Nachdenklicher Wahlsieger: SVP-Landeshauptmann Arno Kompatscher am Wahlabend in Bozen. (Bild: imago/Eibner/Europa)
Wahlen

Dilemma in Südtirol

Brüssels Italien-Problem wird größer, nicht kleiner. Das ist die Botschaft der Landtagswahlen in Südtirol und im Trentino. In beiden Provinzen schnitt Matteo Salvinis Lega sehr stark ab. In Südtirol bleibt die SVP geschwächte Regierungspartei.

Matteo Salvini und seine rechtsnationale Lega sind weiter im Aufwind, stark im Aufwind. Das vor allem ist die Botschaft aus den Landtagswahlen in Südtirol und in der ebenso autonomen Provinz Trient/Trentino.

Salvini im Aufwind

In Südtirol kam Salvinis Lega, die dort noch als Lega Nord firmiert, auf 11,1 Prozent – eine Vervierfachung gegenüber dem Wahlgang von 2013. In der Landeshauptstadt Bozen, wo sich Südtirols italienische Minderheit konzentriert, wurde die Lega mit 27,8 Prozent sogar stärkste Partei vor der Südtiroler Volkspartei (SVP). Was die derzeitige Stärke Salvinis und seiner Lega in ganz Italien erahnen lässt.

Salvini ist in Italien ein Popstar.

Günter Pallaver, Politikwissenschaftler

„Salvini ist in Italien ein Popstar“, zitiert die Wiener Tageszeitung Die Presse den Südtiroler Politikwissenschaftler Günter Pallaver. Auf einer regelrechten Wahlkampftour durch Südtirol erhielt Salvini auch vom deutschen Publikum viel Beifall. Was seiner Lega jetzt vier Mandate im Südtiroler Landtag einbringt und ziemlich sicher die Rolle des italienischen Koalitionspartners in der neuen SVP-Regierung.

Rechtsruck im Trentino

In Trient eroberte die Mitte-Rechts-Liste des Lega-Spitzenkandidaten Maurizio Fugatti mit 46,6 Prozent der Stimmen sogar die absolute Mehrheit – ein Erdrutsch. Der Lega-Mann Fugatti, den im Mai Salvini selber als Listenführer vorschlug, wird nun als Landeshauptmann in den Regierungssitz in Trient einziehen. Und damit eine letzte Bastion des italienischen Mitte-Links-Lagers schleifen: Seit 1945 war das Trentino immer links regiert worden. Nicht mehr.

Die linke Bastion Trentino fällt

Neue Zürcher Zeitung

„Unglaublich“, jubelte Salvini über die Zahlen aus Südtirol und Trentino: „Die echten Stimmen, die echten Bürger, die Italiener, hören nicht auf Professoren, Zeitungen, die Kritiker und europäischen Bürokraten. Sie bitten die Lega, mit noch mehr Kraft weiterzumachen.“ Im Haushaltsstreit mit der EU-Kommission, heißt das wohl, wird Salvini nicht nachgeben. Brüssels Italien-Problem wird größer, nicht kleiner. Und auch bei der Migrationspolitik unterstützen viele Salvinis harte Linie.

Geschwächte SVP

Mit 41,9 Prozent konnte zwar die Südtiroler Volkspartei ihr selbstgesetztes Ziel von 40 Prozent+X erreichen. Landeshauptmann Arno Kompatscher sprach von einem „guten Ergebnis“. Und von „schmerzenden“ Stimmenverlusten. Denn dies schlechteste SVP-Ergebnis ist eben auch eine Niederlage. Gegenüber dem Jahr 2013 verlor die SVP fast vier Prozentpunkte. 2008 war sie zum ersten Mal seit 1948 unter die 50-Prozent-Marke gesunken.

Stärker verloren als die SVP haben deren rechte deutschsprachige Konkurrenten: Die Freiheitlichen – das Südtiroler Gegenstück zur österreichischen FPÖ – drittelte sich fast von 17,9 auf 6,2 Prozent. Die sezessionistische Süd-Tiroler Freiheit verlor von 7,2 auf 6 Prozent.

Die Südtiroler wollen keine Österreicher sein.

Die Presse

Beide Parteien hatten mit dem Wiener Angebot, deutschstämmigen Südtirolern österreichische Pässe anzubieten und die Doppelstaatsbürgerschaft anzubieten Wahlkampf gemacht. Interessanterweise hat das Angebot bei den Südtirolern nicht gezündet. Schlussfolgerung der Wiener Die Presse: „Die Südtiroler wollen keine Österreicher sein.“

Neuer Konkurrent für die SVP

Die große Überraschung gelang dem Bozener Unternehmer Paul Köllensperger. 2013 war als Kandidat der 5-Sterne-Bewegung (M5S) in den Bozener Landtag eingezogen. Erst vor kurzem hat er sich von den 5-Sternen getrennt. Mit seinem Team Köllensperger gewann er aus dem Stand ganz allein 15,2 Prozent und sechs Mandate − das ist Platz 2. Köllensperger bezeichnet sein Team als „Bewegung der Mitte der Gesellschaft“ und als „sozial-liberale“ Sammlungsbewegung. Es ist aber vor allem eine weitere rein deutschsprachige Konkurrenz für die SVP.

Denn von den M5S sind die Stimmen für Köllensperger jedenfalls nicht gekommen: Die M5S blieben mit 2,4 Prozent in Südtirol so bedeutungslos wie zuvor (2,5). Die Südtitoler Grünen verloren von 8,7 auf 6,8 Prozent mit drei Mandaten.

Eine Dreier-Koalition …

SVP-Landeshauptmann Kompatscher zieht nun mit nur noch 15 von 35 Mandaten in den Bozener Landtag und ist auf einen Koalitionspartner angewiesen. Der muss italienisch sein. Denn laut Autonomiestatut für die Autonome Provinz Bozen-Südtirol muss in der Regierung auch die italienische Sprachgruppe vertreten sein.

Das war zuletzt die mitte-links angesiedelte Demokratische Partei (PD). Doch die halbierte sich von 6,7 auf 3,8 Prozent mit nur noch einem Mandat. Was nur dann zur Regierungsmehrheit reichte, wenn etwa noch die Grünen als dritter Partner hinzukämen.

… oder eine Verbindung mit der Lega

Die SVP-Spitze hat indes schon verlauten lassen, dass sie mit jener Partei auf italienischer Seite kooperieren wolle, die den größten Vertretungsanspruch für die Sprachgruppe geltend machen könne, berichtet die Wiener Tageszeitung Der Standard. Das kann eigentlich nur Salvinis Lega sein, und die ist auch offen für Gespräche.

Eine Allianz mit der Lega dürfte der SVP nicht leichtfallen.

NZZ

Tatsächlich gibt es Überschneidungen zwischen der dezidiert wirtschaftsfreundlichen Lega und der SVP. Aber auch einen großen Konflikt: Die Lega ist scharf anti-EU getrimmt bis hin zum potentiellen Austritt aus der Eurozone. Die SVP ist ebenso klar pro-europäisch gepolt. Als Regierungspartei der deutschen Minderheit und der autonomen Provinz Südtirol, die eben nicht in Italien untergehen will, muss sie es sein.

Europawahl-Dilemma

Was Probleme aufwirft für den bevorstehenden Europa-Wahlkampf. Antreten dürfen da in Italien nur landesweite Parteien. Die SVP braucht also einen italienischen Partner für eine gemeinsame Liste. Das war zuletzt die ebenfalls pro-europäische PD. Doch die nimmt immer mehr die Gestalt einer politischen Leiche an und ist als Listenpartner kaum attraktiv. „Die SVP steht in Hinsicht auf die anstehende EU-Parlamentswahl vor einem strategischen Dilemma“, meint dazu der ORF.

Eine Verbindung der SVP mit der Lega, die die Europawahl schon zum Referendum über die EU ausruft, ist allerdings auch schwer darstellbar. Obwohl: Auch jetzt sitzen der einzige SVP-Europaabgeordnete und die (noch) 26 PD-Abgeordneten im Straßburger Parlament natürlich in unterschiedlichen Fraktionen. Die SVP gehört der EVP-Fraktion an, die PD-Abgeordneten der der Sozialdemokraten. Es wird spannend sein zu sehen, wie die SVP erst ihr Koalitionsproblem und dann ihr Europawahl-Dilemma löst.