Von Erdogan über Interpol in Spanien festgesetzt: Der Kölner Schriftsteller Dogan Akhanli, der aus der Türkei stammt, aber nur deutscher Staatsbürger ist. (Foto: Imago/Horst Galuschka)
Spanien

Erdogan-Kritiker festgesetzt

Der türkische Präsident Erdogan benutzt jetzt sogar Interpol, um Kritiker einzuschüchtern: Der deutsch-türkische Schriftsteller Akhanli wurde während eines Spanien-Urlaubs festgenommen. Die Bundesregierung hält eine Auslieferung für unwahrscheinlich.

Die Bundesregierung hält eine Auslieferung des Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli von Spanien an die Türkei für sehr unwahrscheinlich. „Wir können uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass unter diesen Umständen eine Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen in die Türkei in Betracht kommt“, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, in Berlin. Er bezog sich insbesondere auf „den Zustand des Rechtsstaats in der Türkei, aber auch die Vorwürfe, die in diesem Fall gemacht werden, die nach politischer Verfolgung geradezu riechen“. Dies habe die deutsche Botschaft bereits am Samstag gegenüber der spanischen Regierung klar gemacht – kurz nach der Festnahme Akhanlis während eines Spanien-Urlaubs.

Ich fürchte, dass Erdogan wie Muammar al-Gaddafi in Libyen oder Saddam Hussein im Irak als wirrer Despot endet.

Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland

Der Autor selbst fühlt sich aber immer noch nicht ganz sicher. Er sagte dem Spiegel: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich als deutscher Staatsbürger an ein Nicht-EU-Land ausgeliefert werde, aber beunruhigt bin ich schon.“ Akhanli stammt aus der Türkei, besitzt aber nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Schriftsteller war am Sonntag wieder freigelassen worden und darf Spanien während des Auslieferungsverfahrens nicht verlassen. Die türkischen Behörden hätten nun bis zu 40 Tage Zeit für ein förmliches Auslieferungsersuchen, sagte Schäfer. Dann entscheidet die spanische Justiz. Die Bundesregierung habe volles Vertrauen in die spanische Justiz und werde „nicht nachlassen“, die Argumente gegen eine Auslieferung einzubringen. Auch ein Sprecher der EU-Kommission sagte: „Die Europäische Kommission hat volles Vertrauen, dass die spanischen Behörden diesen Fall nach EU-Recht behandeln.“

Türkei hob Akhanli-Freispruch auf

Gegen Akhanli lag ein Suchauftrag bei der Internationalen Polizeiorganisation Interpol vor, eine „Red Notice“. Diese stammt laut Schäfer aus dem Jahr 2013. Bereits damals habe die Bundesregierung entschieden, dass Akhanli nicht ausgeliefert werde. Eine neue „Red Notice“ liege nicht vor, sagte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums. Die Türkei wirft Akhanli Terrorismus und andere schwere Verbrechen vor, darunter die Beteiligung an einem Raubüberfall 1989. Ein Freispruch von 2010 vor einem türkischen Gericht wurde 2013 aufgehoben – laut Schäfer „unter merkwürdigen Umständen“.

Die Türkei will mich zum Schweigen bringen.

Dogan Akhanli, Schriftsteller

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schließt eine nochmalige Verschärfung der deutschen Linie gegenüber der Türkei nicht aus. „Wir müssen uns immer wieder die Schritte vorbehalten“, sagte sie am Sonntagabend im Sender RTL auf eine Frage nach härteren Sanktionen. Regierungssprecher Schäfer ergänzte, Interpol habe im Fall Akhanli nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, mit einer gesonderten Notiz deutlich zu machen, dass er wahrscheinlich aus politischen Gründen verfolgt werde. Dies sei wohl auch der Grund für Spanien gewesen, den Fall zu verfolgen und den Schriftsteller festzunehmen. Wie die Bild-Zeitung berichtet, ignoriert das Bundeskriminalamt (BKA) Fahndungsaufrufe der Türkei derzeit grundsätzlich, wenn der Verdacht einer politischen Verfolgung besteht.

Texte über Armenier-Völkermord als Grund?

Dogan Akhanli selbst sagte, derzeit suche er für die Zeit seines Verfahrens eine Wohnung in Spanien. „Nur jeden Montag muss ich zum Gericht in Madrid und eine Unterschrift leisten.“ Die Vorwürfe gegen ihn wies er als „aus der Luft gegriffen“ zurück. „Die Türkei will mich zum Schweigen bringen.“ Der Anwalt des Kölner Schriftstellers, Ilias Uyar, geht davon aus, dass sein Mandant vor der Festnahme in Spanien von der Türkei bespitzelt worden ist. „Es war eine zielgerichtete Festnahme, kein Zufallstreffer in dem Sinne“, sagte Uyar.

Kritiker wenden ein, Erdogan lasse Akhanli vermutlich deshalb verfolgen, weil dieser es gewagt hatte, über den türkischen Völkermord an den Armeniern 1915-1917 zu schreiben. Dies ist in der Türkei verboten, unter anderem durch den Strafrechts-Tatbestand „Beleidigung des Türkentums“.

Die EU hat zu lange weggeschaut

Im Münchner Merkur forderte Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland, wirtschaftlich mehr Druck auf die Türkei auszuüben. „Die Türkei hat sich nicht über Nacht in ein Unrechtsregime verwandelt“, sagt er. „Auch die EU hat zu lange weggeschaut und trägt daher eine Mitverantwortung.“ In der Türkei gebe es keine unabhängige Justiz mehr, auch die Presse sei „gleichgeschaltet“.

Gleichzeitig äußerte Toprak die Einschätzung, dass Erdogans Pläne, die Türkei zur Regionalmacht im Nahen Osten und später zur islamischen Weltmacht zu machen, gescheitert sind. Daher seien die außenpolitischen Konfrontationen „vor allem innenpolitisch motiviert“, Erdogan wolle sich als „starker Führer, der sich vom Westen nichts sagen lässt“, in Szene setzen. Doch damit werde Erdogan scheitern, so Toprak: „Ich fürchte, dass Erdogan wie Muammar al-Gaddafi in Libyen oder Saddam Hussein im Irak als wirrer Despot endet.“