Unter dem katalanischen Banner: Vor dem Obersten Gericht in Barcelona demonstrieren Tausende Separatisten für die Freilassung jüngst festgenommener Mitarbeiter der Regionalregierung. (Foto: Imago/ZUMA press)
Spanien

Niederschlagung eines Aufstands

Der Zwist zwischen der Regierung in Madrid und katalanischen Separatisten eskaliert: Mit einer Polizeiaktion will Ministerpräsident Rajoy ein Referendum über die Unabhängigkeit zu verhindern. Die Regionalregierung in Barcelona gibt sich unbeugsam.

Erst zuschlagen, dann reden – nach dieser Maxime scheint Spaniens Zentralregierung mit der renitenten Landesregierung in Katalonien zu verfahren. Im Zwist um das geplante Referendum über die Unabhängigkeit der Region im Nordosten am 1. Oktober durchsuchten am Mittwoch Beamte der Bundespolizei „Guardia Civil“ Büros der Verwaltung in Barcelona, beschlagnahmten Papiere und Wählerlisten, verhafteten 14 Mitarbeiter. Strafrechtlicher Vorwurf: „Aufstand“ gegen die Verfassungsordnung, darauf stehen bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Am Tag nach der Polizeiaktion schlägt in Madrid Wirtschaftsminister Luis de Guindos versöhnliche Töne an: „Sofern sie die Pläne für die Unabhängigkeit aufgeben, können wir reden.“ Verhandeln ließe sich beispielsweise über eine Reform des Finanzsystems, meint der Minister. Die wirtschaftliche Situation Spaniens verbessere sich seit der Krise von 2012 und es geben inzwischen Spielräume für Zugeständnisse.

Verhärtete Fronten

Das Verhältnis zwischen der Generalitat, dem Regierungsapparat von Regionalpräsident Carles Puigdemont, und der Zentralregierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy ist seit Jahren zerrüttet. Rajoys Kommunikationskanäle seien kaputt, lässt Puigdemont seinen Sprecher ausrichten: „Den einzigen Kontakt gibt es über Querelen.“ Ganz so als seien seine eigenen verbalen Krafthubereien und die seines Vorgängers Artur Mas geeignet gewesen, die Situation zu bessern. Schon vor drei Jahren hatte Mas ein ähnliches Referendum angestrebt, das er als „Befragung“ der Bevölkerung deklarierte.

Hinter der verbalen Camouflage betreiben beide Seiten seit langem die Eskalation. Ein unangenehmer autoritärer Zug prägt ohnehin die Politik im Land – in Madrid ebenso wie in Barcelona. Das politische Establishment und manche Behörden haben nach dem Ende der Franco-Diktatur deren obrigkeitlichen Habitus nie wirklich abgelegt. Konflikte wie in der Auseinandersetzung zwischen dem Zentralstaat und der Autonomen Region Katalonien werden lieber mit dem exekutiven Bulldozer planiert, anstatt sie in mühseligen Verhandlungen beizulegen. Faktisch sei mit dem Eingriff der „Guardia Civil“, einst paramilitärisches Machtorgan des Caudillos Franco, der korrekte Ablauf der geplanten Abstimmung bedroht, geben selbst Minister aus Puigdemonts Kabinett zu.

Sofern sie die Pläne für die Unabhängigkeit aufgeben, können wir reden.

Luis de Guindos, Wirtschaftsminister

Wieviel demokratisches Unvermögen kann sich ein Land im Umgang mit einer Region erlauben, die große Teile der Wirtschaftskraft beisteuert? Aber auch die Gegenseite muss sich fragen lassen: Hilft sich ein florierender Wirtschaftsstandort, indem er aus dem Zentralstaat und damit auch aus der EU austritt, wohin wesentliche Teile seiner Exporte fließen? Der Vergleich mit Bayern und der Bundesrepublik liegt nahe: Der Freistaat erwirtschaftet mit 16 Prozent der deutschen Bevölkerung rund 18 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Katalonien gelingen bei gleich hohem Bevölkerungsanteil sogar 19,7 Prozent des BIP.

Der Vergleich Bayern – Katalonien

Der Unterschied zwischen den beiden Staaten liegt in ihrer Organisationsform: Das föderale System in Deutschland ermöglicht beispielsweise die Neuverhandlung des Länderfinanzausgleichs, wie es sie in diesem Jahr gab – zu Gunsten auch des Wirtschaftsmotors Bayern. Im Zentralstaat Spanien hingegen haben Autonome Regionen wie Katalonien zwar viele Sonderrechte erkämpft, speziell im Bildungs- oder Kultursektor, auch im fiskalischen Bereich. Zentral erhobene Steuermilliarden, die in ärmere Regionen wie Andalusien abfließen, sind jedoch keineswegs leicht zurückzuholen. Deswegen lockt Wirtschaftsminister de Guindos nun mit Reformen des Finanzsystems.

Zu hoffen wäre, dass der Konflikt nach dem aktuell hohen Wellengang wieder in ruhigeres Fahrwasser gelangt. So wie bei früherer Gelegenheit, als die Positionen von Katalanen und Spaniern unüberbrückbar schienen – und später doch ein (meist geldwerter) Kompromiss zugunsten der aufsässigen Minderheit gefunden wurde. Die Gefahr allerdings besteht, dass Rajoy die ursprünglich eher im patriotischen Sentiment gewachsene Bewegung der „Independistas“ mit dem handfesten Polizeieingriff nun zum unversöhnlichen Widerstand provoziert und ihr noch mehr Bürger zutreibt. Denn vor der rabiaten Aktion waren die Katalanen laut Umfragen eher geteilter Meinung über die Abstimmung, ein Sieg der „Independistas“ schien keineswegs sicher. Das spanische Verfassungsgericht hat das Ansinnen für verfassungswidrig erklärt.

Die EU-Kommission will vorerst nicht vermitteln

Spanien bleibt auch mehr als 40 Jahre nach dem Ende der Diktatur ein gespaltenes Land, zwischen einst republikanischen Hochburgen wie Katalonien und dem Zentrum Madrid. Der katalanische Regionalpräsident Puigdemont gibt sich unbeeindruckt vom Rückschlag durch die Durchsuchungen und Festnahmen vom Mittwoch: Das Referendum werde Anfang Oktober wie geplant abgehalten, „mit dem selben Enthusiasmus, Bürgersinn und Unerschütterlichkeit wie bisher“. Die Europäische Kommission lehnt es derweil ab, zwischen den zerstrittenen Parteien zu vermitteln – außer Regierungschef Rajoy bittet darum.