Lieber Bomben statt Nahrung für die eigene Bevölkerung: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un unterzeichnet den Befehl für den Test einer Wasserstoffbombe. (Bild: Imago/Xinhua)
Nordkorea

Ein Toter zu viel

Der US-Student Otto Warmbier kam von einer Reise in die kommunistische Diktatur Nordkorea im Koma liegend zurück, nachdem er dort zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt worden war. Wenig später starb er – und der Druck auf den US-Präsidenten wächst.

Warmbier war im Januar 2016 in Nordkorea festgenommen und im März zu 15 Jahren Straflager verurteilt worden. Die kommunistische Führung in Pjöngjang warf ihm Straftaten gegen den nordkoreanischen Staat vor. So soll er in einem Hotel ein Propagandaplakat von der Wand genommen haben, um es zu „stehlen“. Wenn überhaupt, hatte es der Student vermutlich eher als skurriles Souvenir angesehen. Tatsächlich diente der Jugendliche wohl als Faustpfand der nordkoreanischen Diktatur, um direkte Gespräche mit den USA zu erzwingen.

Bizarrer Schauprozess

Aus Nordkorea hieß es während des bizarren Schauprozesses, der Amerikaner habe seine Taten „gestanden“, die er gemäß „der feindseligen Politik der US-Regierung“ verübt habe. Der Student der Virginia-Universität hatte sich Ende Februar bei einer vom Regime arrangierten Pressekonferenz selber „schwerer Verbrechen“ gegen das sozialistische Land bezichtigt.

Nordkorea ist das größte Freiluft-Gefängnis der Welt.

Wenzel Michalski, Human Rights Watch

Er habe „im Auftrag einer US-Kirche“ in einem Hotel in Pjöngjang das Transparent gestohlen, das angeblich als „Trophäe“ in der Kirche ausgestellt werden sollte. Als Belohnung sei ihm ein gebrauchtes Auto im Wert von 10.000 Dollar versprochen worden. Zudem sollte seine Mutter 200.000 Dollar erhalten, falls er nicht zurückkehre. Doch welche Kirche sollte so etwas tun und dafür auch noch so viel Geld zahlen? Schon bei dem Prozess weinte Warmbier heftig und schien psychisch völlig am Ende.

15 Monate im Koma

Der 22-Jährige war über China Ende 2015 eingereist. Nordkorea hatte ihn erst vergangene Woche aus der Haft entlassen und seinen Heimflug „erlaubt“. Der Student lag angeblich seit fast 15 Monaten im Koma, das er kurz nach dem Schauprozess erlitt. Er konnte bei seiner Ankunft in den USA zwar die Augen öffnen und blinzeln, es gab aber keine Anzeichen, dass er auf Sprache oder non-verbale Aufforderungen reagieren konnte. Nur wenige Tage später verstarb Warmbier dann im Kreise seiner Familie. Wie genau es zum Koma kam, ist unklar und bleibt es vermutlich auch. Denn die Leiche wird nicht obduziert. Ein entsprechender Wunsch der Eltern werde respektiert, teilte die Gerichtsmedizin im US-Bundesstaat Ohio mit.

Wurde Warmbier gefoltert?

Die Mediziner fanden heraus, dass Warmbier schwere Hirnschäden davongetragen hatte, jedoch keine sonstigen körperlichen Schäden wie beispielsweise Knochenbrüche aufwies. Verletzungen anderer Art wären aber nach so langer Zeit ohnehin nicht mehr nachweisbar. Die Version der Nordkoreaner, er sei an einer schweren Lebensmittelvergiftung (Botulismus) erkrankt und nach Einnahme einer Schlaftablette nicht mehr aufgewacht, scheint US-Ärzten nicht schlüssig. Anzeichen für Botulismus fanden sich bei den Untersuchungen nicht. Wahrscheinlicher sei ein Sauerstoffverlust im Gehirn. Dieser könne durch einen Herzstillstand hervorgerufen werden, der bei einem so jungen und laut Medienberichten sportlichen Menschen durch schwere Folter beispielsweise mit Elektroschocks eintreten kann. Auch die Foltermethode, Gefangene lange unter Wasser zu drücken, kann einen solchen Sauerstoffverlust hervorrufen. Beide Methoden sind laut Überläufern und geflohenen Nordkoreanern durchaus üblich im kommunistischen Strafvollzug. In Medien wurde auch die Möglichkeit einer absichtlichen Infektion mit einem Biokampfstoff erörtert, weil der Student mit einem speziellen Flugzeug zur medizinischen Evakuierung aus Nordkorea abgeholt wurde. Dieses hatte 2016 auch schon Ebola-Infizierte aus Westafrika abgeholt. Das Problem an all diesen Ideen: Bisher wurden ausländische Häftlinge in Nordkorea separat von den riesigen Arbeitslagern untergebracht und relativ „normal“ behandelt. Allerdings sind Amnesty International einige ausländische Gefangene in Nordkorea bekannt, die zur Zwangsarbeit verurteilt wurden und schwere körperliche Folgen erlitten.

Leider ließen die furchtbaren, qualvollen Misshandlungen unseres Sohnes durch die Nordkoreaner keinen anderen Ausgang zu als den traurigen, der sich heute ereignet hat.

Fred und Cindy Warmbier, Eltern des Verstorbenen

Die Eltern Fred und Cindy Warmbier wiesen die Schuld am Tod ihres Sohnes direkt Nordkorea zu: „Keine zivilisierte Nation hätte jemandem die bestmögliche medizinische Versorgung so lange verweigert“, sagte der Vater nach der Ankunft seines Sohnes. Nach dessen Tod erklärten die Eltern: „Leider ließen die furchtbaren, qualvollen Misshandlungen unseres Sohnes durch die Nordkoreaner keinen anderen Ausgang zu als den traurigen, der sich heute ereignet hat.“ In der Stellungnahme hatte das Elternpaar geschrieben, ihr Verlust sei unbeschreiblich, vor allem, „all die künftige Zeit, die wir mit einem so warmherzigen, engagierten, brillanten jungen Mann nicht mehr verbringen können, dessen Neugierde und dessen Enthusiasmus keine Grenzen kannte.“ Doch für sie gelte: „Wir haben beschlossen, uns über die Zeit zu freuen, die wir mit dieser bemerkenswerten Person verbringen durften.“ Binnen eines Tages in der Heimat hätte sich der Gesichtsausdruck des Sohnes entspannt. „Otto war zu Hause, wir glauben, dass er das fühlen konnte.“

Die US-Öffentlichkeit ist empört

Unterdessen fordern immer mehr US-Politiker eine Reaktion. Nordkorea habe Warmbier ermordet, das müsse Konsequenzen haben, wetterten die Senatoren John McCain und Marco Rubio. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) forderten schärfere Sanktionen. „Nordkorea ist das größte Freiluft-Gefängnis der Welt“, erklärte HRW-Deutschland-Direktor Wenzel Michalski dem Bayerischen Rundfunk.

Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Neue die Brutalität des nordkoreanischen Regimes.

Donald Trump, US-Präsident

Nur der sonst jederzeit polternde US-Präsident hielt sich zurück. Der Grund dafür könnte bei den drei weiteren US-Bürgern in nordkoreanischer Geiselhaft liegen. „Die Vereinigten Staaten verurteilen aufs Neue die Brutalität des nordkoreanischen Regimes, während wir dessen jüngstes Opfer betrauern“, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Später legte er nur wenig nach: „Er hätte schon viel früher nach Hause gelassen werden sollen. Das hätte einen großen Unterschied gemacht.“ An China gerichtet schrieb er, dass er deren bisherige diplomatische Bemühungen mit Nordkorea schätzt, sie jedoch für gescheitert hält. Im Außenministerium wird nun geprüft, ob man US-Bürgern Reisen nach Nordkorea grundsätzlich verbieten sollte. Derzeit kommen rund 20 Prozent der wenigen westlichen Touristen in Nordkorea aus den USA. In wenigen Tagen kommt es zwischen den USA und China, dem einzigen Verbündeten Nordkoreas, zum Dialog. Die Amerikaner werden alles tun, um Peking zu einem schärferen Kurs gegenüber Pjöngjang zu überreden.

Militärschlag unwahrscheinlich

Ein Militärschlag gegen nordkoreanische Atomanlagen oder Raketenlager erscheint unwahrscheinlich. Nicht, weil die vermutlich noch wenigen und unausgereiften Atomraketen des Diktators Kim Jong-un so gefürchtet werden, sondern weil das kommunistische Regime geschätzt 15.000 Artilleriegeschütze und Raketenwerfer auf die nur 50 Kilometer hinter der gemeinsamen Grenze liegende südkoreanische Hauptstadt Seoul gerichtet hat. Das Leben von Millionen Koreanern wäre dadurch ebenso in Gefahr wie das der 30.000 in Südkorea stationierten US-Soldaten. Wahrscheinlicher ist darum mehr Druck auf China, das Pjöngjang bisher meist stützte. Zusätzlich könnte Druck auf Länder im Mittleren Osten ausgeübt werden, die Zehntausenden nordkoreanischen Bauarbeiter in ihre Heimat zurückschicken und diese Devisenquelle versiegen zu lassen. Auch amerikanische Hackerangriffe wären möglich.

Trump wollte ursprünglich gerade auf die Führung in Nordkorea zugehen, um den Streit über die nukleare Aufrüstung und Pjöngjangs Raketenprogramm zu lösen. Politologen sind sich nun einig: Warmbiers Tod hat diese Absichten erst einmal auf Eis gelegt.

Die nordkoreanischen Behörden hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Südkoreaner, US-Bürger und andere Ausländer festgenommen, in der Regel wegen des Vorwurfs „feindseliger Handlungen“. Ende 2014 hatte das Land den zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilten US-Missionar Kenneth Bae zusammen mit einem ebenfalls inhaftierten Landsmann vorzeitig freigelassen.

(dpa)