gemacht werden: Fortsetzung des Aufschwungs oder neuerlicher Absturz, Verlässlichkeit durch die aktuelle Regierung oder teils kommunistische Ideologen wie in Griechenland, Lösung der Herausforderungen mit Europa oder nationaler Egoismus. Die EVP wird Rajoy mit aller Kraft unterstützen. Deshalb findet im Oktober auch der EVP-Parteitag in Madrid statt. Dort werden auch die CSU-Delegierten klar Farbe bekennen.

Bayernkurier: In Griechenland geht es nicht nur um riesige Milliardenbeträge, sondern auch um große politische, geopolitische Fragen.

Weber: Es geht tatsächlich um weit mehr als wirtschaftliche Fragen. Es geht darum, ob das Prinzip Solidarität gegen Eigenverantwortung funktioniert. Ob der Zusammenhalt Europas auch in politischen Fragen, wie gegenüber Russland da ist. Ob letztlich nationaler Egoismus, wie ihn die radikale Linke von Ministerpräsident Tsipras predigt, Erfolg hat, oder der gemeinsame Weg. Griechenland ist ein Symbol.

Bayernkurier: Stichwort Flüchtlinge. Brüssel will 40.000 Flüchtlinge auf die EU verteilen. Was ist, wenn die Flüchtlinge da nicht mitmachen, weil sie nicht nach Polen oder Portugal wollen, sondern nach Deutschland und Schweden?

Weber: Es muss eine bessere Verteilung geben. Es kann nicht sein, dass wenige Staaten den Großteil der Lasten tragen. Und das bedeutet, dass alle EU-Mitgliedstaaten eine angemessene Zahl aufnehmen müssen. Jeder, der nach Europa kommt, muss das wissen. Die EVP-Fraktion unterstützt einen festen Solidaritätsmechanismus.

Bayernkurier: In Deutschland wird für 2015 mit bis 500.000 Flüchtlingen gerechnet. Das wären 10.000 pro Woche – und jede Woche 100 Flüchtlingsquartiere für jeweils 100 Asylbewerber. Ist das zu schaffen?

Weber: Derzeit leisten Bund, Länder und insbesondere Kommunen unermessliches. Wir sind bereit, politisch Verfolgten oder Menschen aus Bürgerkriegen weiter zu helfen, das ist klar. Aber wir werden ein viel größeres Augenmerk darauf richten müssen, dass diejenigen, die unberechtigt Asyl suchen, auch wieder abgeschoben werden. Das ist Grundbedingung für die Akzeptanz des gesamten Asylsystems in der Bevölkerung. Und nur so sind auch die großen Flüchtlingszahlen bewältigbar.

Bayernkurier: Für den G7-Gipfel haben wir Schengen für drei Wochen ausgesetzt. An den Grenzen wurde wieder kontrolliert. Dabei sind der Polizei sehr viele zwielichtige Gestalten und illegale Migranten ins Netz gegangen. Müssen wir Schengen und den kontrollfreien Reiseverkehr überdenken?

Weber: Die offenen Grenzen sind nicht umkehrbar. Das haben wir gerade beim 30. Jubiläum des Schengen-Abkommens gefeiert. Aber es ist gut, dass die Schengen-Regeln ja ausdrücklich Sonderkontrollen erlauben. Sie sind flexibel. Dasselbe gilt für die Schleierfahndung. Und mithilfe der gemeinsamen Schengen-Datenbank konnten mehr Verbrechen aufgeklärt werden als davor mit Grenzkontrollen. Das bedeutet, die heutige Rechtslage erlaubt uns die offenen Grenzen mit Sicherheit und einem erfolgreichen Kampf gegen Kriminalität zu verbinden.

Bayernkurier: Was war für sie das wichtigste Ergebnis des G7-Gipfels in Elmau?

Weber: Das Signal zum Klimaschutz ist überragend. Manche sprechen schon vom „bavarian deal“ der Kanzlerin. Die Bestätigung des 2-Grad-Ziels, eine deutliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes in den kommenden Jahrzehnten und eine Entkarbonisierung bis Ende des Jahrhunderts sind sehr ambitionierte Vorhaben.

Bayernkurier: Haben Sie Wladimir Putin in Elmau vermisst?

Weber: Wir alle wünschen uns, dass der russische Präsident eines Tages wieder bei den Gipfeln dabei ist. Solange er aber das Völkerrecht mit den Füßen tritt und versucht, die Ukraine zu destabilisieren und Europa zu spalten, sehe ich dafür keine Grundlage. Wer Völkerrecht bricht isoliert sich leider selbst.

Bayernkurier: Herr Weber, auf dem Parteitag im November werden Sie für den stellvertretenden Parteivorsitz kandidieren. Wenn gewählt, worauf würden Sie als Parteivize ihr politisches Hauptaugenmerk richten?

Weber: Zuerst haben die Delegierten beim Parteitag das Wort. Aber Horst Seehofer wird sich etwas dabei gedacht haben, den Vorsitzenden der EVP-Fraktion für dieses Amt vorzuschlagen. Die CSU ist die einzige Partei in Bayern, die sogar in Brüssel durchsetzungsfähig ist. Andere Reden, wir handeln.

Bayernkurier: Sie sind EVP-Spitzenmann in Straßburg und damit einer der wichtigsten CSU-Außenpolitiker. Betrachten Sie Ihre Kandidatur auch als Signal für den Stellenwert der Außenpolitik für die CSU?

Weber: Die CSU ist heute in der Außen- und Europapolitik so stark aufgestellt wie seit langem nicht, und das mit vielen Köpfen und auf allen Ebenen. Die Menschen in Bayern erwarten von Ihrer CSU, dass sie auch bei den großen Fragen unserer Zeit mitgestaltet.

Bayernkurier: Wenn gewählt, werden Sie den Bezirksvorsitz in Niederbayern aufgeben. Wie wird es in der CSU Niederbayern personell weitergehen? 

Weber: Das diskutieren wir nach dem Parteitag im Herbst. Zum Glück gibt es in der CSU Niederbayern eine ganze Reihe geeigneter Persönlichkeiten.

Bayernkurier: Eine perspektivische Frage: Dürfen Unions-Wähler endlich einmal auf einen zukünftigen CSU-Außenminister hoffen? Spreche ich vielleicht gerade mit ihm?

Weber: (lacht) Ich persönlich fühle mich in Brüssel sehr wohl. Aber warum sollte die CSU nicht auch einmal wieder den Außenminister stellen? Geeignetes Personal haben wir jedenfalls.

 

Das Interview wurde abgedruckt im aktuellen Bayernkurier-Magazin, Ausgabe 2, 2015.