„Afrika ist die Schicksalsfrage Europas“
Gerd Müllers „Marschall-Plan für Afrika“ macht Fortschritte: Erste Investitionen fließen. Afrikanische Reformpartner müssen Kriterien für gute Regierung erfüllen. Deutsche Unternehmen will der Minister notfalls per Gesetz zu fairem Handel zwingen.
Afrika

„Afrika ist die Schicksalsfrage Europas“

Gerd Müllers „Marschall-Plan für Afrika“ macht Fortschritte: Erste Investitionen fließen. Afrikanische Reformpartner müssen Kriterien für gute Regierung erfüllen. Deutsche Unternehmen will der Minister notfalls per Gesetz zu fairem Handel zwingen.

Die Europäische Union muss einen Afrika-Kommissar berufen und die EU-Mittel für ganz Afrika auf mindestens neun Milliarden Euro verdoppeln. Das fordert Entwicklungshilfeminister Gerd Müller in einem bemerkenswerten Interview mit der Tageszeitung Die Welt.

„Afrika ist die Schicksalsfrage Europas“, warnt Müller. Der Minister nennt eine Zahl: Jedes Jahr drängen 20 Millionen Afrikaner auf völlig überforderte afrikanische Arbeitsmärkte. Das wären 220 Millionen schon bis 2030. Viele von ihnen werden sich auf die Wanderung machen, in die afrikanischen Nachbarländer – oder eben nach Norden, nach Europa.

Müllers Marshallplan für Afrika

Das ist der Grund, warum Müller voll auf seinen „Marshall-Plan für Afrika“ setzt. Der läuft denn auch auf Hochtouren. Unter Federführung seines Ministeriums und des Auswärtigen Amtes beteiligen sich alle Bundesministerien daran.

Im Zentrum seines Afrika-Plans steht nicht mehr klassische Entwicklungshilfe. Müller will „eine neue Partnerschaft zwischen Europa und Afrika“. Sein neuer Ansatz zielt auf enge Zusammenarbeit in der Außen-, Wirtschafts- und Handelspolitik sowie in den Ressorts Gesundheit, Bildung und Energie.

Reformpartnerschaften

Mit Tunesien und den westafrikanischen Ländern Ghana und Elfenbeinküste hat Müllers Ministerium sogenannte Reformpartnerschaften geschlossen. Mit drei weiteren Ländern, dem nordafrikanischen Marokko, dem ostafrikanischen Äthiopien und dem westafrikanischen Senegal wird derzeit über solche Reformpartnerschaften verhandelt.

Afrika kann und muss selbst mehr leisten.

Gerd Müller, Bundesminister

Deutschland stellt den afrikanischen Reformpartnern klare Bedingungen, erläutert Müller: „Voraussetzung sind gute Regierungsführung, Kampf gegen Korruption, Herstellung von Rechtssicherheit und Einhaltung der Menschenrechte.“ Interessant: Weil das Sahelzonenland Tschad solche Kriterien eben nicht erfüllt, hat Müller die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit dem Tschad ausgesetzt. Dem Präsidenten des Landes hat er das sehr deutlich auseinandergesetzt.

Investitionen

Müllers Reformpartnerschaften mit jenen ausgewählten afrikanischen Ländern stehen auf vier Säulen. Zum einen sollen die afrikanischen Partner mehr Eigenleistung bringen. Etwa beim Aufbau von Steuerbehörden, bei der Rechtstaatlichkeit und beim Kampf gegen Korruption.

20 Millionen Afrikaner, die jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen.

Gerd Müller

Im Zentrum solcher Entwicklungszusammenarbeit stehen zum anderen Ausbildungsprojekte und Technologietransfer. Die dritte Säule sollen privatwirtschaftliche Investitionen sein. Kern eines „Entwicklungsinvestitionspakets“, das Müller vorgelegt hat, ist darum ein Fonds, der mit bis zu einer Milliarde Euro ausgestattet werden soll. Dazu kommen Hermes-Absicherungen des Bundes für Unternehmen, die in jenen afrikanischen Ländern investieren wollen.

Fairer Handel

Bei der vierten Säule von Müllers Reformpartnerschaft mit Afrika geht es um deutsche Abnehmer und Kunden: fairer Handel. Müller wird dazu im neuen Jahr eine große Kampagne gegen ausbeuterische Kinderarbeit starten. Müller: „Jede Ware, die nach Europa importiert wird, muss garantiert frei von ausbeuterischer Kinderarbeit sein, ob Schokolade, Kaffee oder Textilprodukte.“

Wenn in Afrika nur drei, vier Cent mehr für den Kakao eines Schoko-Nikolauses ankommen würde, dann hätten die Menschen ein existenzsicherndes Einkommen.

Gerd Müller

Derzeit seien aber nur 55 Prozent des in Deutschland verkauften Kakaos und gar nur 10 Prozent des Kaffees entsprechend zertifiziert, so Müller. Die Bundesregierung wird darum ebenfalls schon 2019 genau überprüfen, ob die Unternehmen in ihren weltweiten Lieferketten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen. Müller: „Sollte die freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreichen, muss ein Lieferkettengesetz das regeln.“

Erste Erfolge

Müllers Reformpartnerschaften haben schon zu ersten Erfolgen geführt: Die drei Reformpartner haben sich beim Investitionsklima verbessert. In Weltbank-Berichten erhalten sie dafür bereits bessere Noten. Auch beim Bemühen um private Investoren geht es voran: In Tunesien hat Müller erst kürzlich sieben Kooperationspartnerschaften mit deutschen Unternehmen im Automobil-, Textil- und Tourismusbereich unterzeichnet.

Müller: „In den letzten Jahren sind in dem Land durch deutsche Firmen 65.000 Arbeitsplätze entstanden.“ In Marokko fließen deutsche Investitionen in den Aufbau des modernsten Solarkraftwerks der Welt. In Ruanda wird derzeit zusammen mit VW, Siemens und SAP ein Mobilitätskonzept für die Hauptstadt Kigali entwickelt.

Nordafrika in den europäischen Wirtschaftsraum aufnehmen

Und schließlich hat Müller noch eine dritte Forderung an die EU: Zollfreiheit für die nordafrikanischen Länder. Die am wenigsten entwickelten afrikanischen Länder haben in der Regel schon freien Zugang zu den Märkten der EU. Ihr Problem: Sie können die EU-Standards für Sicherheit und Hygiene nicht erfüllen. Müllers Ministerium unterstützt daher solche Länder bei der Qualitätssicherung.

Nordafrikanische Länder sind da schon weiter. Aber sie haben eben keinen freien Zugang zum EU-Markt. Tunesien etwa hat für sein durchaus konkurrenzfähiges Olivenöl nur eine kleine zollfreie EU-Einfuhrquote. Ist die ausgeschöpft, greifen Zölle.

Absurde Folge: Deutschland und die EU bauen die tunesische Wirtschaft mit Entwicklungsgeldern auf, schließen aber gleichzeitig deren konkurrenzfähige Produkte vom europäischen Markt aus. Müller: „Das macht doch keinen Sinn.“ Der Minister schließt darum mit einer radikalen Forderung an Brüssel: „Die EU muss den Mut aufbringen, die nordafrikanischen Staaten perspektivisch in den europäischen Wirtschaftsraum zu integrieren.“