Referendum-Poker in Athen
Drei Tage vor dem Referendum will offenbar eine Mehrheit der Griechen im Sinne der Regierung Tsipras gegen das Angebot der Kreditgeber stimmen. Aber den Banken geht das Geld aus, und bei den Griechen wächst die Angst. Unterdessen setzt Athen das Referendum als Druckmittel ein, um neue Zugeständnisse zu erzwingen. Weil der IWF nun eine geringere Rolle spielt, könnte das sogar funktionieren.
Griechenland-Krise

Referendum-Poker in Athen

Drei Tage vor dem Referendum will offenbar eine Mehrheit der Griechen im Sinne der Regierung Tsipras gegen das Angebot der Kreditgeber stimmen. Aber den Banken geht das Geld aus, und bei den Griechen wächst die Angst. Unterdessen setzt Athen das Referendum als Druckmittel ein, um neue Zugeständnisse zu erzwingen. Weil der IWF nun eine geringere Rolle spielt, könnte das sogar funktionieren.

Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras hat es geschafft: Griechenland ist als viertes Land nach Somalia, Sudan und zuletzt Simbabwe (2001) dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine fällige Kreditrückzahlung schuldig geblieben. Griechenland in einer Reihe mit Entwicklungsländern und hoffnungslos gescheiterten Staaten. Von der „Halle der Schande“, schreibt die Londoner Wochenzeitung The Economist und erinnert daran, dass sich Griechenland, seit es 1830 die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich gewann, über die Hälfte der Zeit seiner staatlichen Existenz im Zahlungsausfall – sprich: Bankrott – befunden hat. 1850 schickte London gar einmal die Royal Navy, um Pfänder für griechische Schulden zu beschlagnahmen.

Der Zahlungsausfall gegenüber dem IWF hat Folgen: Zum einen ist damit das zweite Rettungspaket beendet. Athen verliert dadurch noch ausstehende Rettungsgelder über mindestens 11,7 Milliarden Euro. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die Europäische Zentralbank (EZB) die Banken eines offenkundig bankrotten Euro-Landes weiter mit  Notkrediten – die sich schon auf 90 Milliarden Euro belaufen – über Wasser halten darf. Immer mehr europäische Zentralbanken melden Widerstand an.

Vom IWF kann Griechenland kein Geld mehr bekommen

Und außerdem geht es drittens um die Rolle des IWF. Der IWF darf einem Mitgliedsland, das Kreditraten schuldig bleibt, keine weiteren Hilfen mehr zur Verfügung stellen – und kann damit eigentlich bei weiteren Verhandlungen mit Griechenland keine große Rolle mehr spielen. Das könnte Athen, aber etwa auch manchen europäischen Verhandlungspartnern durchaus recht sein. Denn es war vor allem der IWF, der in den Verhandlungen mit Athen unnachgiebig auf echten Reformen bestand und kürzlich Tsipras‘ sogenanntes letztes Angebot als fast wertlos zurückweisen lies.

Der IWF hat Kredite über knapp 24 Milliarden Dollar an  Griechenland vergeben – ein gutes Viertel aller IWF-Kredite weltweit – und ist für faule Kompromisse und „politische Lösungen“ nicht zu haben. Die Bundesregierung in Berlin  will genau darum den IWF unbedingt mit im Boot behalten. Wie das gehen wird, muss sich zeigen. Auffällig ist, dass sich prompt eine ernste Meinungsverschiedenheit zwischen Berlin und Paris ankündigt: Bundeskanzlerin Angela Merkel will vor dem Referendum am Sonntag nicht über neue griechische Anträge oder Vorschläge verhandeln. In Paris dagegen dringt Finanzminister Michel Sapin darauf, „falls möglich noch vor dem Referendum eine Einigung zu finden“. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge hat Frankreich Staatspräsident Francois Hollande inzwischen fast polternd nachgelegt: „Um es klar zu sagen, eine Vereinbarung muss sofort her! Es wird schon lange über diese Vereinbarung gesprochen, sie muss jetzt kommen!“. Anders als Berlin will  Paris offenbar eine politische Lösung um jeden Preis.

Athen will 30 Milliarden – aber ohne Reformen

Tatsächlich laufen in den Euro-Hauptstädte schon wieder die Konferenz-Telefone heiß. Das Referendum wirkt als Druckmittel, um weitere Verhandlungen zu erzwingen. Offenbar hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch vor Ablauf des 30. Juni Andeutungen über einen Schuldenerleichterung gemacht und Athen aufgefordert, neue Vorschläge zu übermitteln. Die kamen sogleich: Athen bat um eine paar Tage Verlängerung für das Hilfsprogramm und um einen zweijährigen 30-Milliarden-Kredit aus dem Euro-Krisenfonds ESM, um fällige Schulden zurückzahlen zu können. Wohl weil der Kredit ausschließlich der Schuldenrückzahlung dienen soll, war in Tsipras‘ Antrag von Reformen offenbar gleich gar keine Rede.

Dieselben Finanzminister, deren Vorschläge die griechische Regierung am Samstag ablehnte, können nicht drei Tage später einem neuen Rettungspaket zustimmen

Sme, slowakische Tageszeitung

Die EU-Finanzminister haben beides abgelehnt. „Es wäre verrückt, das Programm zu verlängern, das kann nicht passieren und wird nicht passieren“, erklärte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Athens Kredit-Antrag käme einem dritten Rettungspaket gleich, das die Brüsseler Verhandler bislang ausgeschlossen haben. Zudem müsste ein drittes Hilfspaket an Reformauflagen geknüpft sein und vom Bundestag und anderen Parlamenten genehmigt werden. „Die selben Finanzminister, deren Vorschläger die griechische Regierung am Samstag ablehnte, können nicht drei Tage später einem neuen Rettungspaket zustimmen“, erklärt die slowakische Tageszeitung Sme (deutsch: „Wir sind“) ihren Lesern. Ganz anders klingt es dagegen aus der EU-Kommission. In Brüssel hält es Vizekommissionschef Valdis Dombrowski ernsthaft für möglich, noch vor dem 20. Juli ein neues Hilfsprogramm abzuschließen.

Referendum plötzlich fraglich?

Das Referendum bleibt Verhandlungshebel bis zur letzten Stunde. Das zeigt die jüngste Entwicklung: Plötzlich stellt die Regierung in Athen ihr Referendum in Frage. Die Regierung habe das Referendum beschlossen, „und sie kann auch beschließen, etwas anderes zu tun“, erklärte in Athen der stellvertretende Premierminister Yanis Dragasakis. Wie das funktionieren soll, da eben nicht nur die Regierung, sondern auch das Parlament das Referendum beschlossen hat, bleibt unklar. Aber Vorwände für eine Absage ließen sich wohl finden: Die Opposition will das Referendum juristisch kippen. Außerdem sei die Vorbereitungszeit bei rund 200 bewohnten Inseln äußerst knapp bemessen, bemerkt etwa die Neue Zürcher Zeitung. Man darf noch wetten, ob das Referendum am Sonntag tatsächlich stattfinden wird.

Wir sind Europäer, natürlich gehören wir zu Europa, und wir wollen nicht Bürger der Dritten Welt werden

Pro-Europa-Demonstrant in Athen

Derzeit wollen einer aktuellen Umfrage zufolge 46 Prozent der griechischen Wähler im Sinne der Regierung Tsipras mit „Nein“ gegen Reformverpflichtungen stimmen und nur 37 Prozent für die Vorschläge der Brüsseler Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF. Und die Regierung Tsipras, die in allen Umfragen weitaus populärer als alle politischen Wettbewerber, und erhöht noch den Druck auf die Wähler: „Wenn das griechische Volk die Fortsetzung der Austerität wählen will, dann werden wir seine Wahl respektieren. Aber wir können ein solches Mandat dann nicht ausüben“, sagt Alexis Tsipras und kündigt damit für den Fall einer Ja-Entscheidung Neuwahlen an. Tsipras: „Ich bin nicht Premierminister für die Ewigkeit.“ Sein Finanzminister Yanis Varoufakis tut es ihm gleich: Wenn die Griechen gegen die Empfehlung der Regierung den Sparforderungen der Geldgeber zustimmen, will er zurücktreten. Gegen oder für brutale Sparpolitik, nur darum soll es Tsipras und Varoufakis zufolge im Referedum am Sonntag gehen. „Wer stimmt Ja, wenn er gefragt wird, ob die Austeritätspolitik weitergeführt werden soll?“, zitiert die NZZ einen pessimistischen Athener Bürger.

Den Banken geht das Geld aus

Immerhin hat es jetzt in der griechischen Hauptstadt die größte Pro-Europa-Kundgebung seit langem gegeben. „Wir sind Europäer, natürlich gehören wir zu Europa, und wir wollen nicht Bürger der Dritten Welt werden“, sagt ein Athener Demonstrationsteilnehmer dem Korrespondenten des Economist.  Die geschlossenen Banken machen den Griechen Angst vor dem, was ihnen vielleicht noch bevorsteht: Zwar haben 1000 Banken jetzt wieder geöffnet. Aber nur für Rentner, die von ihren Renten auch nur 120 Euro abheben dürfen. Alle anderen Bürger können über Bankautomaten nur 60 Euro pro Tag abheben. Weil die EZB die Notkredite eingefroren hat, geht den Banken allmählich das Geld aus. Es gibt schon Gerüchte, dass der tägliche Abhebetrag auf 20 Euro sinken soll. Dann wird es richtig knapp für die Griechen. Kaum jemand erwartet, dass die Banken nächste Woche wieder öffnen.

Das alles hat Wirkung auf die Wähler. Der Stimmungstrend soll sich in Richtung der Befürworter von Euro und EU bewegen, sagen Beobachter. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob ein Ja-Votum für Europa und gegen Tsipras und Varoufakis auch ein klares Votum für durchgreifende Staatsreform in Griechenland wäre. Eine Mehrheit für Reformen hat es in Griechenland in all den Krisenjahren nie gegeben. Aber ohne Staatsumbau bleibt Griechenland das, was es seit 13 Euro-Jahren ist: ein Fass ohne Boden. Wie auch immer, wenn das Referendum am Sonntag tatsächlich stattfindet, könnte es knapp werden.