Moskaus Wende nach Osten
Die Russische Föderation stellt den Ausbau der Zusammenarbeit mit Asien in den Mittelpunkt ihrer Außenpolitik. Moskau fördert insbesondere Projekte mit Peking. Die Bevölkerung unterstützt diesen Kurs mehrheitlich und sieht darin auch eine Antwort auf die Sanktionspolitik des Westens. Kommentatoren sehen aber auch Risiken einer russischen Juniorrolle im Verhältnis zum Reich der Mitte.
BRICS-Gipfel in Ufa

Moskaus Wende nach Osten

Die Russische Föderation stellt den Ausbau der Zusammenarbeit mit Asien in den Mittelpunkt ihrer Außenpolitik. Moskau fördert insbesondere Projekte mit Peking. Die Bevölkerung unterstützt diesen Kurs mehrheitlich und sieht darin auch eine Antwort auf die Sanktionspolitik des Westens. Kommentatoren sehen aber auch Risiken einer russischen Juniorrolle im Verhältnis zum Reich der Mitte.

Für Moskau hat die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Asien und vor allem mit China oberste Priorität. Das bilaterale Handelsvolumen mit dem Reich der Mitte soll laut Premierminister Dmitrij Medwedew von derzeit 95,3 Milliarden Dollar auf 200 Milliarden Dollar im Jahr 2020 ansteigen. Bezahlen wollen Moskau und Peking zunehmend mit Rubel und Yuan und sich damit vom US-Dollar lösen.

Chinesische Unternehmen werden die 770 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke von Moskau nach Kasan bauen und technisch ausstatten. Der deutsche Siemens-Konzern als Auftragnehmer der Russischen Staatsbahn ist damit aus dem Rennen.

China als Kooperationspartner des Kremls

China will insbesondere seinen Warenexport steigern. Deshalb wurden bereits zwei russischen Kreditinstituten Verfügungsrahmen von knapp 1,5 Millionen Dollar eingeräumt, zudem steht eine chinesische Exportversicherung bereit. 8 Milliarden Dollar stellt Peking für Agrar- und Infrastrukturprojekte in Sibirien zur Verfügung. Größten Stellenwert hat für China das Projekt „Neue Seidenstraße“ − eine Eisenbahntransportroute von Asien durch Russland nach Europa. Außerdem werden chinesische Unternehmen die 770 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke von Moskau nach Kasan bauen und technisch ausstatten. Der deutsche Siemens-Konzern als Auftragnehmer der Russischen Staatsbahn ist damit aus dem Rennen.

Der Kreml möchte in China seine Absätze in den Bereichen Atomkraftwerke, Flugzeugbau (Sukhoi Superjet 100 inklusive der Errichtung von technischen Wartungszentren in China) und Rohstoffe steigern. Im Fokus der Aufmerksamkeit steht der bereits 2014 getätigte Abschluss eines Gaslieferungsvertrags mit einem Volumen von 38 Milliarden Kubikmetern jährlich ab 2018 („Sila Sibirij“). Während die Errichtung dieser Pipeline bereits begonnen hat, laufen die Gespräche für eine zweite Route, um ab 2020 pro Jahr weitere 30 Milliarden Kubikmeter Gas von Westsibirien durch das Altajgebirge nach China zu transportieren. Und bereits 2013 hatten der Staatskonzern Rosneft und die China National Petroleum Corporation (CNPS) die Lieferung von 360 Millionen Tonnen Erdöl im Laufe von 25 Jahren vereinbart (Wert der Vertrags: etwa 270 Miliarden Dollar).

Die Russische Föderation in Organisationen fernab des Westens

Gleichzeitig forciert der Kreml zwischenstaatliche Zusammenschlüsse ohne westliche Beteiligung, wie etwa die Schanghai-Organisation (SOC) und die BRICS-Staaten. Beide Institutionen führten Anfang Juli zeitlich direkt aufeinander folgend Gipfel im russisch-baschkirischen Ufa durch. Bereits im Vorfeld der beiden Gesprächsforen unterstrich allerdings der Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow, dass keine großen Entscheidungen zu erwarten seien. Denn bereits 2014 habe die Organisation der BRICS-Staaten wesentliche Schritte für eine vertiefte Zusammenarbeit unternommen und damals eine Entwicklungsbank und einen Topf mit milliardenschweren Währungsreserven geschaffen.

Den Hauptpunkt des SOC-Gipfels stellte der Aufnahmeprozess der beiden Neumitglieder Indien und Pakistan dar, die dem Forum zukünftig neben Russland, China, Tadschikistan, Usbekistan, Kirgistan und Kasachstan angehören werden. Gründungsidee der SOC war die Klärung von Grenzstreitigkeiten, welche sich nach dem Zerfall der UdSSR in Zentralasien ergeben hatten.

Stimmung in der Bevölkerung

Die russische Bevölkerung bewertet den Ausbau der Beziehungen mit asiatischen Staaten überwiegend positiv. So steht nach einer Umfrage des kremlkritischen Levada-Instituts zu den „befreundeten Staaten Russlands“ der Sympathiewert Chinas mit 43 Prozent an zweiter Stelle hinter dem Weißrusslands mit 55 Prozent. Peking hat seinen Zuspruchswert seit 2013 mehr als verdoppelt. An dritter Stelle folgt Kasachstan. Deutschland sahen damals noch 14 Prozent der Menschen als Freund, heute nur noch 2 Prozent. Die Ukraine fiel in der Zustimmung von 16 auf 1 Prozent. Die USA liegen mit großem Abstand an der Spitze der „nicht befreundeten Staaten“: 73 Prozent der Menschen teilen diese Einschätzung. 2013 waren es nur 38 Prozent. An der zweiten Stelle liegt die Ukraine mit 37 Prozent, gefolgt von den drei baltischen Ländern.

Deutschland sahen 2013 noch 14 Prozent der Russen als Freund, heute nur noch 2 Prozent.

Der Popularitätszuwachs Chinas hat auch mit der Sanktionspolitik Washingtons und Brüssels zu tun. Denn danach gefragt, wie die Russische Föderation auf die Sanktionen des Westens reagieren sollte, antworten 42 Prozent der Teilnehmer einer anderen Umfrage zufolge mit einer Ausweitung der wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit mit China, Indien und Staaten des Nahen Ostens. 46 Prozent sind demnach davon überzeugt, dass die Sanktionen gegen breite Bevölkerungsschichten gerichtet sind; 29 Prozent sehen als Zieladressat einen engen Kreis von Leuten, welche die russische Ukraine-Politik verantworten. Eine große Mehrheit von 70 Prozent befürwortet, dass Moskau seine Politik trotz der Sanktionen fortsetzt – eben auch durch die Festigung der Beziehungen mit China. Gleichzeitig steigt in Russland das Interesse daran, Chinesisch zu lernen.

Kann sich Russland gegen China behaupten?

Trotz seiner seit 2014 nach Asien gerichteten Exportoffensive, konnte der Kreml das Handelsvolumen mit China bisher nicht steigern. Ganz im Gegenteil: Vergleicht man den Warenumsatz der Zeiträume Januar bis April 2014 und 2015 auf US-Dollar-Basis, brach nach den offiziellen Angaben des föderalen Zolldienstes der Austausch um fast 30 Prozent ein. Insgesamt spiegelt dies die allgemein schlechte Lage der russischen Wirtschaft und des Außenhandels wider. Auch der Umsatz aus dem Handel mit den USA und Deutschland sank um 21,2 und um 35,2 Prozent. Noch stärker ist der Rückgang im Falle Frankreichs und der Niederlande.

Aufgrund der Annäherung zwischen Moskau und Peking könnte die russische öffentliche Hand zunehmend chinesischen Firmen anstatt deutschen oder französischen Zuschläge erteilen, wenn keine russischen Angebote zur Verfügung stehen.

Die Direktinvestitionen Chinas bleiben bis dato verhalten (insgesamt nur 1,3 Prozent aller Direktinvestitionen). China will nun aber mehrere Initiativen starten, um die Quote zu steigern. Darin sieht die deutsche Wirtschaft durchaus neue eigene Chancen. Bernd Hones von der Außenhandelsagentur „Germany Trade & Invest“ (gtai) verweist auf die Errichtung einer chinesischen Automobilfabrik im zentralrussischen Tula. Hier rechne sich ein deutscher Hersteller von Lackiermaschinen Chancen aus. Auch ein Heizkraftwerk in Jaroslawl, das zu 70 Prozent mit chinesischem Kapital gebaut werde, statte Siemens mit Dampfturbinen aus, so Hones. Gleichwohl steht in anderen Bereichen zu erwarten, dass die Konkurrenz für deutsche Unternehmen massiv zunehmen wird, wie die Auftragsvergabe der Hochgeschwindigkeitsstrecke Moskau-Kasan an ein chinesisches Unternehmen zeigt. Aufgrund der Annäherung zwischen Moskau und Peking könnte die russische öffentliche Hand zunehmend chinesischen Firmen anstatt deutschen oder französischen Zuschläge erteilen, sofern keine entsprechenden russischen zur Verfügung stehen.

Beobachter wissen, das Moskau den 2014 geschlossenen Gasliefervertrag aus einer Position der Schwäche heraus unterzeichnen musste und zu Rabatten gezwungen gewesen sein soll.

Ob Russland sich am Ende gegen das starke China behaupten kann, bewerten Experten skeptisch. Insbesondere im Rohstoffbereich ist zu hören, dass Moskau den 2014 geschlossenen Gasliefervertrag aus einer Position der Schwäche heraus unterzeichnen musste und zu Rabatten gezwungen gewesen sein soll. Ziel dieser hastig geschlossenen Vereinbarung sei es gewesen, dem Westen zu signalisieren, dass Russland seine Absatzmärkte diversifiziert und sich damit von seinen Verkäufen an EU-Staaten unabhängig macht. Eine bessere Position für die Russische Föderation könnte sich in zwei Jahrzehnten ergeben, wenn China die Energieversorgung im Nordosten von Kohle auf Gas umgestellt haben wird. Dann wird Peking viel mehr auf Importe angewiesen sein als heute.

Risiken des Abdriftens nach Asien

Der Politologe Alexander Knjasew bewertet die Arbeit der SOC skeptisch. Letzten Endes diene die SOC ausschließlich der Durchsetzung chinesischer Wirtschaftsinteressen. Überhaupt sieht er die Organisation am Scheideweg. Entweder die Mitglieder arbeiteten gemeinsam und effektiv am chinesischen Projekt der Seidenstraße, oder die SOC entwickele sich zu einer weiteren regionalen Gesprächsplattform. In Sicherheitsfragen weist Knjasew der SOC zudem eine zweitrangige Rolle zu: Initiativen zu Afghanistan seien nicht in Sicht, ebenso wenig zur Lösung des Indien-Pakistan-Konflikts.

Gefahr für Moskau: Die Shanghai Organisation (SOC) dient ausschließlich der Durchsetzung chinesischer Wirtschaftsinteressen.

Russlands außenpolitische Handlungsmöglichkeiten reichten nicht an diejenigen Chinas oder der USA heran. Alexander Gabuew vom Moskauer Carnegie-Center vertritt die Auffassung, dass Russland mit der Durchführung der beiden Gipfel im russisch-baschkirischen Ufa zwei Ziele seiner Außenpolitik verwirklicht habe: zum einen grundsätzlich die Zusammenführung von nicht-westlichen Staaten in zwischenstaatlichen Organisationen, zum anderen die Förderung der Etablierung eines „russisch-chinesischen Eurasiens“. Gleichwohl sieht er nur auf russischer Seite eine euphorische Erwartungshaltung bezüglich der Aussichten, den Wirtschaftsaustausch mit Hilfe der BRICS-Organisation oder der SOC zu stärken. Die anderen Länder sähen die Begrenztheit der beiden Strukturen, so Gabuew. Diese Ansicht unterstreicht ein aktueller Beitrag der Wirtschaftszeitung Wedomosti. Das Blatt weist darauf hin, dass gerade BRICS-Länder untereinander ihre Märkte durch Handelshemmnisse voneinander abschotten.

Ein Abdriften nach Asien kann weder im Interesse der Russischen Föderation noch der Europäischen Union sein. Auch wenn gemeinsame Projekte momentan schwer vorstellbar erscheinen, sollten Moskau und Brüssel ihren Dialog weiterhin intensiv pflegen.

Die Menschen in Russland honorieren bislang das verstärkte außenpolitische Interesse der Regierung an Asien und vor allem an China. Gleichzeitig ermöglichen Fotos von den Gipfeltreffen Staatspräsident Wladimir Putin den bildlichen Beleg, dass fernab des Westens keine internationale Isolierung Russlands stattfindet. Ob diese Neuausrichtung der Außenpolitik erfolgreich sein wird, muss die Zukunft zeigen. Ein Abdriften nach Asien kann weder im Interesse der Russischen Föderation noch der Europäischen Union sein. Auch wenn gemeinsame Projekte momentan schwer vorstellbar erscheinen, sollten Moskau und Brüssel ihren Dialog weiterhin intensiv pflegen.

(Der Autor dankt Herrn Mechti Ajwasow für seine Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags).