Roms gefährliche Schuldenpolitik
Italien hat 2300 Milliarden Euro Schulden - Europas größter Schuldenberg - und zahlt 65 Milliarden pro Jahr nur für Zinsen. Trotzdem will Roms Regierung die Neuverschuldung stark erhöhen. Für Wahlgeschenke, die sie sich nicht leisten kann.
Italien

Roms gefährliche Schuldenpolitik

Italien hat 2300 Milliarden Euro Schulden - Europas größter Schuldenberg - und zahlt 65 Milliarden pro Jahr nur für Zinsen. Trotzdem will Roms Regierung die Neuverschuldung stark erhöhen. Für Wahlgeschenke, die sie sich nicht leisten kann.

„Europa ist mir völlig egal“, ruft Italiens rechtsnationaler Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini. Sein Koalitionspartner, Co-Vizepremier und Sozialminister Luigi Di Maio, formuliert es etwas milder: „Wir müssen uns gegenüber unseren Wählern verantworten und nicht gegenüber Brüsseler Bürokraten.“ Gemeint ist beide Male das gleiche: Brüskierung und Herausforderung der Brüsseler EU-Kommission wie im Grunde aller Euro-Partnerländer.

2300 Milliarden Euro Schulden

Salvini und Di Maio hätten auch sagen können, ihnen sei die Finanzstabilität ihres Landes „vollig egal“. Denn darauf läuft es hinaus. Mit einer Schuldenlast von 2300 Milliarden Euro ist Italien in absoluten Zahlen das am höchsten verschuldete Land der Euro-Zone. Der Schuldenberg macht 132 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes aus. Um ihre teuren Wahlversprechen zu erfüllen, will die pan-populistische Regierung in Rom nun trotzdem die Verschuldung weiter steigern. Rom verabschiedet sich wohl auf viele Jahre vom Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes.

Italien hat in absoluten Zahlen die höchste Schuldenlast im Euroraum.

Le Figaro

Auf 2,4 Prozent soll Italiens Haushaltsdefizit im Jahr 2019 steigen. Das ist das Dreifache der Rate von 0,8 Prozent, welche die Vorgängerregierung von Matteo Renzi geplant und der EU-Kommission zugesichert hatte. Bei den 2,4 Prozent soll es auch die folgenden beiden Jahre bleiben. Dabei war eigentlich schon für das Jahr 2020 die Rückkehr zum ausgeglichenen Aushalt geplant mit einem Defizit von etwa 0,2 Prozent.

780 Euro Bürgergeld

Von der Verdreifachung des Haushaltsdefizits erhoffen sich Salvini und Di Maio einen finanziellen Spielraum von 14 bis 20 Milliarden Euro. Damit wollen sie einen ganzen Katalog teurer Wahlversprechen finanzieren: Arbeitslose und etwa 6,5 Millionen Personen, die unter der Armutsgrenze leben, sollen ab März ein Bürgergeld von 780 Euro beziehen. Was mindestens 10 Milliarden Euro kosten wird.

Triumph der Unvernunft in Rom.

Neue Zürcher Zeitung

Mit etwa 7 Milliarden Euro schlägt die Rückkehr zu früheren Renten zu Buche. Dazu kommt in einem ersten Schritt die Einführung einer Einheitssteuer von 15 Prozent für kleine Selbständige. Ein Steueramnestie für Steuerschulden unter 100.000 Euro soll den „Steuerfrieden“ herbeiführen. 1,7 Milliarden Euro kostet ein Fonds für Opfer der Bankenkrise. Zu alledem kommen noch unaufschiebbare Ausgaben über 15 Milliarden Euro. Macht alles in allem 27 Milliarden Euro, errechnet die Neue Zürcher Zeitung.

Gegenfinanzierung: Prinzip Hoffnung

Die Gegenfinanzierung all dieser Vorhaben ist offen. Beobachter fürchten darum, dass es bei dem Defizit von 2,4 Prozent nicht bleiben wird. „Ich kann ihnen versichern, dass die Verschuldung sinken wird, dank unerwartet großen Wirtschaftswachstums“, sagt Di Maio. Sehr ähnlich formuliert es Ministerpräsident Giuseppe Conte: „Das Ziel ist, die Schulden sinken zu lassen, indem wir auf kräftigeres wirtschaftliches Wachstum und auf eine breitere soziale Entwicklung setzen.“

Wir fürchten die Märkte nicht.

Luigi di Maio, stellvertretender Regierungschef (5-Sterne-Bewegung)

Für 2019 rechnet Rom mit 1,5 Prozent Wachstum. Was eine optimistische Erwartung ist: 2018 wird Italiens Wachstum nicht mehr als 1,2 Prozent betragen – deutlich weniger als der Durchschnittswert für den Euro-Raum von 2,1 Prozent (The Economist).

„Budget des Volkes“

„Heute ist ein historischer Tag, heute hat sich Italien verändert,“ jubelte M5S-Chef Di Maio am Abend des Kabinettsbeschlusses. Ein „Budget des Volkes“ nannte er den Haushaltsplan, der nun die Armut besiegen soll. Es ist tatsächlich Di Maios Sieg. Er hat sein teuersten Wahlversprechen – das Bürgergeld – durchgeboxt. Di Maio hat sich durchgesetzt. Nicht nur gegen Brüssel, sondern auch gegen den hinhaltenden Widerstand der Lega und vor allem gegen den unabhängigen Finanzminister Giovanni Tria und Staatspräsident Sergio Mattarella.

Tria hatte nicht über ein Defizit von 1,6 Prozent hinausgehen wollen. Um nicht Italiens Finanzstabilität zu gefährden. Er muss dafür sogar mit Rücktritt gedroht haben. Mattarella, der maximal 2 Prozent Defizit hatte zugestehen wollen, appellierte eindringlich an ihn, im Amt zu bleiben: „Damit kein Finanzsturm entfesselt wird, der das Land ins Chaos stürzt.“ Tria, der eigens ernannt worden war, um Brüssel und die Märkte zu beruhigen, fügte sich – „aus Patriotismus“.

Roms Risiken wachsen

Mit dem neuen Schulden-Haushalt der Populisten wachsen die Risiken für Italien – und den Euroraum. Nach dem Kabinettsbeschluss in Rom verlor die Mailänder Börse fast vier Prozent. Der Zinssatz für italienische Zehnjahresanleihen sprang von 2,9 auf 3,25 Prozent – deutsche Zehnjahresanleihen werden mit 0,49 Prozent verzinst. Beobachter erwarten, dass die Rating-Agenturen Italiens Kreditwürdigkeit weiter herabstufen werden. Was zu weiteren Zinssprüngen führen muss. Ein Problem für Rom. Denn in den nächsten Jahren werden große Teile der italienischen Staatsverschuldung fällig. Die müssten dann zu deutlich höheren Zinsen umgeschuldet werden.

Was schwer möglich wäre: Im vergangenen Jahr musste Italien schon 65 Milliarden Euro zahlen – nur für Zinsen. Das ist mit Abstand der größte Posten im italienischen Haushalt: 8 Prozent der Staatseinnahmen und 3,6 Prozent der Wirtschaftskraft. Bei weiter wachsenden Zinsen könnte schnell die psychologisch bittere Schwelle von 100 Milliarden Euro in Sichtweite geraten.

Rutscht Italien auf einen Finanzabgrund wie Griechenland oder Argentinien zu?

The Economist

Das Land hat keinen finanziellen Spielraum mehr. Weder für höhere Zinslasten, noch eigentlich für Investitionen irgendwelcher Art. „Die Gefahr wächst, dass der Regierung des hochverschuldeten Landes die Kontrolle über die Staatsschulden zunehmend entgleitet“, warnt denn auch die Neue Zürcher Zeitung.

EU-Kommission will keine Krise mit Rom

So sieht das auch die EU-Kommission. Denn wegen Italiens exorbitanter Verschuldung hatte Brüssel mit Rom die Senkung des Haushaltsdefizits vereinbart. Rom hatte dafür Garantien aus dem Staatenrettungsfonds ESM erhalten. „Es ist klar, dass der Haushaltsplan, der anstelle einer Reduzierung des Strukturdefizits einen erheblichen Anstieg vorsieht, im Widerspruch zu Italiens Zusagen steht, denen alle EU-Staaten zugestimmt haben“, sagt dazu Finanzmarktkommissar Valdis Dombrovskis.

Bis zum 15. Oktober muss Rom in Brüssel einen detaillierten Haushaltsentwurf vorlegen. Den die Kommission dann prüft. Die populistische Regierung in Rom wird zunächst wohl nicht mit Sanktionen rechnen müssen. „Wir haben kein Interesse, eine Krise zwischen Italien und der EU-Kommission zu eröffnen“, sagt schon EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Er wolle sich um Dialog mit Rom bemühen.

Ein halbes Jahr vor den Europawahlen will die EU-Kommission die Kraftprobe mit den EU-kritischen Populisten in Rom meiden. Vielleicht tröstet man sich in Brüssel sogar. Denn es hätte schlimmer kommen können: Nach der Wahl im März hatten Salvini und Di Maio angekündigt, sich nicht mehr an die Maastrichter Defizitgrenze von 3 Prozent halten zu wollen.