„Das ist keine Rosinenpickerei“
Für die künftige Partnerschaft mit der EU will Premierministerin Theresa May kein bestehendes Modell übernehmen. London strebt die „breitest- und tiefstmögliche Partnerschaft“ mit der EU an - mit der Freiheit, selber Handelsabkommen zu schließen.
Brexit

„Das ist keine Rosinenpickerei“

Für die künftige Partnerschaft mit der EU will Premierministerin Theresa May kein bestehendes Modell übernehmen. London strebt die „breitest- und tiefstmögliche Partnerschaft“ mit der EU an - mit der Freiheit, selber Handelsabkommen zu schließen.

„Ja, kein Deal ist besser als ein schlechter Deal. Das habe ich bei vielen Gelegenheiten gesagt, aber ich bin zuversichtlich, dass wir einen Deal abschließen können.“ So klang die Antwort der britischen Premierministerin Theresa May auf eine Journalistenfrage nach ihrer mit Spannung erwarteten Grundsatzrede. Die Premierministerin erläuterte darin ihre „Vision von der zukünftigen wirtschaftlichen Partnerschaft zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union“.

Wir wollen die Freiheit, mit anderen Ländern überall in der Welt Handelsabkommen auszuhandeln.

Theresa May, britische Premierministerin

Brexit bleibt Brexit, bestätigte May noch einmal: „Wir verlassen den Binnenmarkt.“ Und die Zollunion mit der EU. May: „Wir wollen die Freiheit, mit anderen Ländern überall in der Welt Handelsabkommen auszuhandeln. Wir wollen die Kontrolle über unsere Gesetzgebung zurückgewinnen. Wir wollen auch eine Grenze zwischen uns und der EU, die so reibungslos wie möglich ist – damit wir die Lieferketten, von denen unsere Industrien abhängen, nicht beschädigen und damit wir keine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland bekommen.“

Das Nordirland-Problem

Das Problem der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, die eben nicht entstehen soll, ist vertrackt. EU-Verhandlungschef Michel Barnier hatte zuletzt insistiert, dass Nordirland darum schlicht in der Zollunion bleiben müsse. Was dann aber Nordirland aus dem britischen Binnenmarkt und aus britischer Souveränität herauslösen würde – für London und Nordirland undenkbar.

„Wir haben die Errichtung jeglicher physischer Kontrollinfrastruktur an der Grenze ausgeschlossen“, erinnerte jetzt May. „Aber es ist nicht genug zu sagen: ‚Wir werden keine harte Grenze einführen; wenn die EU Irland zwingt, das zu tun, dann ist das deren Sache.‘ Wir haben uns entschlossen zu gehen, wir haben eine Verantwortung, dabei zu helfen, eine Lösung zu finden.“ Womit sie aber zugleich andeutete: Wir müssen das aber nicht tun, wir können die Grenzfrage aber auch einfach Euch überlassen.

Beide Optionen würden Großbritannien die Freiheit lassen, gegenüber dritteln Ländern eigene Zolltarife festzulegen.

Theresa May

May hat nun zwei neue Vorschläge gemacht, um zu besagter „reibungsloser Grenze“ zwischen Nordirland und der Republik Irland zu kommen: eine „Zollpartnerschaft“, in der Großbritannien für Güter, die für die EU bestimmt sind, die „gleichen Tarife und Bestimmungen“ übernimmt. Oder den Weg eines „maßgeschneiderten Zollabkommens zwischen der EU und London, mit speziellen Bedingen für Nordirland. May: „Beide Optionen würden Großbritannien die Freiheit lassen, gegenüber dritten Ländern eigene Zolltarife festzulegen – was in einer Zollunion einfach nicht möglich wäre.“ Aber genau darauf kommt es London sehr an.

Maßgeschneiderte Wirtschaftspartnerschaft

In der irischen Grenzfrage sind Brüssel und London tatsächlich gezwungen, neue Wege zu gehen. Das könnte helfen, auch in der Frage der weiteren wirtschaftlichen Partnerschaft zum Kompromiss zu finden. Auf bekannte Modelle wie etwa Norwegens minderprivilegierte Beteiligung am Binnenmarkt oder den Freihandelsvertrag mit Kanada will London denn auch nicht zurückgreifen. May: „Wir müssen eine neue Vereinbarung schließen. Die Rechte Kanadas und die Verpflichtungen Norwegens werden wir nicht akzeptieren.“ Die Premierministerin will etwas anderes: „Ich will die breitest- und tiefstmögliche Partnerschaft – sie soll mehr Sektoren betreffen und mehr Zusammenarbeit möglich machen als jedes Freihandelsabkommen heute irgendwo auf der Welt.“

Nach britischen Vorstellungen soll die neue Wirtschaftspartnerschaft auf „bindenden reziproken Verpflichtungen für fairen und offenen Wettbewerb“ gründen. Die Briten wollen dafür einen „unabhängigen Schiedsgerichtsmechanismus“ einrichten und ein Forum für permantenen Dialog und Austausch. Ein Abkommen über Datenschutz soll den freien Datenfluss möglich machen. Und schließlich soll die Freizügigkeit der Personen so gut als möglich erhalten werden – aber eben nicht vollständig, denn „wir wollen die Zahl der Leute, die kommen, um in unserem Land zu leben, unter Kontrolle haben“.

Wir wollen die Zahl der Leute, die kommen, um in unserem Land zu leben, unter Kontrolle haben.

Theresa May

London sucht eine maßgeschneiderte Wirtschaftspartnerschaft mit mal mehr Zugang zum Binnenmarkt, mal mit weniger: Die gemeinsame Agrar- und Fischereipolitik etwa wird es verlassen. Bei gemeinsamem Management der Fangründe und bei offenen Märkten für die jeweiligen Produkte soll es aber bleiben. Bei den Dienstleistungen soll es neue Hürden nur geben, wo unumgänglich. May: „Wir wollen EU-Dienstleister nicht diskriminieren.“ Auch bei den Finanzdienstleistungen soll es eine „tiefe und umfassende Partnerschaft“ geben. Auf dem Feld der Energie sucht London die breite Zusammenarbeit mit der EU – schon um den gemeinsamen irisch-nordirischen Strommarkt nicht zu gefährden. Am digitalen Binnenmarkt will London aber nicht teilnehmen – weil Großbritannien sich hier als Weltmarktführer sieht.

Keine Rosinenpickerei

Die neue Partnerschaft, die London sich vorstellt, soll exakt zugeschnitten sein „auf die Bedürfnisse unserer Wirtschaften“, mit von Bereich zu Bereich unterschiedlichen Markzugängen. So wie das Handelsabkommen zwischen zwei Partnern immer und überall vorsehen. May: „Wenn das Rosinenpickerei ist, dann ist jedes Handelsabkommen Rosinenpickerei.“