Vom Ende der Welt und dem Ende des Monats
Umweltpolitik darf nicht unsozial sein, das ertragen die Menschen nicht. Das zeigt der Protest der Gelbwesten in Frankreich. Aus dem jetzt eine gemeinsame links- und rechtspopulistische Bewegung zu werden droht.
Frankreich

Vom Ende der Welt und dem Ende des Monats

Kommentar Umweltpolitik darf nicht unsozial sein, das ertragen die Menschen nicht. Das zeigt der Protest der Gelbwesten in Frankreich. Aus dem jetzt eine gemeinsame links- und rechtspopulistische Bewegung zu werden droht.

„Die Eliten reden vom Ende der Welt, aber wir, wir reden vom Ende des Monats“ – für das dann das Geld nicht mehr reicht. Die Pariser Tageszeitung Le Monde hat den Satz am 25. November in einer ihrer vielen schönen Reportagen über den Volksaufstand der Gelbwesten zitiert. Gesagt hat ihn ein Handwerker-Rentner und Stadtrat im 5000-Einwohner Städtchen Baume-les-Dames, nahe Besanςon im ostfranzösischen Departement Doubs. Zusammen mit anderen Gelbwesten hatte er dort ganz friedlich die Autobahn-Mautstation besetzt und mindestens eine Woche lang alle Fahrzeuge mautfrei passieren lassen.

Der griffige Satz hat im Gelbwesten-Frankreich als vielzitierte Formel Furore gemacht. Sogar Präsident Emmanuel Macron hat sie in seiner Energiewende-Rede, zwei Tage später, wörtlich aufgegriffen und versprochen: „Wir werden sie beide behandeln, und wir müssen sie beide behandeln“ – das Ende der Welt und das Ende des Monats. Vergeblich. Ein Gewaltwochenende in Paris später hat er die geplante Steuererhöhung auf Diesel, Benzin und Heizöl vollständig zurücknehmen müssen.

Unsoziale Klimapolitik

Die griffige Formel des Stadtrats aus der Region Franche-Comté bringt auf den Punkt, worum es geht in Frankreich: Der Protest der Gelbwesten ist der erste große Volksaufstand gegen Steuern für Umweltschutz, für Klimaschutz. Gegen Klimasteuern, die vor allem die sprichwörtlichen kleinen Leute bezahlen sollen.

Sie können es nicht. Denn auch das stand in den Reportagen: Im Hochsteuerland Frankreich, bei fast 10 Prozent Arbeitslosigkeit, kommen immer mehr Menschen aus einem fallenden Mittelstand kaum über die Runden. Sie können nicht immer mehr bezahlen für Diesel oder Benzin oder sich gar ein anderes Auto kaufen. Nur damit sie zur Arbeit kommen können. Auch nicht für’s Klima. Eine Politik, die das von ihnen fordert, ist einfach nur unsozial.

Bis zu 75 Prozent Zustimmung

Und sie wird scheitern. Denn das ist eine der Lehren – über Frankreich hinaus – aus der Steuerrevolte der Gelbwesten: Klima und Klimaschutz sind abstrakte Konstruktionen, abstrakte Begriffe. Das Steuergeld, das die Menschen dafür bezahlen sollen und das manche am Ende des Monats eben nicht mehr haben, ist dagegen sehr konkret. Und wenn das Abstrakte mit dem Konkreten kollidiert, wird immer das Konkrete gewinnen. Das ist ein politisches Gesetz. Nicht nur in Frankreich.

Die Eliten reden vom Ende der Welt, aber wir, wir reden vom Ende des Monats.

Jean-Marc Mourey, Stadtrat in Baume-les-Dames (Le Monde)

Das Ende des Monats ist den allermeisten Menschen viel näher als jede Klimatheorie über das Ende der Welt. Was der Grund dafür ist, dass je nach Umfrage-Institut zeitweise bis zu 75 der Franzosen mit den Gelbwesten sympathisierten – eine extreme Zustimmungsrate trotz der Behinderungen durch die Demonstrationen. Macron hat diese landesweite Protestbewegung besänftigen wollen, mit einer langen Rede zur Energiewende. Eine Torheit: Er hat damit die Wut nur noch mehr angefacht.

Frankreich mit dem Rücken zur Wand

Weil die Menschen ihm die Umweltpolitik nicht glauben. Was mit bitteren Zahlen zu tun hat: Frankreichs Staatsverschuldung beträgt 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Und wächst weiter. Denn das Haushaltsdefizit beträgt derzeit 2,8 Prozent. Weil die Regierung die Staatsausgaben nicht in den Griff bekommt: Denn die Staatsquote beträgt 56 Prozent des BIP (Deutschland: 44, Schweiz: 35 Prozent). Allein für den Schuldendienst muss Frankreich derzeit jedes Jahr 42 Milliarden Euro zahlen – mehr als für den Verteidigungshaushalt. Und das bei Niedrigstzinsen.

Frankreich steht fiskalisch mit dem Rücken zur Wand. Macron und seine Regierung haben nicht mehr den geringsten finanziellen Spielraum. Das bedeuten diese Zahlen. Die Franzosen wissen es und ahnen: Die Regierung redet vom Klimaschutz. Aber tatsächlich braucht sie einfach nur mehr Geld. Noch mehr Geld. Denn mit über 46 Prozent hat Frankreich schon die höchste Steuerquote aller OECD-Länder (Deutschland: 37, Schweiz: 27).

Immer mehr Steuern für immer weniger staatliche Leistung

Das machen die Menschen nicht mit. Auch nicht für den Klimaschutz. Erst recht nicht, wenn sie zugleich sehen, dass das ganze Geld vor allem in die Metropolregionen fließt. Und die Mehrheit der Bevölkerung, abseits der fünf oder sechs Metropolregionen, immer weniger staatliche Leistung erhält – Infrastruktur, Behörden, Krankenhäuser, Schulen – für immer höhere Steuerrechnungen.

Worin noch eine Lehre steckt aus Frankreichs Gelbwesten-Aufstand: Die Flächenländer müssen in Infrastruktur investieren, in gleiche Lebensverhältnisse von Stadt und Land – von Metropolregion und Peripherie, wie man in Frankreich sagt. Wenn sie den sozialen und den politischen Frieden erhalten wollen. Für Macron ein unlösbares Problem: Denn seine Regierung hat eben keinen finanziellen Spielraum mehr. Er kann nicht investieren. Was eben auch bedeutet: Im Dauerkrisenland Frankreich sind der Klimawandel und das Ende der Welt nicht das drängendste Problem.

Italienische Verhältnisse

Wie geht die Geschichte weiter? Macron ist vor anderthalb Jahren dafür gefeiert worden, in Frankreich rechte und linke Populisten in Schach gehalten zu haben. Mit seiner Klimaschutzsteuer hat er nun eine Steuerrevolte provoziert. Die natürlich von linken und rechten Populisten sofort massiven Zulauf erhalten hat. In vier Wochen Gelbwestenprotest ist sie zur großen links- und rechtspopulistischen Bewegung gewachsen. Was für die Europawahl in einem halben Jahr Ungutes ahnen lässt. Wenn in Frankreich italienische Verhältnisse drohen, wird es schwierig für Europa.