Grenzkontrollen am Brenner?
Österreich bereitet sich auf die Schließung der Brenner-Grenze vor. Denn Rom verliert die Kontrolle über das Mittelmeer: Mehr als 85.000 Migranten kamen in sechs Monaten. Das Problem sind auch die NGO-Schiffe vor Libyen.
Migranten

Grenzkontrollen am Brenner?

Österreich bereitet sich auf die Schließung der Brenner-Grenze vor. Denn Rom verliert die Kontrolle über das Mittelmeer: Mehr als 85.000 Migranten kamen in sechs Monaten. Das Problem sind auch die NGO-Schiffe vor Libyen.

Österreich meint es ernst: Wien bereitet sich darauf vor, an der Brennergrenze nach Italien „sehr zeitnah“ massive Grenzkontrollen zu installieren. Das erläuterte im Gespräch mit dem Wiener Boulevardblatt Kronen-Zeitung Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ): „Angesichts der Migrationsentwicklung in Italien müssen wir uns vorbereiten. Ich erwarte sehr zeitnah, dass Grenzkontrollen aktiviert werden und ein Assistenzeinsatz angefordert wird.“ Gemeint ist ein Assistenzeinsatz des österreichischen Bundesheeres, den Doskozil für „unabdingbar“ hält, „wenn der Zustrom nach Italien nicht geringer wird“.

Für den Einsatz an der Brennergrenze sind 750 Soldaten schon abgestellt und „im Fall einer Alarmierung durch die entsprechenden Aufklärungsdienste binnen 72 Stunden verfügbar“, so der SPÖ-Minister. Teile der Truppe könnten auch schon schneller am Brenner bereit stehen.

Wenn Italien beginnt, die Flüchtlinge durchzuwinken, wie das schon einmal der Fall war, dann werden wir die Grenze am Brenner schließen.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP)

„Wenn Italien beginnt, die Flüchtlinge durchzuwinken, wie das schon einmal der Fall war, dann werden wir die Grenze am Brenner schließen“, warnt auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). „Wir sind vorbereitet, das geht auf Knopfdruck. Das bedeutet allerdings Chaos.“ Mit „Chaos“ meint Platter die wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Folgen für die Bennerstrecke mitten im sommerlichen Urlaubsverkehr. Den Brenner passieren täglich 35.000 Fahrzeuge mit jährlich 41 Millionen Tonnen Gütern.

Roms Drohung

Auslöser der Warnung aus Wien war Roms „hinter den Kulissen“ (Le Figaro) ausgesprochene Drohung, seine Häfen für Schiffe mit aus libyschen Gewässern aufgenommenen Migranten zu schließen. Italiens Staatspräsident Sergio Mattatella hatte öffentlich von einer „untragbaren Lage“ gesprochen. Ministerpräsident Paolo Gentiloni pochte zur gleichen Zeit auf größere Hilfe der EU-Partner bei der Bewältigung Migrantenkrise. „Wenn die einzigen Häfen, die Asylbewerber aufnehmen, in Italien liegen, stimmt etwas nicht“, warnte Italiens Innenminister Marco Minniti.

Am vergangenen Sonntag war Minniti denn auch in Paris mit seinen deutschen und französischen Amtskollegen Thomas de Maizière und Gerrard Collomb zur Krisensitzung zusammen getroffen. Ergebnis: Paris und Berlin sicherten Italien „ihre entschlossene Solidarität“ zu. Alle drei Länder fordern größere Anstrengungen bei der Ausbildung der libyschen Küstenwache und beim Aufbau von Auffanglagern in Libyen. Außerdem sollen Optionen „geprüft“ werden, um Libyens Südgrenze besser zu schützen.

Noch die konkreteste Vereinbarung: Für Nichtregierungsorganisationen (NGO), die bis zur Hälfte aller Migranten in italienischen Häfen abliefern, soll ein Verhaltenskodex gefordert werden. An diesem Donnerstag werden die 27 EU-Innenminister das Thema in der estländischen Hauptstadt Tallinn vertiefen.

Das NGO-Problem

Die NGOs sind tatsächlich ein Problem. Nach italienischen Angaben sind 22 verschiedene Rettungsorganisationen im Mittelmeer tätig – ohne jede Kontrolle. Anfang des Jahres hat die EU-Grenzschutzagentur Frontex den NGOs vorgeworfen, durch die Präsenz ihrer Rettungsschiffe unmittelbar vor der libyschen Küste Menschenhändler regelrecht zu ermutigen und ihnen das Geschäft zu erleichtern. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt jetzt von einer „Kombination von Schleppern in Libyen und Rettungsboten von europäischen Hilfsorganisationen“, die „immer mehr Leute“ nach Italien brächten: Inzwischen ließe sich nachweisen, „dass die Hilfsorganisationen die Flüchtlinge nicht auf hoher See oder vor der Küste Italiens retteten, sondern oft wenige Seemeilen vor der libyschen Küste, manchmal sogar in libyschen Gewässern“.

Womöglich könnten unter den Spendern für die Hilfsorganisationen sogar diejenigen sein, die als Schlepper Millionen an den Migranten verdienen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

In italienischen Medien, so die FAZ weiter, würde der Verdacht geäußert, dass manche NGO-Schiffe „ihre Routen unfreiwillig oder gewollt mit Schleppern in Libyen koordinieren“. Und weiter: „Womöglich könnten unter den Spendern für die Hilfsorganisationen sogar diejenigen sein, die als Schlepper Millionen an den Migranten verdienen.“ Dazu passt eine Beobachtung der französischen Tageszeitung Le Monde: Ganz plötzlich sei genau jetzt die von der EU mit hochmodernen Booten ausgestattete libysche Küstenwache aus den internationalen Gewässern vor Libyen verschwunden.

500.000 Migranten in drei Jahren

Unterdessen spitzt sich in Italien die Krise zu. Nicht zuletzt auf Grund eben jener NGO-Aktivitäten. UN-Angaben zufolge haben seit Anfang des Jahres über die sogenannte zentrale Mittelmeerroute von Libyen her 85.183 meist schwarzafrikanische Migranten Sizilien und Italien erreicht – 20 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres. Tendenz steigend: Allein am vergangenen Wochenende wurden 12.500 Migranten aus libyschen Gewässern aufgenommen und nach Italien überführt. Beobachtern zufolge muss sich Italien für dieses Jahr auf 200.000 bis 300.000 afrikanische Migranten einstellen.

Italien ist dabei zusammenzubrechen.

Hoher Beamter des französischen Innenministeriums

Nach gut einer halben Million Migranten, die in den vergangenen drei Jahren Italien erreicht haben. Aufschlussreich: Diesen Mai waren in italienischen Betreuungseinrichtungen nur 177.000 Migranten registriert, schreibt die FAZ.

„Italien ist dabei zusammenzubrechen“, zitiert die Pariser Tageszeitung Le Figaro einen „hohen Beamten“ des französischen Innenministeriums. In Paris macht sich Unruhe breit: Maximal zwei Jahre lang darf dem Schengener Abkommen zufolge ein Mitgliedsland seine Grenze mit guter Ausnahmebegründung schließen und Personenkontrollen verfügen. Am kommenden 11. November endet für Frankreich diese Frist. „Die Gefahr besteht, dass wir dann 30.000 Personen sehen, die sich plötzlich nach Calais aufmachen”, so wieder jene Beamte. Dieser Tage will Innenminister Colomb Präsident Emmanuel Macron einen Plan vorlegen, wie das Asyl-Problem für Frankreich leichter zu handhaben sei.

Keine Hilfe aus Frankreich

Auf große französische Unterstützung kann Italien dabei allerdings kaum hoffen: 80 Prozent der in Italien ankommenden Migranten seien Wirtschaftsmigranten, sagte Präsident Macron Italiens Premier Gentiloni bei einem Berliner Vorbereitungstreffen zum G20-Gipfel. Soll heißen: Von diesen Migranten wird Frankreich sicherlich keine übernehmen. Macron in Berlin kühl: „Wir können nicht das ganze Elend der Welt aufnehmen. Aber jeder muss seinen Teil nehmen. Darum geht es.“

80 Prozent der Migranten, die in Italien ankommenden, sind Wirtschaftsmigranten.

Präsident Emmanuel Macron

„Europa steuert jetzt auf neue Flüchtlingskrise zu“, titelte am 4. Juli die Kronen-Zeitung. Unter Berufung auf einen „Spitzenbeamten“ berichtet das Blatt, dass „Italien sich durchaus bemüht, die illegalen Migranten mobil zu halten“. Überwachungsbilder hätten gezeigt, „dass viele der Flüchtlinge afrikanischer Herkunft sich von Italien aus Richtung Frankreich und Schweiz auf den Weg gemacht haben“. Auf der französischen Seite der italienisch-französischen Grenze, im Département Alpes-Maritimes, wurden seit Januar 22.000 illegale Migranten aufgehalten, berichtet Le Figaro. Die Österreicher sind vorbereitet – am Brenner.