„Sind wir überhaupt noch Freunde?“ Die ernste Frage warf der Regensburger Politik-Professor und USA-Kenner Stephan Bierling provokant in die Runde und wedelte fröhlich mit der aktuellen Süddeutschen Zeitung und deren letzter NSA-Schlagzeile auf der Titelseite.
Die „Transatlantischen Beziehungen in stürmischen Zeiten“ waren das Thema des zweiten Politischen Quartetts der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS). Tatsächlich hat sich viel verändert in den Beziehungen zwischen den USA und Europa. Bis vor 25 Jahren hat der Kalte Krieg Westeuropäer und Amerikaner zur Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt. Jetzt ist das einigende Band der gemeinsamen Bedrohung gefallen. Sichtweisen und Interessen streben immer häufiger auseinander. Europäer und Amerikaner beurteilen Weltlage und Bedrohungen nicht mehr einheitlich und geben auch keine einheitliche Antwort mehr, so HSS-Akademiedirektor Reinhard Meier-Walser in seiner Einführung: „Eine delikate und komplexe und Situation.“
Sind Amerikaner und Deutsche noch Freunde? Der Erlanger Politikprofessor Stefan Fröhlich war von der SZ-Schlagzeile zum ewigen NSA-Thema nur mäßig beeindruckt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte darüber gar nichts gestanden – was tags darauf allerdings anders war. In der Berliner Debatte, so Fröhlich, käme viel Empörung zum Ausdruck, in der weiteren Gesellschaft hielte sich die Aufregung dagegen in Grenzen.
Die nächste NSA-Schlagzeile kommt bestimmt
Moderator Bierling gab ihm sofort mit einer so flott vorgetragenen wie hellsichtigen Nebenbemerkungen recht: Die Süddeutsche Zeitung gehört zum Verbund jener Medien, die Wikileaks- und Edward-Snowden-Quellen gemeinsam auswerten. Das Blatt hat investiert und will und muss nun das Ergebnis seiner Investitionen auf der ersten Seite präsentieren. Investitionen verlangen nach einem Return. Bierling hat recht: So funktioniert die Medienwelt, so funktionieren Schlagzeilen, so funktioniert Empörung. Die nächste NSA-Titelseite kommt bestimmt. Es war immer wieder Bierling, der dem Abend bei der Hanns-Seidel-Stiftung mit solchen pointierten Beobachtungen Würze gab.
Lohnt sich die Abhörerei für die NSA überhaupt? Weltbewegende Erkenntnisse haben sich in den bislang enthüllten Dokumenten nicht gefunden. Gute Frage, meinte auch Fröhlich und erinnerte dann aber daran, dass die USA halt weltweite Interessen hätten. Es ist für die USA durchaus von Bedeutung zu wissen, wie sich etwa in der Griechenland-Frage die Haltung der Bundesregierung entwickelt.
Schutz vor Terror
Sind die Deutschen aus amerikanischer Sicht Heuchler? Immerhin nehmen sie amerikanische Geheimdienstinformationen gerne in Anspruch, wenn es um Sauerland-Islamisten oder Geiseln im Jemen geht – um dann trotzdem den amerikanischen Botschafter zum Gespräch in Außenministerium zu laden, wenn wieder eine NSA-Geschichte in der Zeitung steht. Bierling: „Wie groß ist die amerikanische Empörung über unsere Empörung?“
„Unsere Geheimdienste machen, was alle Geheimdienste auch machen“, entgegnete US-Diplomat Scott Woodard und schloss eine Warnung an: Es könne in der Tat gefährlich werden, wenn die Zusammenarbeit der Geheimdienste gestört würde. Denn es sei kein Zufall, sondern Ergebnis dieser Kooperation, dass Deutschland bis jetzt ein größerer Terroranschlag erspart geblieben sei.
Wir haben Interessen überall auf der Welt. Und unsere Geheimdienste tun alles, um unsere Sicherheit zu schützen. Das machen wir weiter und müssen uns dafür nicht entschuldigen
Scott Woodard, US-Diplomat
Inzwischen wissen alle, dass auch die Briten ihren eigenen NSA-Dienst haben – er heißt dort GCHQ. In der französischen Tageszeitung Le Monde stand schon vor zwei Jahren, dass auch das französische Gegenstück alle Daten sammelt, deren es nur habhaft werden kann. Bierling: „Trotzdem kriegen die Amerikaner alle Prügel ab.“ Woodard hatte dennoch Verständnis dafür, dass die Deutschen nach Jahrzehnten deutsch-amerikanischer Freundschaft jetzt über die Amerikaner besonders enttäuscht seien. Aber: „Wir haben Interessen überall auf der Welt. Und unsere Geheimdienste tun alles, um unsere Sicherheit zu schützen. Das machen wir weiter und müssen uns dafür nicht entschuldigen.“ Und offenbar seien ja auch die Beziehungen zwischen den deutschen und amerikanischen Geheimdiensten nach wie vor sehr gut.
Die TTIP-Gegner haben die Meinungsführerschaft übernommen
Auch das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP gibt Rätsel auf. Erst schließen die Europäer ein Freihandelsabkommen mit den Kanadiern ab, und niemand nimmt daran den geringsten Anstoß. Aber dann will Brüssel das kanadische Abkommen eins zu eins als Vorlage für ein gleiches Abkommen mit den USA hernehmen – aber plötzlich ist das Geschrei riesengroß. Von Oktroy ist die Rede, von amerikanischer Einflussnahme auf unseren Lebenswandel und auf das, was wir essen sollen. Was ist da passiert?
Im TTIP-Aktionismus seien alter Antiamerikanismus und vage Globalisierungskritik zusammengeflossen, meinte HSS-Wirtschaftsexpertin Claudia Schlembach. Den TTIP-Gegnern sei es gelungen von Anfang an die Meinungsführerschaft in der Debatte zu gewinnen und den Widerstand über die sogenannten sozialen Medien zu steuern – „fast wie in einem US-Wahlkampf“. Inzwischen sei daraus aber eine erstaunlich sachliche Diskussion geworden.
Wer kann etwas dagegen haben, dass Zölle fallen?
Früher gab es in Handelsfragen nur den Gegensatz zwischen Freihändlern und Etatisten, die auf Zollgrenzen setzten. Zu ersteren gehörten immer Deutsche, Briten und die meisten Nordeuropäer, zu letzteren meist die Franzosen und die mediterranen Länder. Jetzt sind die Franzosen eher für TTIP und die Deutschen dagegen. Bierling: Wie kommt das denn? Kein Mensch könne vernünftigerweise dagegen sein, wenn Zölle fielen oder einschränkende gesetzliche Regeln, sah auch Schlembach und wollte hier keine ideologischen Kräfte am Werk sehen. Ein Faktor im aktuellen Disput sei aber, dass die Amerikaner hofften, über TTIP ein Platz am Tisch der Europäer zu besetzen, wenn die mit Dritten verhandelten. „Das gleiche wollen die Europäer natürlich von den Amerikanern.“ Also ein Streit um Augenhöhe und Gleichwertigkeit.
Es braucht gar keine neuen Standards, wechselseitige Anerkennung der existierenden Standards genügt. Sollen doch die Konsumenten entscheiden, was sie konsumieren wollen.
Stefan Fröhlich, Politik-Professor in Erlangen
Und die vielzitierten Standards? Ökologische Standards in den USA seien sogar wesentlich schärfer als in Europa, wusste Bierling: Ein hormonfreies Rind muss in Deutschland nur ein Jahr lang hormonfrei sein – in den USA sein ganzes Leben. Beim Hühnchen sind die Salmonellen das Gefährliche und eben nicht das Chlor der amerikanischen Chlor-Hühnchen. Die Amerikaner haben Horror vor Rohmilchkäse, die Deutschen vor Gentechnik in Lebensmitteln. Bierling: „Es geht um Glaubenssätze, und so etwas ist in Handelsverträgen schwer lösbar.“ Eine simple Lösung hatte dennoch Fröhlich parat: „Es braucht gar keine neuen Standards, wechselseitige Anerkennung der existierenden Standards genügt. Sollen doch die Konsumenten entscheiden, was sie konsumieren wollen.“
Die Deutschen wollen von Gefahren nichts wissen
Beunruhigende Ergebnisse zutage brachte kürzlich eine Umfragestudie des Washingtoner Pew Research Center über die Stimmung der Öffentlichkeit in Nato-Ländern – zur Ukrainekrise, zu den USA und zur Nato-Beistandspflicht. Ergebnis: Die Deutschen sehen die USA kritischer als alle anderen Europäer. Bei den Deutschen ist die Zustimmung zur Nato geringer als in allen anderen Nato-Ländern. 54 Prozent der Deutschen würden im Bündnisfall keine deutschen Truppen schicken wollen.
Die Leute glauben, sie leben in einer Welt, in der es keine Gefahren mehr gibt
Stefan Fröhlich
Fröhlich fand das erschreckender als alle NSA-Enthüllungen. In den Zahlen käme eine „ungeheure deutsche Selbstgefälligkeit“ zum Ausdruck. „Die Leute glauben, sie leben in einer Welt, in der es keine Gefahren mehr gibt.“ Der Nato-Beistandsartikel 5 war jahrzehntelang entscheidender Abschreckungsfaktor, ergänzte Bierling: „Wenn der ins Trudeln kommt, ist das eine Einladung für Hasardeure wie Putin.“
Genau darum waren in der Ukraine-Krise auch nicht die Sanktionen an sich so wirkungsvoll, sondern der Zusammenhalt von EU und Nato, der in ihnen zum Ausdruck kam. Bierling: „Diese Geschlossenheit ist das Einzige, das wir in die Waagschale werfen können gegen Völkerrechtsbruch, Annexion und Kriegsdrohung.“ Die Ukrainekrise habe Europäer und Amerikaner näher zusammengebracht, bestätigte Fröhlich. Anders als russische und andere Propagandisten glauben machen wollen, habe Washington den Europäern die Sanktionen eben nicht aufgezwungen.
Welt in Unordnung: Die harten Themen werden bleiben
Wie geht es weiter in den transatlantischen Beziehungen? Als intelligente Pointe zum Schluss wollte Bierling von jedem seiner Mitdisputanten das entscheidende große Thema oder Projekt hören, das in den nächsten Jahren die transatlantischen Partner wieder zusammenführen könnte. TTIP, meinte Woodard: „Wenn wir das jetzt nicht schaffen, wäre das ein sehr schlechtes Zeichen, und wenn wir es umgekehrt schaffen, wäre es ein großer Erfolg.“ TTIP, meinte auch Schlembach: „die große Möglichkeit zu Verhandlungen mit den Amerikanern auf Augenhöhe.“ Die Partnerschaft dürfte sich eben nicht nur auf das Militärische beschränken. Zusammenführen könnten Europäer und Amerikaner außer TTIP auch noch ganz andere Dinge, überlegte auch Fröhlich: Industrialisierung 4.0, Digitalisierung und Energiesicherheit.
Am Schluss werden die ganz harten Themen zurückkommen. In einer Welt voller Unordnung geht es zuallererst darum, Sicherheit und Stabilität herzustellen. Und das werden wir ohne die USA nicht schaffen.
Stephan Bierling, Politik-Professor in Regensburg
Alles ganz nett, aber alles falsch, beschied Bierling seine Runde und das Publikum in München. In der transatlantischen Zukunft werde es vor allem um Sicherheit gehen. Denn von allen Seiten stürzten gerade und wohl noch für längere Zeit ganz massive Sicherheitsbedrohungen auf die Europäer ein – Nahost, die Ukraine, die Sicherheit der Handelswege. Bierling ganz illusionslos: „Am Schluss werden die ganz harten Themen zurückkommen.“ In einer Welt voller Unordnung ginge es zuallererst darum, Sicherheit und Stabilität herzustellen. „Und das werden wir ohne die USA nicht schaffen.“ Niemand wollte ihm da widersprechen.