Holland in Not: Das Land steht noch ohne Regierung da. (Bild: Imago/Hollandse Hoogte/David Rozing)
Niederlande

Sorge vor laxer Währungspolitik

Gastbeitrag Schwierige Regierungsbildung in den Niederlanden: Koalitionsverhandlungen sind schon zwei Mal gescheitert - an der Flüchtlingspolitik. Mit Blick auf den Brexit sorgt sich Den Haag um eine solide EU-Haushalts- und Währungspolitik ohne London.

In den Niederlanden scheiterten drei Monate nach der Parlamentswahl die Koalitionsverhandlungen erneut; die Innenpolitik tritt auf der Stelle. In der Europapolitik werden nach dem Brexit neue Konturen sichtbar: Den Haag sorgt sich um eine solide Haushalts- und Währungspolitik, die London immer unterstützte, für die das Land aber nun als Verbündeter wegfällt. Einer deutsch-französischen Achse stehen die Niederlande mit gemischten Gefühlen gegenüber. Berlin sollte unbedingt weiter einen engen Draht zu Den Haag pflegen.

Schwierige Zusammensetzung

Die Wahl am 15. März 2017 brachte folgende Sitzverteilung im Parlament:

Partei 2017 2012
VVD (liberal-konservativ) 33 41
PVV (populistisch) 20 15
CDA (christdemokratisch) 19 13
D66 (links-liberal) 19 12
GrüneLinks (GL) (grün/links-liberal) 14 4
SP (sozialdemokratisch) 14 15
PVdA (sozialdemokratisch) 9 38
CU (christlich-sozial) 5 5
Sonstige 17 4

 

An den Koalitionsverhandlungen beteiligten sich die VVD, die CDA, D66 und GL. Zusammen kämen sie auf 85 Sitze; dies würde eine solide Mehrheit bedeuten. Wie bereits Mitte Mai scheiterten die Gespräche auch Mitte Juni an der Flüchtlingspolitik. VVD, CDA und D66 plädieren für Verträge der EU mit nordafrikanischen Staaten, wonach Flüchtlinge nicht grundsätzlich, sondern nur unter bestimmten Bedingungen in der EU Asyl erhalten können. Die Grünen wollen politische und Kriegsflüchtlinge, ohne Rücksicht auf deren Zahl, generell nicht zurückschicken.

Niemand fordert Neuwahlen

Die Sondierungsgespräche finden seit der Wahl Mitte März hinter verschlossenen Türen statt. Es dringen keine Informationen nach außen. Im Allgemeinen geht die niederländische Politik bis dato gelassen damit um, dass noch kein neues Kabinett zusammengekommen ist. Neuwahlen fordert niemand.

Aber die Koalitionsverhandlungen bestimmen die Innenpolitik weiterhin. Sie werden diskret fortgeführt. Tageszeitungen vermuten, dass die drei Parteien VVD, CDA und D66 nun auf die CU zugehen werden, um sie als vierte Kraft zu gewinnen. Allerdings ergäbe sich mit insgesamt 76 Sitzen eine instabile Mehrheit von nur einer einzigen Stimme.

Mit der sozialistischen Partei?

Außerdem vertreten D66 und die CU in gesellschaftspolitischen Fragen konträre Auffassungen, zum Beispiel bei der in den Niederlanden ohnehin bereits liberal geregelten Sterbehilfe. Aus diesen Gründen könnte es sein, dass doch nicht die CU zum Zug kommt, sondern mit Hilfe der Sozialistischen Partei (SP) und ihren 14 Sitzen eine weitaus stabilere Mehrheit gebildet wird. So gibt es in manchen Gegenden der Niederlande bereits heute funktionierende Koalitionen, an denen die SP teilhat. Dass die sozialdemokratische PvdA nach ihrem Absturz erneut in die Regierung eintritt, gilt in gut informierten Kreisen als wenig wahrscheinlich. Sie wird es vorziehen, ihr Profil in der Opposition zu schärfen.

Europapolitik im Blick

Der Brexit beschäftigt Den Haag sehr. So hat einerseits der Handel mit Großbritannien für die Niederlande eine große Bedeutung. Andererseits fühlte sich die niederländische Politik in einer Rolle zwischen den beiden EU-Größen Großbritannien und Deutschland gut aufgehoben. Alle drei miteinander bilden bis zum heutigen Tag eine stabile Grundlage für eine Finanz- und Währungspolitik, die Stabilität und Ausgabenkontrolle in den Mittelpunkt stellt.

Wann hat Frankreich den EU-Stabilitätspakt zum letzten Mal eingehalten?

Politiker in Den Haag

Aus diesem Grund beobachten die Niederlande die Charmeoffensive des neuen französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron gegenüber Deutschland aufmerksam und auch skeptisch. Den Haag befürchtet, dass Berlin sich von Paris zu einer laxeren Währungspolitik verleiten lässt. „Wann hat Frankreich den EU-Stabilitätspakt zum letzten Mal eingehalten?“, fragt ein niederländischer Politiker.

Gleichzeitig herrscht das Bewusstsein vor, dass ohne einen deutsch-französischen Motor die Europäische Union schlechter dastehen würde. Auch wenn niederländische Gesprächspartner anerkennen, dass Macron den Reformbedarf in Frankreich realisiert hat, steht damit noch nicht fest, wie die Bevölkerung auf seine Politik reagieren wird.

EU-Nordschiene plus Wien

Zur Wahrung ihrer Interessen denken die Niederländer bereits heute an neue Koalitionen, die darauf basieren, dass die Benelux-Staaten stets an einem Strang ziehen würden. Übereinstimmungen bei der Finanzpolitik ergäben sich insbesondere mit den skandinavischen EU-Ländern, dem Baltikum, Irland und Österreich. Eine „Nordschiene plus Wien“ wäre die Folge. Doch auch die sogenannten Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn nehmen die Niederländer für den Interessenabgleich in den Blick.

Wir arbeiten hart, und die anderen geben das Geld aus.

Grundstimmung in Den Haag

Den Haag treibt die Sorge vor einer Bevormundung durch Brüssel um, insbesondere im Kontext einer nachlässigen Währungspolitik. Die Grundstimmung lässt sich knapp auf den Punkt bringen: „Wir arbeiten hart, und die anderen geben das Geld aus.“ Ein Austritt aus der Europäischen Union ist in Holland, trotz einer gewissen skeptischen Einstellung, kein Thema. Die Niederländer erwarten, dass Brüssel ihnen einen Mehrwert liefert und meinen damit allen voran die innere und äußere Sicherheit. Den Haag zweifelt stark an einer einheitlichen EU-Sozialpolitik.

Brexit ohne Rosinen

Was die Abwicklung des Brexits betrifft, so möchten die Niederlande das gute Verhältnis zu London bewahren, wenden sich allerdings deutlich gegen ein mögliches Rosinenpicken. Den Haag ist sich dessen bewusst, dass im Zuge des Brexits die Bedeutung Deutschlands in der Europäischen Union weiter zunehmen wird. Von Berlin erwartet man eine Art Spagat, nämlich dass es einerseits seine Führungsrolle annimmt, andererseits aber die Partner nicht zu sehr führt und keinesfalls bevormundet. Für die deutsche Flüchtlingspolitik zeigen die Niederländer keine besondere Sympathie. Gleichwohl wird Bundeskanzlerin Angela Merkel als diejenige Politikerin anerkannt, die die Europäische Union zusammenhält.

Stabile Partnerschaft mit Berlin

In der Europapolitik arbeiteten die Niederlande und Deutschland bisher eng zusammen. Die stabile Partnerschaft gründete sich nicht zuletzt auf dem gemeinsamen Interesse der Einhaltung des Finanz- und Stabilitätspaktes. Mit einem weichen Euro können beide Seiten nichts anfangen. Berlin wird an dieser Auffassung festhalten und der Pflege der Beziehungen mit den Niederlanden weiterhin eine große Bedeutung einräumen, auch wenn in den deutsch-französischen Motor mit der Wahl des 39-jährigen Macron (endlich) Bewegung zu kommen scheint. Deutschland hat in den Niederlanden einen starken und standfesten Verbündeten gegen eine Banken- und Schuldenunion.

Der Autor dankt Herrn Felix Brandstätter für die Unterstützung bei der Verfassung des Beitrags.