Podiumsgespräch über Europa: Angelika Niebler und vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. (Bild: vbw)
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Keine Planwirtschaft für Europa

vbw-Europakongress vier Monate vor der Europawahl: Wie kann man erreichen, dass die Menschen sich mehr für Europa interessieren? Mit pragmatischer unideologischer Politik, die den Menschen nutzt und sie schützt, sagt dazu Angelika Niebler.

Es gibt viele Wege, um den Menschen vier Monate vor der Europawahl die Europäische Union zu verleiden. Die Grünen haben einen todsicheren Ansatz gefunden, wie die Spitzenkandidatin der Bayerischen Grünen, Henrike Hahn, auf einem Münchner Kongress der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) zur Europawahl vorführte.

Grüner Zwang in Europa

Für die bayerische Vorstandsgrüne ist die Europäische Union vor allem „ein unglaublich wertvolles Instrument für Umwelt- und Klimapolitik, überall da, wo Länder sie nicht umsetzen können oder wollen“. So habe die EU etwa der bayerischen Landesregierung „die Grenzwerte ausbuchstabiert, an die sie sich zu halten habe“, freute sich Hahn.

Unser Ansatz sind nicht Verbote und hohe Strafen, sondern Anreize.

Angelika Niebler, Vorsitzende der CSU-Europagruppe

Für die Grünen, sollte das heißen, ist die EU vor allem ein Vehikel zur Durchsetzung grün-ideologischer Umwelt- und Klimapolitik, notfalls mit Zwang, gegen die Länder, gegen die Menschen. Für die ungeschützte Äußerung bekam Hahn aus dem Publikum prompt Kritik: Eine Fragestellerin mahnte sie, darüber nachzudenken, was es für den EU-Grundsatz der Subsidiarität bedeute, wenn die EU dazu benutzt würde, um Mitgliedsländern Klimapolitik aufzuzwingen. „Genau das wollen die Leute auf keinen Fall − von oben gezwungen werden.“

SPD: Europäische Sozialpolitik

Europapolitisch eher eindimensional trat auch Markus Rinderspacher auf, europapolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Die Sozialdemokraten wollen ausgerechnet die deutschen Wähler für die „Schicksalswahl“ (Rinderspacher) am 26. Mai mit europäischer Sozialpolitik mobilisieren, die jedoch die deutschen Steuerzahler bezahlen müssten: europäischer Mindestlohn und europäische Arbeitslosen-Rückversicherung. Und das linke Klischee durfte nicht fehlen: Die EU habe in der Krise ja auch die Banken gerettet.

Sozialpolitik muss Sache der Mitgliedsstaaten bleiben.

Bertram Brossardt, vbw-Hauptgeschäftsführer

Dabei hatte Kongress-Moderator und vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt seine vier Gesprächspartner eingangs genau davor gewarnt: „Sozialpolitik muss Sache der Mitgliedsstaaten bleiben.“ Vor allem die Idee einer Europäischen Arbeitslosenversicherung hielt Brossardt für teuer und ineffektiv. Und am Schluss müssten immer die deutschen Steuerzahler dafür gerade stehen. Viel entscheidender sei doch ein anderer deutscher Beitrag: Die deutsche Industrie schaffe in der EU direkt und indirekt 3,4 Millionen Arbeitsplätze.

CSU: Keine Planwirtschaft in Europa

Sehr klar präsentierte die Vorsitzende der CSU-Europagruppe, Angelika Niebler, den europapolitischen Ansatz ihrer Partei: „Keine Planwirtschaft in Europa, keine ideologischen Entscheidungen, keine große Umverteilungspolitik.“ Wie man die Wähler für Europa interessieren und mobilisieren könne? Etwa mit Manfred Weber, der als CSU- und CDU-Spitzenkandidat zugleich als Kandidat der Europäischen Volkspartei für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten antritt. Niebler: „Ein Bayer als Kommissionspräsident – das ist eine historisch einmalige Chance.“

Man müsse den Menschen wieder zeigen, dass Europa eben „kein Projekt der Eliten und der Aparatschiks“ sei, sondern eines für die Menschen: „Europa schützt.“ Genau darum soll jetzt auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex von 1500 auf 10.000 Mann aufgerüstet werden.

Wenn man feststellt, die Grenzwerte sind überzogen, dann macht man sie noch einmal.

Angelika Niebler

Auch beim Klimaschutz habe die EU eine tolle Bilanz vorzuweisen, erinnerte Niebler: „Keine Region hat bei Klima- und Umweltschutz so viel geleistet wie die EU.“ Aber natürlich könne und dürfe man vor langer Zeit festgelegte Grenzwerte auch hinterfragen. „In der Politik ist das so: Wenn man feststellt, die Grenzwerte sind überzogen, dann macht man sie noch einmal – und das wird auch Aufgabe des nächsten Europaparlaments sein.“ Für das Versprechen erhielt Niebler deutlichen Beifall aus dem Publikum. Die CSU-Politikerin weiter: „Unser Ansatz sind nicht Verbote und hohe Strafen, sondern Anreize.“

Bayerns Luft so sauber wie noch nie

Beim Thema Stickoxid-Grenzwerte erhielt Niebler Unterstützung von Daniel Föst, dem Landesvorsitzenden der Bayern-FDP: „Wir hatten noch nie so saubere Luft in Bayern wie heute. Das wird immer vergessen, und das ärgert mich.“ Unvermeidlich: Die Grünen-Politikerin Hahn zog die schlichte Tatsache in Zweifel: Jetzt über Grenzwerte zu diskutieren, sei falsch. Rinderspacher behauptete gar, egal welche Grenzwerte, in München sei die Luft heute schlechter als vor fünf Jahren.

Die bayerische Wirtschaft ist klimabewusst.

Bertram Brossardt

Moderator Brossardt hielt ebenfalls für unbestreitbar, dass die Luft in Bayern und München sauberer sei denn je. Bei allen unüberbrückbaren Gegensätzen in der Umweltpolitik müsse zwischen den Parteien allerdings über eines Einigkeit herrschen: „Die bayerische Wirtschaft und die bayerischen Unternehmen sind klimabewusst, und nachhaltig sind sie alle.“

Für die Bauern oder gegen die Bauern?

40 Prozent des EU-Haushalts würden für den Agrarsektor aufgewendet, meldete sich eine Fragerin aus dem Publikum. Trotzdem sei ständig von Massentierhaltung und anderen unschönen Dingen zu lesen. Wie aber könnten die Agrargelder so ausgegeben werden, „dass die Kühe nicht unglücklich sind“?

Für die Grünenpolitikerin die Gelegenheit, das Stichwort von der grünen „Agrarwende“ in die Runde zu werfen. Was die Grünen damit meinen, sagte sie kaum. Aber es steht im grünen Europawahlprogramm: Eine Landwirtschaftspolitik, die ausschließlich grünen Vorstellungen von Klima- und Umweltpolitik dient – und den Landwirten selbständiges Leben und Wirtschaften sehr schwer machen würde.

Niebler setzte dagegen ihren klaren Standpunkt: „Wir wollen alle gesunde Lebensmittel. Dann finde ich, dass wir unsere Landwirte auch unterstützen müssen. Gesunde Lebensmittel sollten es uns wert sein, Geld in die Hand zu nehmen für unsere Bauern.“

Brexit am Ende

Zum Schluss das Thema, das die nächsten zwei Monate bei keiner EU-Debatte fehlen wird: Der Brexit. „Geht beim Brexit noch etwas, gibt es noch Hoffnung?“, wollte Brossardt von seinen Gesprächspartnern wissen. Amüsant: Ausgerechnet SPD-Mann Rinderspacher vermisste in Berlin den einstigen Bundeskanzler Helmut Kohl und dessen berüchtigte Telefon-Diplomatie, um den Tories in London zu vermitteln: „Macht es nicht.“ Ebenso sehr fehlte ihm allerdings in seiner eigenen sozialdemokratischen Parteifamilie in Europa eine Stimme, die den Londoner Labour-Chef Jeremy Corbyn zur Ordnung rufen könnte: „Corbyn, Junge, Du bist auf dem völlig falschen Trip.“

Corbyn, Junge, Du bist auf dem völlig falschen Trip.

Markus Rinderspacher, Europapolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der BayernSPD

Die britischen Bürger müssten entscheiden, fand die Grüne Hahn und meinte damit wohl ein zweites Referendum. Zugleich dürfe sich die EU aber nicht erpressen lassen. Von der Bundesregierung erhoffte sie sich ein Statement an die Briten: „Wollen wir es nicht noch einmal probieren?“ Der FDP-Landesvorsitzende Föst wunderte sich über das Fehlen deutscher und europäischer Pendeldiplomatie: „Wie oft waren wir dagegen in Griechenland?“

Auch Angelika Niebler hoffte auf eine zweite Abstimmung. Am guten Willen der EU habe es nicht gefehlt. „Die Tür ist offen, das haben wir oft gesagt. Wir sind für jede vernünftige Lösung zu haben.“ Problem: Die Europäer wüssten nicht, was die Briten überhaupt wollten. Weil es in London offenbar keine Lösung gebe, die im Parlament auf eine Mehrheit rechnen könnte. Niebler: „Dann muss eben entweder das Unterhaus aufgelöst oder ein zweites Referendum durchgeführt werden.“ Wenn die Briten dafür noch Zeit bräuchten, „dann müssen wir dafür auch eine Lösung finden.“