Frischer Wind in Brüssel: Der österreichische Wahlsieger Sebastian Kurz mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim Gipfel in Brüssel. (Bild: Imago/Zuma/Wiktor Dabkowski)
Brüssel

EU kürzt Hilfen für Türkei

Die EU will die Finanzhilfen zur Vorbereitung eines Beitritts der Türkei kürzen. Darauf habe sich der EU-Gipfel geeinigt, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. EVP-Fraktionschef Manfred Weber fordert erneut, die Beitrittsgespräche ganz zu beenden.

Trotz des bitteren Streits mit der Türkei hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür ausgesprochen, weiter mit dem Diktator Recep Erdogan in Ankara zu reden. Auch stellte sie sich eindeutig hinter den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei, einschließlich der Zahlung weiterer Milliarden zur Versorgung Schutzsuchender.

Keine Mehrheit für Abbruch der Gespräche

Merkel hatte die Türkeipolitik auf die Agenda der 28 Staats- und Regierungschefs setzen lassen, nachdem sie im Wahlkampf für einen Stopp der Beitrittsverhandlungen plädiert hatte. Schon bei der Ankunft in Brüssel erinnerte die Kanzlerin an die Verhaftung mehrerer Deutscher in der Türkei und nannte die demokratische Entwicklung des Landes sehr negativ. „Wir haben hier sehr große Sorgen“, sagte sie. Im Kreis der EU-Länder gibt es aber kaum Unterstützung für einen Bruch, vor allem weil der Flüchtlingspakt nicht gefährdet werden soll.

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen gestoppt werden.

Manfred Weber, EVP-Fraktionschef

Dennoch wolle man die EU-Kommission veranlassen, die sogenannten Vorbeitrittshilfen „in verantwortbarer Weise zu kürzen“, so Merkel. Damit reagiere die EU auf die „absolut unbefriedigende Situation der Menschenrechte“ in der Türkei. Der österreichische Kanzler Christian Kern sagte, mit den Beitrittshilfen habe man die Türkei näher an die rechtsstaatlichen Standards Europas heranführen wollen – dies sei eindeutig „nicht gelungen“. Insgesamt hat die EU der Türkei für den Zeitraum 2014 bis 2020 rund 4,45 Milliarden Euro veranschlagt, 368 Millionen davon sind bisher vertraglich gebunden. Auch Gespräche über die von Ankara geforderte Erweiterung der Zollunion mit der EU wird es nicht geben.

Richtiges Signal

Der Europa-Politiker Manfred Weber von der CSU, der die konservative EVP-Fraktion im Europäischen Parlament führt, sieht in der Kürzung der EU-Türkei-Gelder das richtige Signal. Angesichts der demokratischen Entwicklung in dem Land könne Brüssel bei den Beitrittsverhandlungen mit Ankara nicht weitermachen wie bisher. Die EU dürfe die politischen Aktivitäten von Erdogan nicht auch noch finanziell unterstützen, sagte Weber dem Bayerischen Rundfunk. Auf Facebook postete Weber außerdem: „Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen gestoppt werden.“ Das sei mit der EVP nicht zu machen. Schon im Juli hatte der EVP-Chef im Tagesspiegel gesagt, die Beitrittsgespräche seien „von Anfang an eine Illusion“ gewesen. Auch die Ausweitung der Zollunion und eine Visaliberalisierung hatte Weber stets abgelehnt.

Das Europäische Parlament hat das angepackt, wozu sich die Mitgliedstaaten bis zuletzt nicht durchringen konnte – der Türkei endlich die rote Karte zu zeigen.

Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter

„Das Fass ist längst übergelaufen. Wir sind schon lange an einem Punkt angelangt, an dem wir als Europäische Union keine Beitrittsgespräche mit der Türkei mehr führen können. Ein Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen ist längst überfällig“, pflichtetet ihm der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber bei. Er forderte klare Worte: „Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung fordert eine härtere Gangart gegenüber der Türkei. Frau Merkel hat diese im Wahlkampf auch versprochen und muss das in Brüssel jetzt deutlich vertreten.“ Das Europäische Parlament hat bereits vor Monaten das Aussetzen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert. „Das Europäische Parlament hat das angepackt, wozu sich die Mitgliedstaaten bis zuletzt nicht durchringen konnte – der Türkei endlich die rote Karte zu zeigen. Es müssen endlich Taten folgen.“ Beitrittsverhandlungen seien keine Einbahnstraße. „Ein Aussetzen von Beitrittsverhandlungen ist im EU-Verhandlungsrahmen ausdrücklich vorgesehen“, betonte Ferber und verwies auf dessen Artikel 5. „Eine einfache Aussetzung der Beitrittsverhandlungen geht mir jedoch nicht weit genug. Wer weiter an den Beitrittsverhandlungen festhält, belügt sich selbst. Es ist nicht zielführend, der Türkei weiter vorzumachen, zu irgendeinem Zeitpunkt Mitglied der EU zu werden. Wir brauchen eine Alternative, wie die EU und die Türkei in Zukunft zusammenarbeiten“, so Ferber abschließend.

Flüchtlingshilfe bleibt

Merkel akzeptierte aber, dass weiter EU-Geld zur Versorgung von Flüchtlingen in die Türkei fließt – drei Milliarden Euro sind schon verplant, drei weitere sollen folgen. „Hier leistet die Türkei Herausragendes“, sagte die CDU-Chefin beim EU-Gipfel in Brüssel. Die EU sieht den Flüchtlingspakt als Erfolg, weil seit 2016 sehr viel weniger Menschen von der Türkei nach Griechenland übersetzen. Dafür war jedoch in erster Linie die Schließung der Balkanroute verantwortlich.

Nun versucht die EU dasselbe auf der Route über das zentrale Mittelmeer von Nordafrika nach Italien und arbeitet dafür mit Libyen zusammen. Gleichzeitig wolle man den EU-Fonds zur Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika auffüllen, berichtete EU-Ratspräsident Donald Tusk. Europa müsse bei der Migrationspolitik „endlich weiterkommen und die Zuwanderung begrenzen“, sagte auch EVP-Chef Weber im BR. Darüber habe er beim Gipfel unter anderem mit dem österreichischen Wahlsieger Sebastian Kurz gesprochen.

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen nach Tusks Worten auch einen neuen Anlauf zur Reform des höchst umstrittenen EU-Asylsystems starten und möglichst bis Mitte 2018 abschließen.

Artikel 5 des EU-Verhandlungsrahmens für die Türkei

Darin steht: „Erfolgt in der Türkei eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der für die Union grundlegenden Werte der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit, so wird die Kommission von sich aus oder auf Antrag von einem Drittel der Mitgliedstaaten die Aussetzung der Verhandlungen empfehlen und die Bedingungen für eine mögliche Wiederaufnahme vorschlagen.“