Noch einmal eine allerletzte Frist
Alexis Tsipras brüskiert den Brüsseler Euro-Gipfel: Nur Forderungen, aber keine Reform-Angebote. Doch jetzt soll Schluss sein mit den Athener Spielchen: Bis Freitag Morgen muss Tsipras verbindliche Reformvorschläge liefern. Dann entscheidet ein großer EU-Krisengipfel. Ende der Woche läuft die allerletzte Frist aus – und Griechenland droht der Absturz in die Katastrophe.
Griechenland-Krise

Noch einmal eine allerletzte Frist

Alexis Tsipras brüskiert den Brüsseler Euro-Gipfel: Nur Forderungen, aber keine Reform-Angebote. Doch jetzt soll Schluss sein mit den Athener Spielchen: Bis Freitag Morgen muss Tsipras verbindliche Reformvorschläge liefern. Dann entscheidet ein großer EU-Krisengipfel. Ende der Woche läuft die allerletzte Frist aus – und Griechenland droht der Absturz in die Katastrophe.

Das ist Dreistigkeit: Nach dem knallenden griechischen „Nein“ zu den alten Reformforderungen der Kreditgeber setzt die Euro-Gruppe einen Sondergipfel an, um die neuen griechischen Vorschläge zu erfahren. Doch Premierminister Alexis Tsipras kommt nicht mit neuen Reformvorschlägen – sondern mit neuen Forderungen: ein drittes Hilfspaket, Überbrückungshilfen, ein Investitionspaket. Auch an der Forderung nach einem Schuldenschnitt hält Athen fest. Tsipras: „Das Ziel ist eine sozial gerechte und wirtschaftlich machbare Vereinbarung für Griechenland und Europa.“

Von Reformen kein Wort. Dabei hatten Frankreichs Präsident Franςois Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren griechischen Gegenüber Tsipras am Tag zuvor in Paris dringend aufgefordert, frische und überzeugende Vorschläge nach Brüssel mitzubringen: „Es obliegt nun der Regierung von Alexis Tsipras, ernsthafte, glaubwürdige Vorschläge zu machen, damit der Wille, in der Eurozone zu bleiben, zu einer dauerhaften Lösung führen kann.“ Vergeblich. 48 Stunden nach dem Referendum kam Tsipras mit strahlendem Lachen, wie immer, aber mit leeren Händen.

Erbitterung in Brüssel

Seinen 18 Gipfelkollegen muss sozusagen die Spucke weggeblieben sein. Aus den meisten Wortmeldungen nach dem Dienstagabend-Gipfel sprach hörbare Erbitterung. Die Grundlagen für Verhandlungen mit Athen seien derzeit nicht gegeben, so Bundeskanzlerin Angela Merkel knapp. „Wir haben neue Vorschläge für heute versprochen bekommen“, sagte Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite. „Aber für Griechenland bedeutet ‚heue‘ wohl immer ‚manana‘. Aber in Europa kann es nicht immer noch einmal ‚manana‘ heißen.“ Deutliche Verärgerung zeigte Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos: „Es gab keine Vorschläge. Wir haben nur über allgemeine Dinge gesprochen. Und wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“

Doch jetzt ist in Brüssel offenbar auch der letzte Geduldsfaden gerissen. Sichtbar ungehalten stellte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Athen ein regelrechtes Ultimatum: Bis 8 Uhr 30 am Freitagmorgen muss Tsipras eine Liste von Reformen vorlegen und sich darauf verpflichten, bevor Gespräche über ein drittes Rettungspaket beginnen können. Ungewohnte Sprache von Juncker, aber es kam  noch härter: „Wir haben ein ‚Grexit‘-Szenario im Detail ausgearbeitet. Wir haben ein Szenario, was humanitäre Hilfe angeht. Und wir haben ein Szenario – mein Lieblingsplan – mit dem wir dem Problem Herr werden könnten und Griechenland im Euro-Währungsgebiet bleibt.“

Heute nacht muss ich laut und deutlich sagen, dass die allerletzte Frist diese Woche endet

Donald Tusk, EU-Ratspräsident

Am Sonntag nach der Freitagsfrist soll ein großer Gipfel aller EU-Länder entscheiden, wie es mit Griechenland weitergeht – im Euro oder draußen. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass dies der kritischste Moment in der Geschichte der Europäischen Union ist“, warnte EU-Ratspräsident Donald Tusk: „Bis jetzt habe ich es vermieden von Fristen zu sprechen. Aber heute nacht muss ich laut und deutlich sagen, dass die allerletzte Frist diese Woche endet.“

Damit steckt Tsipras in einer „selbstgestellten Falle“, beobachtet die Londoner Wochenzeitung The Economist: Bis Freitag in der Frühe muss er in Brüssel Reformvorschläge auf den Tisch legen, die weiter gehen müssen als jene Forderungen der Kreditgeber, die er selber vom Tisch gefegt und die die griechischen Wähler mit ihrem 61-Prozent-Nein abgeschmettert haben. Das wird schwierig. Die Wähler müssten es als Verrat betrachten, seine Partei wird es kaum mittragen. The Economist sieht am Horizont schon Neuwahlen.

Drittes Rettungspaket über bis zu 100 Milliarden Euro

Selbst wenn Tsipras bis Freitag Reformversprechen vorlegt, die den Brüsseler Gipfel beeindrucken, ist dennoch nicht sicher, dass er bekommen kann, was er fordert. Der Umfang eines dritten Hilfspakets, das aus der Kasse des 2012 gegründeten Euro-Rettungsfonds ESM kommen müsste, wird in der Kommission auf 50 bis 100 Milliarden Euro geschätzt. Mehrere Parlamente von Euro-Ländern müssten zustimmen, so etwa der Bundestag. Doch das ist nach momentaner Lage wenig wahrscheinlich. Er kenne keinen einzigen Kollegen in seiner Fraktion, der eine Basis für ein drittes Hilfspaket sehe, so Unionsfraktions-Vize Hans-Peter Friedrich in einem Zeitungsinterview. Bis vor kurzen hat auch Frankreichs Präsident Franςois  Hollande ein drittes Rettungspaket explizit ausgeschlossen – diese Position aber seit zwei, drei Wochen nicht mehr wiederholt.

Auch Überbrückungshilfen werden so schnell nicht fließen können. Kurzfristige Arrangements könne es nur geben, wenn eine langfristige Übereinkunft erzielt sei, betonte Kanzlerin Merkel nach dem enttäuschenden Dienstagsgipfel.

Problem Schuldenschnitt

Ähnlich schwierig ist es mit Athens Forderung nach einem Schuldenschnitt. Zwar entwickelt sich hier die französische Position: „Es gibt kein Tabu über Schulden und Umschuldung“, hat in Paris Premierminister Valls erklärt – allerdings vor dem ergebnislosen Gipfel. Valls: „Wir können nicht das Risiko eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone eingehen. Frankreich wird alles tun, um Griechenland in der Eurozone zu halten.“

Den Nominalwert der griechischen Schulden abzuschreiben, bedeutet für uns eine rote Linie

Robert Fico, slowakischer Ministerpräsident

Ein Schuldenschnitt wäre Bruch der EU-Verträge und des so genannten  Bail-out-Verbots, betont dagegen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. „Kommt gar nicht in Frage“, zitiert die britische Tageszeitung The Daily Telegraph Bundeskanzlerin Merkel. Und womöglich vertritt Berlin in der Frage nicht einmal die rigoroseste Linie. Die Slowakei werde keinen Schuldenschnitt akzeptieren, erklärte vor dem Dienstagsgipfel der slowakische Premier Robert Fico: „Den Nominalwert der griechischen Schulden abzuschreiben, bedeutet für uns eine rote Linie.“ Die Griechen hätten lange Zeit über ihre Verhältnisse gelebt und dürften sich jetzt nicht harte Reformschritte ersparen – auf Kosten der anderen Euro-Länder.

Athens wichtigster Fürsprecher: US-Präsident Barack Obama

Tsipras wird am kommenden Sonntag in Brüssel auf wenig Wohlwollen stoßen. Immer mehr EU-Hauptstädte machen sich auf Griechenlands Euro-Ausstieg – Grexit – gefasst. In klare Worte fasste das der lettische Notenbankchef Ilmars Rimsevics: „Die griechische Nation war mutig und hat sich selbst aus der Eurozone herausgewählt. Insgesamt sehen wir da einen Staat, der seine Versprechen nicht gehalten hat, der die notwendigen Hausaufgaben nicht gemacht hat und der eines Tages aus der Eurozone draußen sein könnte.“ Die griechische Regierung müsse selber entscheiden, ob sie im Euro bleiben wolle oder nicht, warnte sogar Italiens Premierminister Matteo Renzi: „Um im Euro zu bleiben, müssen Regeln befolgt werden.“ Allerdings hat Renzi für seine Position zuhause scharfe Kritik erfahren – von rechts und links.

Die griechische Nation war mutig und hat sich selbst aus der Eurozone herausgewählt

Ilmars Rimsevics, lettischer Notenbankchef

Auf einen starken Fürsprecher, der allerdings in Brüssel nicht mit am Gipfeltisch sitzen wird, kann Tsipras trotz allem in offenbar jeder Situation zählen: US-Präsident Barack Obama. Der habe sowohl Tsipras als auch Bundeskanzlerin Merkel vor dem Dienstagsgipfel angerufen, berichtet The Daily Telegraph. Zur Bundeskanzlerin soll er gesagt haben, es sei „in jedermanns Interesse, eine dauerhafte Übereinkunft zu erzielen, die es Griechenland erlaubt, Reformen aufzunehmen, zum Wachstum zurückzukehre und Schuldentragfähigkeit zu erreichen – innerhalb der Eurozone“.

Griechenland vor dem Absturz

Unterdessen läuft der Regierung Tispras die Zeit davon. Griechenlands Banken haben noch allenfalls bis zum Wochenende Geld, schreibt The Economist. Wenn es bis zum Sonntag nicht zu einer Einigung komme, müsse die Europäische Zentralbank (EZB) die Notkredite für Griechenlands Banken „unverzüglich beenden“, warnt Frankreichs Notenbankchef Christian Noyer. Wenn Griechenlands Bankensystem zusammenbricht, droht der griechischen Wirtschaft ein Absturz, von dem sie sich lange nicht erholen wird – im Euro oder draußen – ahnt wieder The Economist.

Europa ohne Griechenland ist wie eine Party ohne Drogen

Anarcho-Poster in Athen

Manche Griechen nehmen das alles noch immer mit schrägem Humor. So zu lesen auf einem anarchischen Poster in Zentral-Athen, notiert die mit dem Magazin Newsweek verbundene Online-Zeitung The Daily Beast: „Europa ohne Griechenland ist wie eine Party ohne Drogen.“ Nun ja. Gar nicht rauschhaft, sondern völlig nüchtern sieht dagegen die konservative Zeitung Eleftheros Typos die Alternative, vor der das Land steht: „Sparprogramm für den Verbleib in der EU – oder Drachme und ein Griechenland der Dritten Welt.“