Ein überfälliges Signal
Berlin muss handeln: Die Türkei verhaftet willkürlich Bundesbürger, um sie gegen Türken einzutauschen, die vor Erdogans Zugriff nach Deutschland geflohen sind. Die Methode schreit nach einer Reisewarnung. Andere Maßnahmen können folgen.
Türkei

Ein überfälliges Signal

Kommentar Berlin muss handeln: Die Türkei verhaftet willkürlich Bundesbürger, um sie gegen Türken einzutauschen, die vor Erdogans Zugriff nach Deutschland geflohen sind. Die Methode schreit nach einer Reisewarnung. Andere Maßnahmen können folgen.

Das Außenministerium von SPD-Außenminister Siegmar Gabriel darf keinen Tag länger zögern: Die ganz offizielle, amtliche Warnung vor Reisen in die Türkei ist überfällig. Wenn Gabriel damit noch länger wartet, verursacht er menschliches Leid und lädt Schuld auf sich.

Mafia-Methoden in Ankara

Die Türkei verhaftet willkürlich deutsche Staatsbürger. Offenbar mit einem besonders üblen Ziel. Sie sammelt Geiseln, um die Bundesregierung zum Austausch zu zwingen: Berlin soll türkische Bürger ausliefern, die sich nach dem Putschversuch in Deutschland der Verfolgung durch Präsident Erdogans Schergen entzogen oder gar hier um Asyl nachgesucht haben. Dafür kämen dann die willkürlich oder unter fadenscheinigen politischen Vorwürfen verhafteten Bundesbürger wieder frei.

Wenn sie bei der Auslieferung nicht behilflich sind, dann sollen sie wissen, dass sie die Bürger, die uns in die Hände fallen, auch nicht bekommen können.

Präsident Recep Erdogan

Elf Bundesbürger – zum Teil mit deutsch-türkischer Doppelstaatsbürgerschaft, zum Teil mit nur einem Pass, aber ethnisch-türkischem Hintergrund – sind derzeit in türkischen Untersuchungsgefängnissen in Haft, ein deutsch-türkischer Journalist schon seit über 200 Tagen. Untersuchungshaft kann in der Türkei jahrelang dauern. In anderen Fällen sind Ausreisesperren verhängt worden. Empörend: Die Inhaftierung deutscher Bürger gehe Deutschland nichts an, sagt in Ankara Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Tatsächlich hat sich Präsident Recep Erdogan Mitte August per Dekret das Recht übertragen lassen, ausländische Häftlinge in türkischen Gefängnissen gegen Gefangene in ausländischen Haftanstalten auszutauschen, „wenn die nationale Sicherheit oder die Interessen des Landes dies erfordern“. Erdogan wird außerdem mit der kürzlichen Drohung zitiert: „Wenn sie bei der Auslieferung nicht behilflich sind, dann sollen sie wissen, dass sie die Bürger, die uns in die Hände fallen, auch nicht bekommen können.“ Der türkische Präsident als Mafia-Boss.

Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen

Beim Spitzenkandidaten-Duell haben sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz dafür plädiert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden – eine langjährige CSU-Forderung. Problem: Den in der Türkei inhaftierten Bundesbürgern hilft das nicht. Vor Oktober gibt es keinen EU-Gipfel. Um die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden, bräuchte es einen einstimmigen Beschluss aller 28 Mitgliedstaaten. Die EU-Kommission will nicht die EU als verantwortlich für den Bruch mit der Türkei erscheinen lassen. Auch Milliarden Euro-Beitrittshilfen aus Brüssel kann die Bundesregierung nicht stoppen.

Berlin muss alleine handeln

Die Bundesregierung wird also alleine handeln müssen, um ihre Bürger zu schützen und aus willkürlicher türkischer Geisel-Haft zu befreien. Am wirksamsten wäre es, wirtschaftliche Schrauben anzuziehen, und zwar massiv. Möglichkeit dazu gibt es reichlich: Am naheliegendsten wäre besagte Reisewarnung. Sie würde den türkischen Tourismussektor – 12 Prozent der Wirtschaft des Landes – hart treffen.

Deutschland ist der größte Handelspartner der Türkei. Deutsche Firmen sind wichtige Investoren im Lande. Was sich sofort ändern würde, wenn Berlin keine Hermes-Bürgschaften für deutsche Exporte in die Türkei mehr geben würde. Absurderweise erhält die Türkei 2,8 Milliarden Euro Entwicklungshilfe aus EU-Ländern – 426 Millionen allein aus Deutschland. Berlin kann auch das von einem Tag auf den anderen beenden.

Türkische Aggression gegen die EU

Geduld und Langmut sind gegenüber Recep Erdogan die falsche Politik. Zur Erinnerung: Bis März 2016 war der türkische Präsident sozusagen „Schleusenwärter“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung), der nach Lust und Laune die Migranten-Schleusen öffnete oder schloss. Das war im Grunde blanke Aggression gegen die EU. Er ist dafür belohnt worden mit einem Flüchtlingsabkommen, das ihm sechs Milliarden Euro in die Kassen spült. Das darf sich nicht wiederholen. Erdogan lernt sonst nur das Falsche. Und wie gesagt: Die Bundesbürger in türkischen Gefängnissen haben ein Recht auf schnelle nachdrückliche Hilfe. Berlin ist in der Pflicht.