Als ersten Gast des G20-Gipfels empfing Bundeskanzlerin Merkel den chinesischen Staatschef Xi mit militärischen Ehren in Berlin. (Foto: Imago/Kyodo-News)
G20

Der Gipfel der Krisen

US-Isolationismus, Ukraine-Krise, IS-Terror, Syrien-Krieg, Nordkoreas Aggressionen, die türkische Despotie: Die G20 stehen in Hamburg vor einem riesigen Berg Krisen. Kanzlerin Merkel will durch viele Gespräche Erfolge erzielen.

Der G20-Gipfel in Hamburg beginnt offiziell erst am Freitag, aber bereits im Vorfeld läuft Angela Merkels multilaterale Diplomatie auf Hochtouren. Beobachter sprechen davon, dass schon vor Beginn die Vorentscheidungen darüber fallen, ob der Gipfel für die Kanzlerin ein Erfolg wird oder nicht. Sie versucht, die verhärteten Fronten in Bewegung zu bringen, unter anderem mit vielen Einzelgesprächen mit den Mächtigen. Krisenherde gibt es genug: die Abschottungspolitik der USA inklusive des angekündigten Ausstiegs Washingtons aus der internationalen Klima-Strategie, dazu der von Russland geführte Krieg in der Ukraine, Erdogans Kurs in der Türkei in Richtung islamische Diktatur, der IS-Terror, der nicht enden wollende Syrien-Krieg und die Aggressionen Nordkoreas.

Der G20-Gipfel der großen Wirtschaftsmächte ist ein informelles Gremium und hat keine Beschlussgewalt. Die Erwartung an Ergebnisse ist ohnehin gering. Als größter Wert gilt, dass die Mächtigen überhaupt miteinander reden und sich am Ende auf eine Abschlusserklärung einigen müssen. Nachdem Merkel in Berlin mit Chinas Staatschef Xi Jinping zusammengetroffen war, will sie am Donnerstag zahlreiche weitere Gespräche mit den angereisten Staats- und Regierungschefs führen. Am Abend will sie bei einem Treffen mit US-Präsident Donald Trump im Hotel „Atlantic“ ausloten, inwieweit er mit seiner isolationistischen Handels- und Wirtschaftspolitik sowie seiner ablehnenden Kritik an der internationalen Klimapolitik den Gipfel blockieren könnte, anschließend versucht sie den türkischen Despoten Erdogan zu beruhigen.

Pandas symbolisieren Annäherung zwischen Berlin und Peking

Die chinesische „Panda-Diplomatie“ zeigte bereits vorab greifbare Ergebnisse: „Meng Meng“ („Träumchen“) und „Jiao Qing“ („Schätzchen“) heißen die schwarzweißen Bären, die China als Geste der Freundschaft nach Deutschland schickte. Xi und Merkel posierten mit den beiden Bären im Berliner Zoo. Womöglich ist das auch eine Botschaft neuer deutsch-chinesischer Partnerschaft kurz vor dem schwierigen G20-Treffen: Sie arbeite bei der Vorbereitung des Gipfels eng mit China zusammen und hoffe auf Rückendeckung Pekings, erklärte Merkel.

Ich erwarte mir ein klares Signal von den G20-Staaten: Wir sind eine Welt, wir tragen eine Verantwortung.

Gerd Müller, CSU, Entwicklungsminister

Am Hamburger Gipfel nehmen nicht nur die 20 größten Volkswirtschaften der Welt teil, sondern auch ausgewählte Staaten, die repräsentativ für die kleineren Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländer stehen: Zur Gruppe der G20 gehören die Länder Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei, USA sowie die Europäische Union. Außerdem nehmen folgende internationale Organisationen teil: Vereinte Nationen, Internationale Arbeitsorganisation, Finanzstabilitätsrat, Weltbank, Internationaler Währungsfonds, Welthandelsorganisation, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Weltgesundheitsorganisation.

Angela Merkel hat zusätzlich die Staats- und Regierungschefs folgender Staaten eingeladen: Guinea (Vorsitz der Afrikanischen Union), Senegal (Vorsitz der Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung), Vietnam (Vorsitz der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft), Spanien, Singapur, Niederlande, Norwegen. Allein die G20 repräsentieren zwei Drittel der Weltbevölkerung und 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Entwicklungsminister Gerd Müller wies besonders auf die Herausforderungen in Afrika hin. „Ich erwarte mir ein klares Signal von den G20-Staaten: Wir sind eine Welt, wir tragen eine Verantwortung und machen Ernst mit der Armutsbekämpfung auf dem afrikanischen Kontinent“, sagte der CSU-Politiker der Passauer Neuen Presse. Griffen die G20-Staaten an den aktuellen Krisenherden in Afrika nicht ein, werde die Flüchtlingskrise eskalieren, so Müller.

Dies sind die wichtigsten Akteure, mit denen Merkel um Kompromisse ringt:

DONALD TRUMP:

Der US-Präsident gilt Beobachtern als große Wundertüte – niemand weiß, was er mitbringt. Er hat die Kraft, die Veranstaltung zu sprengen. Seine „Sherpas“ – die Gipfelstrategen – wollen das nicht. Es gehe ihnen um fairen Handel und gleiches Recht für alle beim Klimaschutz, heißt es. Ferner wolle Trump eine gemeinsame westliche Position für einen konstruktiven Umgang mit Russland erarbeiten und China stärker bei der Lösung der Nordkorea-Problematik in die Pflicht nehmen. Trumps Sicherheitsberater erklärte Anfang der Woche leicht resigniert, für das Treffen des Präsidenten mit Putin gebe es keine Themenliste: „Der Präsident kann über alles sprechen, was er will.“ Dass Trump vor Hamburg zuerst einmal in Polen stoppte, ist ein Fingerzeig: Warschau gilt mit seinen Einschränkungen von Freiheitsrechten nicht gerade als Musterknabe der EU, hat aber ziemlich viel Geld in US-Waffensysteme investiert. Das Weiße Haus lobt Polen als engen Verbündeten.

WLADIMIR PUTIN:

Für ihn wird die erste Begegnung mit Trump das Hauptereignis in Hamburg sein. Termin und Format hatten beiden Seiten lange offengelassen. Dabei tat der Kreml bis zuletzt so, als sei das Treffen nicht so wichtig. Nun wollen die beiden mächtigsten Männer der Welt ihren „Gipfel im Gipfel“ am Freitag abhalten. Aber werden sie das Verhältnis der zwei Atommächte verbessern können, das so schlecht ist wie seit Jahrzehnten nicht? Putin hofft immer noch darauf, dass Trump die Annäherung an Russland wahr macht, die er im Wahlkampf versprochen hatte. Andererseits werden in den USA immer mehr Details zur russischen Einmischung in den Wahlkampf und zu dubiosen Kontakten des Trump-Teams nach Moskau bekannt. Trump scheinen die Hände weitgehend gebunden.

ERDOGAN:

Der türkische Staatspräsident betritt das erste Mal deutschen Boden, seit er Merkel im Frühjahr nach Auftrittsverboten für türkische Regierungsvertreter „Nazi-Methoden“ vorgeworfen hat. Ihn wird deswegen kein schlechtes Gewissen plagen, wenn er Merkel die Hand schüttelt. Schließlich untersagte die Bundesregierung ihm gerade erst noch den Auftritt vor Anhängern in Hamburg. Das deutsch-türkische Verhältnis ist miserabel, ein Tiefpunkt jagt den anderen. Für Erdogan dürfte beim G20-Gipfel allerdings nicht das Verhältnis zu Deutschland im Mittelpunkt stehen. Ihn beschäftigen derzeit andere Dinge: Der Vormarsch der Kurden-Milizen in Syrien etwa, ein Marsch der Opposition nach Istanbul sowie die Krise um das mit der Türkei verbündete Katar. Die von Saudi-Arabien geführte Allianz fordert unter anderem den Abzug aller türkischen Soldaten aus dem Golf-Emirat.

XI JINPING:

Innerhalb der G20-Gruppe der Top-Wirtschaftsmächte beschäftigen sich Staats- und Regierungschefs schon mit der Frage der „neuen Führungsrolle“, die sich China durch Trumps Abschottungskurs bietet. Aber kann China die Welt überhaupt „führen“? Xi hatte die Abkehr Trumps vom Freihandel zunächst geschickt nutzen können, sich der Welt als Vorkämpfer gegen Protektionismus zu präsentieren, obwohl er genauso einen „ökonomischen Nationalismus“ verfolgt. Die Beschwerden deutscher und anderer Unternehmen nehmen aber zu, in China an den Rand gedrängt zu werden. So „führt“ China die Globalisierung nur, indem es der größte Konsumentenmarkt der Welt ist.