Wegwerfplastik wird in großen Teilen der Bevölkerung immer kritischer gesehen. Dazu tragen die Bilder von völlig vermüllten Stränden oder verendeten Meerestieren bei, die sich in Plastikabfällen verheddert oder eine tödliche Menge an Kunststoff mit der Nahrung aufgenommen haben. Mit einem Verbot vieler Einwegprodukte aus Plastik und einer Recyclingquote für Plastikflaschen will die EU die Verschmutzung der Umwelt eindämmen. Einem entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission hat das Europaparlament jetzt zugestimmt.
Eine Welt voller Kunststoff
Plastik ist überall: Von der Brotbox über Textilien bis zum Computer, von Baustoffen über Kosmetik bis zur Plastiktüte. Jährlich werden in Europa nach Angaben der EU-Kommission rund 49 Millionen Tonnen davon auf den Markt gebracht, weltweit waren es 2015 rund 322 Millionen Tonnen. Allein in Deutschland wurden 2017 rund 105.500 Tonnen Kunststoff für Einweggeschirr, Einwegbesteck und Mitnehm-Verpackungen für Fast Food verbraucht. Seit den 1960er Jahren hat sich die Kunststoff-Produktion weltweit verzwanzigfacht. Und in den kommenden 20 Jahren werde sie sich noch einmal verdoppeln, heißt es in einer Analyse der Kommission.
Die Zeit des gedankenlosen Verwendens von Plastik muss zu Ende gehen.
Angelika Niebler, CSU-Europaabgeordnete
Nur knapp ein Drittel des Plastikmülls wird eingesammelt und wiederverwertet. Ein Großteil landet auf Müllkippen oder in der Umwelt. Plastik zerfällt aber nur sehr langsam und sammelt sich besonders im Meer und an Stränden. Bis zu 85 Prozent aller in der EU angespülten Abfälle sind aus Kunststoff – in etwa der Hälfte der Fälle Einwegprodukte. Die EU kann jedoch allein die Welt nicht retten: 90 Prozent des Plastiks in den Ozeanen kommen aus nur zehn Flüssen, acht in Asien, dazu Nil und Niger in Afrika.
Ozeane voll Müll
In den Ozeanen treiben gigantische Plastik-Inseln, die „Müllstrudel“. Laut der Umweltschutzorganisation WWF bedroht Plastik weltweit etwa 700 Meerestierarten, darunter Fische, Meeresschildkröten, Seevögel, Wale und Delfine. Alarmierend auch das: Nach einer Studie des Umweltbundesamts (UBA) wurden am Nordseestrand im Mittel auf 100 Metern 389 Müllteile gefunden – fast zu 90 Prozent aus Kunststoff.
Aber auch in europäischen Binnengewässern sowie im Verdauungstrakt des menschlichen Körpers finden sich laut jüngsten Studien Spuren von Plastik – das sogenannte Mikroplastik – kleinste Partikel. Die Auswirkungen von Kunststoffpartikeln auf Organismen sind noch unzureichend erforscht. Aber sie stehen im Verdacht, toxisch zu sein, da Kunststoffe oft Flammschutzmittel und Weichmacher enthalten, die als krebserregend und die Fruchtbarkeit senkend gelten. Über Fische gelangen sie auch in die menschliche Nahrungskette.
Der Vorschlag der EU-Kommission
Bereits im Mai hat die EU-Kommission Verbote einzelner Plastikprodukte vorgeschlagen, die besonders häufig als Müll im Meer landen, weil sie oft nicht ordentlich entsorgt, gesammelt oder recycelt werden: Plastikbesteck und -geschirr, Wattestäbchen, Ballonhalter und Strohhalme sowie ausrangierte Fischernetze. Verboten werden sollen dabei nur Gegenstände, für die es aus Sicht der Kommission bessere Alternativen gibt. „Diese Produkte werden nicht verschwinden, sie werden nur aus anderem Material sein“, erklärte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans in Brüssel. „Sie können auch künftig ein Picknick organisieren, Cocktails trinken oder ihre Ohren säubern.“ Als Ersatz für Plastik-Trinkhalme kommen zum Beispiel solche aus Papier in Frage.
Andere Wegwerfartikel aus Kunststoff wie Plastikbehälter für Lebensmittel und Getränke sollen zumindest mengenmäßig reduziert werden, um abbaubaren Produkten den Weg zu ebnen. Alle EU-Staaten sollen Minderungsziele aufstellen. Zudem sollen sie bis 2025 mindestens 90 Prozent der Plastikgetränkeflaschen zur Wiederverwertung sammeln, etwa mit Hilfe eines Einwegpfands wie in Deutschland. Darüber hinaus sieht der Plan eine Beteiligung von Herstellern bestimmter Plastikprodukte an den Kosten für Umweltsäuberung und Verbraucherinformationen vor.
Wir haben die Kirche im Dorf gelassen. Ein Europa, das unseren Kindern Luftballons verbietet, brauchen wir nicht.
Angelika Niebler
Es gebe sehr gute moralische, aber auch wirtschaftliche Gründe für den Vorschlag, sagte Timmermans weiter. Denn die Entwicklung neuer abbaubarer Produkte könne Europas Herstellern nicht nur eine gute Startposition im globalen Wettbewerb bringen. Sie helfe auch dabei, die wirtschaftlichen Schäden durch Umweltverschmutzung und mögliche Gesundheitsprobleme zu verringern. Bis 2030 könnten etwa Umweltschäden im Wert von 22 Milliarden Euro vermieden werden, schätzt die Kommission.
Auch die Verbraucher könnten durch die Umstellung auf haltbarere Waren und Mehrwegsysteme unter dem Strich 6,5 Milliarden Euro sparen. Hinzu kommt: Plastikmüll im Meer stellt ein zunehmendes Sicherheitsrisiko für die Schifffahrt dar, Schiffsschrauben und Ruderanlagen können durch verlorengegangene Fischernetze und Taue blockiert werden. Darüber hinaus fangen auch Fischer neben Fischen immer mehr Müll.
Abstimmung im EU-Parlament
Die Richtlinie muss noch mit den EU-Staaten und dem EU-Parlament verhandelt werden. Letzteres hat nun abgestimmt: „Die Zeit des gedankenlosen Verwendens von Plastik muss zu Ende gehen. Das sind wir der Umwelt und der Ressourcenschonung schuldig“, so die Europaabgeordnete Angelika Niebler (CSU) nach der Abstimmung in Straßburg. „Die neuen Standards zur Vermeidung von Plastikmüll sollten bis zum Frühjahr stehen. Europa hat einen riesigen Mehrwert auch für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.“
Neben Verboten sollen bis 2025 Lebensmittelverpackungen oder Kombinationsmaterialien bei Trinkbechern um mindestens 25 Prozent reduziert werden. Die Müllmenge aus plastikhaltigen Zigarettenfiltern soll bis 2030 um 80 Prozent sinken. Für Mehrweg-Plastikflaschen soll der Recycling-Anteil auf mindestens 35 Prozent steigen. „Nicht jedes Bündel Bananen braucht eine extra Plastikverpackung. Und wir Deutsche sind zwar Weltmeister im Sammeln von Plastikflaschen, aber bei der Wiederverwertung hapert es noch“, so die CSU-Europaabgeordnete weiter.
Nicht durchsetzen konnten sich Forderungen, keine Luftballons mehr steigen zu lassen. „Wir haben die Kirche im Dorf gelassen. Ein Europa, das unseren Kindern Luftballons verbietet, brauchen wir nicht. Wir müssen an den neuralgischen Punkten ansetzen“, so die Vorsitzende der CSU-Europagruppe.
Mikroplastik nimmt zu – auch in Bayern
„Dem Frevel, dass weltweit achtlos Plastikmüll in unserer Umwelt weggeworfenen wird, muss unbedingt Einhalt geboten werden. Es ist ein erster Schritt, dass die EU hiergegen vorgeht“, sagte Bayerns Umweltminister Marcel Huber. „Was wir brauchen, sind wirkungsvolle Anreizsysteme zur Vermeidung von Plastikabfällen und Ansätze, Kunststoffprodukte besser im Wirtschaftskreislauf zu halten“, fordert auch Huber. Hier sei der Bund gefordert. Und jeder Bürger: „Wichtig ist eine Anti-Plastik-Allianz in den Köpfen. Wir wollen die breite Überzeugung dafür schaffen, dass jeder selbst etwas gegen Konsummüll tun kann.“
Denn auch die bayerischen Binnengewässer sind betroffen. Bayern hat schon 2014 als erstes Land eine Mikroplastik-Initiative gestartet. Dazu forschen Universitäten, das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) sowie das Landesamt für Umwelt (LfU) über Eintragspfade, Vorkommen und Verteilung von Mikroplastikpartikeln in bayerischen Gewässern sowie Auswirkungen auf Gewässerlebewesen.
Der beste Müll ist der, der gar nicht erst entsteht.
Marcel Huber
Die mittlerweile abgeschlossenen Untersuchungen zeigen, dass bayerische Gewässer stark mit Mikroplastik belastet sind. Die ein Mikrometer bis fünf Millimeter großen Teilchen wurden in allen Gewässer- und Schlammproben nachgewiesen. Sie stammten unter anderem aus Chiemsee, Starnberger See, Ammersee, Isar, Donau und Altmühl. Der höchste Wert wurde mit 831 Partikeln pro Quadratmeter im Ufersediment des Starnberger Sees gemessen. Im Wasser gab es deutlich weniger Mikroplastik, etwa im Chiemsee nur 0,1 Teile. Das alles überrascht nicht, meint Stefan Pastötter, Vorstandsmitglied der „Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern e.V“: „Wasserkraftwerksbetreiber holen in Bayern schon lange pro Jahr tausende Tonnen Treibgut, darunter sehr viel Plastik, aus den Flüssen.“
Bayern lehnt die Einführung einer „Plastiksteuer“ oder „Kunststoffabgabe“ ab und verfolgt neben der Verbraucheraufklärung weitere Ansätze hinsichtlich Recycling, Ersatzstoff-Forschung und regionaler Müllvermeidung. So wurde gemeinsam mit Politik, Wirtschaft und Verbänden ein Bündnis gegen die Flut von Einwegbechern geschlossen. „Wir brauchen eine Rohstoffwende mit mehr Recycling und weniger Rohstoffeinsatz. Der beste Müll ist der, der gar nicht erst entsteht“, so Huber. „Plastikabfall zu vermeiden ist aktiver Gewässerschutz.“ Weiter heißt es aus dem Ministerium: „Der Einsatz von Kunststoffen soll insbesondere dort reduziert werden, wo sie überflüssig sind oder es bessere Alternativen gibt: Stofftaschen oder Flechtkörbe statt Plastiktüten, Refill statt Einweg, Einkaufsnetze statt eingeschweißtem Gemüse sind nur ein paar Beispiele. Bei Wasch- und Reinigungsmitteln soll in Zukunft freiwillig auf den Zusatz von kleinsten Plastikpartikeln verzichtet werden.“
Mikroplastik
Bislang stehen vor allem Kosmetika im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte um Mikroplastik. Doch es gibt viel mehr Verursacher: Für zunächst 51 Quellen von primärem Mikroplastik haben die Autoren der Studie „Kunststoffe in der Umwelt“ des Fraunhofer-Instituts für Umwelttechnik in Oberhausen die Emissionen ermittelt. Auftraggeber waren Chemiekonzerne, Kosmetikhersteller, Wasserverbände, Abfallentsorger und Hochschulen. Mit 19 Gramm liegen Kosmetikprodukte aber nur auf Platz 17 der Verursacher, ganz vorne steht der Abrieb von Autoreifen mit rund einem Drittel der Mikroplastik-Emissionen. Schuhsohlen-Abrieb liegt übrigens auf Platz sieben. Sekundäres Mikroplastik entsteht dagegen durch Verwitterung und Zerfall großer Plastikteile. Das Thema Mikroplastik ist so wichtig, dass es beim UN-Umweltgipfel in Nairobi Ende 2017 diskutiert wurde und es ein eigenes UN-Umweltprogramm zum Thema Plastikmüll gibt.