Problemfall am Bosporus
"Die Türkei wird nie Mitglied der EU." Für diese klare Aussage wird EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber von Ankara als "Rassist" beschimpft. Aber natürlich hat er recht. Für die EU ist die Türkei einfach zu groß, zu arm und hat die falsche Geographie.
Türkei

Problemfall am Bosporus

Kommentar "Die Türkei wird nie Mitglied der EU." Für diese klare Aussage wird EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber von Ankara als "Rassist" beschimpft. Aber natürlich hat er recht. Für die EU ist die Türkei einfach zu groß, zu arm und hat die falsche Geographie.

„Die Türkei wird nie Mitglied der EU. Wir müssen ehrlich miteinander sein.“ Und: „Die Türkei ist ein fester Partner.“ Mehr hat EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber bei seinem Start des Europawahlkampfes in Athen über die Türkei nicht gesagt.

Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU wird es mit uns nicht geben.

Gemeinsames Europawahlprogramm von CDU und CSU

Im „Gemeinsamen Europawahlprogramm von CDU und CSU“ steht dazu auf der letzten Seite 22: „Unser Europa kennt zudem seine Grenzen. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU wird es mit uns nicht geben. Mit der Türkei werden wir statt eines Beitritts eine enge Partnerschaft vereinbaren.“

Vier Seiten vorher, auf Seite 18, steht außerdem: „Unsere Werte und unsere gemeinsame europäische, abendländische Kultur basieren auf dem christlichen Menschenbild und sind geprägt von Aufklärung und Humanismus. Diese Gemeinsamkeiten sind wichtige Grundlagen für den europäischen Einigungsprozess.“

Dreiste AKP-Pöbelei

Von der Türkei ist dabei nicht die Rede. Auch nicht von irgendeiner anderen Religion. Trotzdem konstruiert Recep Erdogans islamistische AKP-Partei aus diesen Sätzen einen Rassismus- und Faschismus-Skandal. AKP-Parteisprecher Ömer Celik sagt zu den Formulierungen Webers und im CDU-CSU-Wahlprogramm wörtlich: „Natürlich ist das eine faschistische und rassistische Denkweise.“

Das darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: Wer darüber nachdenkt, ob die Türkei EU-Mitglied werden kann, oder ob es etwa Gründe gibt, die dagegen sprechen – der ist aus AKP-Sicht ein „Rassist“. Und wer über seine eigenen christlichen Wertegrundlagen nachdenkt – der ist für den Erdogan-Sprecher ein „Faschist“. Oder ist es umgekehrt?

Billige Rassismus-Münze

Egal. Der Rassismus- und Faschismus-Vorwurf ist für den Autokraten Erdogan und seine Parteifreunde billige Münze. „Das war Rassismus“, schimpfte Erdogan, als vor einem Jahr ein türkischstämmiger Fußballer namens Özil in Deutschland dafür kritisiert wurde, dass er sich mit dem Diktator hatte ablichten lassen.

„Dieses Europa ist das Europa vor dem Zweiten Weltkrieg, ein rassistisches, faschistisches und grausames Europa“, tobte Erdogan vor genau zwei Jahren. Weil mehrere EU-Länder seinen Ministern fragwürdige Wahlkampfauftritte vor Exil-Türken verweigert hatten.

Die Türkei ist das größte Journalisten-Gefängnis der Welt.

Journalisten ohne Grenzen

„Rassistisch“ und „faschistisch“ – die Begriffe sind längst zu inhaltsleeren Pöbeleien verkommen. Für Erdogan, für seine AKP und für allzu viele andere, auch hierzulande. Dabei könnte man es schulterzuckend belassen. Aber die Türkei ist zu wichtig. Jede Gelegenheit ist richtig, um darüber nachzudenken, was sie bedeutet – für Europa wie für ihre mittelöstliche Region. Und dann wird schnell klar, wie recht Manfred Weber damit hat, wenn er sagt, dass die Türkei nicht in die EU passt.

Halbdiktatur

Und das hat durchaus mit Werten zu tun, materiellen wie immateriellen. Unter Erdogan entwickelt sich die Türkei immer mehr zur autokratisch regierten Halbdiktatur, ohne selbständige Justiz, ohne Pressefreiheit. „Die Türkei ist das größte Journalisten-Gefängnis der Welt“, schrieb bereits vor drei Jahren die französische Nichtregierungsorganisation Journalisten ohne Grenzen.

Seither ist es nicht besser geworden. Viele sehen unter Erdogan schon einen Drang zum muslimischen Gottesstaat. Sicher ist: Die Türkei entfernt sich immer weiter von europäischen Werten wie Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Toleranz.

Zu groß und zu arm

Und es geht schlicht um Geld. Die Türkei ist so groß und immer noch so arm, dass die EU sie sich als Mitglied gar nie leisten könnte. Seit ihrer Gründung im Jahr 1923 hat sich die Bevölkerung der Türkei von knapp 14 Millionen auf heute über 80 Millionen versechsfacht. Und wächst weiter. UN-Berechnungen zufolge wird sie bis 2050 gut 95 Millionen zählen. Die Stimmrechte in der EU wären entsprechend hoch.

Weil die große Türkei außerdem so vergleichsweise arm ist, würde sie in der EU die Masse der Agrar- und Strukturhilfen auf sich ziehen. Zum Schaden aller anderen EU-Mitglieder. Bei über zwei Prozent Rezession, 20 Prozent Inflation und fast 15 Prozent Arbeitslosigkeit ist die Türkei derzeit wirtschaftlich regelrecht instabil. Man muss sich Sorgen machen: Für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit verlangen die Märkte 18,3 Prozent Zinsen. Die Türkei gilt heute und schon lange als nicht kreditwürdig.

Unerquickliche Geographie

Und schließlich ist da noch etwas, wofür weder Erdogan und die Türkei etwas können: die Geographie. Die türkische Geographie ist unveränderlich  – und aus EU-Sicht eher problematisch. Oder wünscht sich irgendjemand in Europa eine Außengrenze mit Syrien? Mit dem Irak? Mit dem Iran? Eigentlich ganz gut, dass die Türkei zwischen den Europäern und jener mittelöstlichen Groß- und Dauerkrisenregion liegt.

Für die gefährliche Großmachtpolitik, die Erdogan in seiner Region treibt, kann er allerdings sehr wohl etwas. Er führt Krieg gegen die Kurden, in Syrien und im eigenen Land. Unter Erdogan ist die Türkei alles andere als eine Friedensmacht in der Region – und gerät darüber in immer größeren Gegensatz mit Europa und in der Nato.

Partner und Nachbar

Nein, die Türkei, so wie sie sich heute gibt und wie sie leider ist, passt nicht in die Europäische Union. Als hoffentlich irgendwann wieder guter Partner und Nachbar ist sie für die Europäer unverzichtbar – und kann auch etwas von ihnen erwarten. Das diktiert schon die Geographie. Nichts anderes meint Manfred Weber, nichts anderes meint das Europawahlprogramm von CDU und CSU.