Wegen grober Unsportlichkeit: Rote Karte für die FIFA. Bild: Fotolia/giromin
FIFA-Skandale

Die Lawine überrollt Blatter

Immer neue Fakten aus den zahlreichen FIFA-Skandalen, darunter Schweigegeld für Irland, Korruptionsbeweise aus New York und wirre Warnungen aus der Karibik, erschüttern weiter die Fußballwelt. Die UEFA berät die Nachfolge des Schweizer FIFA-Präsidenten. Für Joseph Blatter gibt es nach seiner Rücktrittsankündigung also keine Atempause.

Der scheidende FIFA-Präsident Joseph Blatter hat kurz vor dem Start der Frauenfußball-WM in Kanada einen ersten Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Reformpaket für den skandalerschütterten Fußball-Weltverband gemacht. Blatter traf am Donnerstag nach FIFA-Angaben in Zürich seine neue rechte Hand Domenico Scala. Dieser soll die Neuwahlen an der FIFA-Spitze organisieren und wie eine Art Treuhänder den längste überfälligen Reformprozess voranbringen. Er ist derzeit Chef der FIFA-Compliance-Kommission, die auf sauberes Geschäftsgebaren der FIFA achten soll. Bisher war diese Kommission aber ganz offensichtlich eines der üblichen Feigenblätter des chronisch korrupten Fußball-Weltverbandes. Hoffnung auf Besserung besteht also nicht. Die von Blatter genannten Ideen, darunter eine Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten und die ExKo-Mitglieder, eine Verkleinerung des Exekutivkomitees, eine Wahl des Gremiums durch den FIFA-Kongress statt durch die Kongresse der Konföderationen und eine Leumundsprüfung durch die FIFA statt durch die Kontinentalverbände, hätte er längst durchsetzen können. Überprüfungen durch die FIFA sind ohnehin nicht das Papier wert, auf dem sie stehen, das zeigte schon der letzte Bericht der Ethikkommission, der in eine Reinwaschung von allen Sünden umgedeutet wurde.

Neue Fakten und Behauptungen

Inzwischen gab es neue Fakten aus den zahlreichen FIFA-Skandalen. Beunruhigend für Blatter sind insbesondere Aussagen seines langjährigen Vertrauten und Vizepräsidenten Jack Warner sowie des US-Kronzeugen und FIFA-Funktionärs Chuck Blazer, der an Darmkrebs erkrankt sein soll. „Beginnend in und um 2004 und bis 2011, verständigte ich mich mit anderen im FIFA-Exekutivkomitee, Bestechungen in Verbindung mit der Wahl Südafrikas als WM-Gastgeber 2010 zu akzeptieren“, wird Blazer in einem Vernehmungsprotokoll des Bezirksgerichts von Brooklyn zitiert. Dies ist die erste Veröffentlichung des umfassenden Geständnisses eines ehemaligen FIFA-Top-Mannes aus dem Jahr 2013. Schon von 1992 an liefen die illegalen Aktivitäten vor der WM-Vergabe 1998 nach Frankreich. Weiter unbestätigt sind aber Berichte von US-Medien, nach denen das FBI auch gegen Blatter ermittelt. Die gute Nachricht aus Sicht des Schweizers: In der 40 Seiten starken Abschrift der Blazer-Vernehmung spielt sein Name keine Rolle. Die Kernaussagen Blazers sind dennoch brisant, belegen sie doch die lange vermutete Korruptionskultur im FIFA-Führungszirkel. Nicht nur beim WM-Vergabeprozess für 1998, sondern auch für 2010 flossen Millionenzahlungen zunächst wohl aus Marokko, später aus Südafrika auf Konten jenseits des Atlantiks. Die WM-Organisatoren in Südafrika haben Bestechungsvorwürfe zurückgewiesen. Ermittlungen werden am Kap aber geprüft. In Australien laufen nun offizielle Untersuchungen der Justiz zur WM-Bewerbung 2022 – mit Verbindungen zu Warner. Warner selbst leugnet noch jedes Vergehen und schießt massiv gegen Blatter und die FIFA, die er 2011 unter dem Druck der Korruptionsvorwürfe mehr oder weniger freiwillig gegen Ausstellung eines Persilscheins verließ. Der Weltverband habe seine Independent Liberal Party auf Trinidad und Tobago im Wahlkampf vor fünf Jahren finanziell unterstützt. Und FIFA-Funktionäre hätten davon gewusst, darunter auch Blatter, behauptete Warner in einer achtminütigen TV-Ansprache. „Nicht mal der Tod wird die Lawine stoppen, die kommt“, prophezeite der 72-Jährige vor Anhängern auf Trinidad. Die entsprechenden Schecks und anderes Beweismaterial habe Warner an seine Anwälte übergeben, schrieb die Zeitung „Trinidad and Tobago Guardian“. „Blatter weiß, warum er gefallen ist. Und wenn es jemand anderes weiß, bin ich es“, drohte Warner. Doch bereits 2011 hatte Warner einen „Tsunami“ an brisanten Informationen angekündigt, der sich jedoch nie entrollte. Die USA fordern die Auslieferung Warners. Derzeit ist er in seiner Heimat nur auf Kaution in Höhe von 2,5 Millionen Dollar frei. Chancen für die in der Schweiz inhaftierten Funktionäre auf eine vorzeitige Freilassung aus der Auslieferungshaft besteht wegen hoher Fluchtgefahr kaum, teilten die Behörden mit.

Auch andere Nationen ermitteln

Vor dem Hintergrund der FIFA-Korruptionsaffäre hat zudem Venezuelas Staatsanwaltschaft den Hauptsitz des nationalen Fußballverbandes FVF durchsuchen lassen. Die von Geheimdienstagenten durchgeführte Aktion steht im Zusammenhang mit der Festnahme von Verbandspräsident Rafael Esquivel, der derzeit mit sechs weiteren FIFA-Funktionären wegen Korruptionsvorwürfen in der Schweiz in Haft sitzt. Ermittlungen wurden ebenfalls in Südafrika und Paraguay angekündigt. Auch die australische Polizei ermittelt wegen des Verdachts der Korruption rund um die gescheiterte Bewerbung des Landes für die Fußball-WM 2022. Bei den Untersuchungen geht es auch um den ehemaligen FIFA-Vizepräsidenten Jack Warner, bestätigte die Behörde.

Alles nur gekauft?

In West-Europa wird unterdessen immer lauter eine Neuvergabe der WM-Turniere in Russland 2018 und Katar 2022 gefordert. Mit den Turnieren 1998 und 2010 sowie der ebenfalls in weiteren Verfahren untersuchten Vergabe der WM 2018 an Russland und der WM 2022 in Katar stehen insgesamt vier Endrundenturniere unter Korruptionsverdacht. Eine neue WM-Vergabe, wie von vielen gefordert, ist allerdings nicht so einfach möglich. Es bestehen Verträge, unabhängig davon, wer an der Spitze des Weltverbandes steht. Keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten förderte die Blazer-Befragung für die WM 2006 in Deutschland zutage. Ich darf daran erinnern, dass wir die absolut beste Bewerbung hatten“, sagte der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Wolfgang Niersbach. „Wir haben die Abstimmung mit 12:11 gewonnen. Wir wissen, dass die acht Europäer für uns gestimmt haben. Woher die anderen vier Stimmen kamen, können wir nur vermuten. Die haben wir mit unserer Bewerbung überzeugt.“ Deutschland habe eine „in jeder Hinsicht hervorragende Bewerbung für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 abgeliefert“, sagte auch der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Die habe, mit Unterstützung der Bundesregierung, das Exekutivkomitee der FIFA beeindruckt und überzeugt. Schily hält es für ausgeschlossen, „dass von den für die Bewerbung verantwortlichen DFB-Vertretern versucht worden sein sollte, die Mitglieder des Exekutivkomitees durch unlautere Mittel zu beeinflussen“.

Irland bekam viel Schweigegeld

Inmitten der Korruptionsaffäre hat der krisengeschüttelte Fußball-Weltverband FIFA die Zahlung von fünf Millionen Dollar an den irischen Verband FAI als Kompensation für die verpasste WM-Teilnahme 2010 eingeräumt. Irland war im November 2009 im Playoff-Rückspiel in Frankreich mit 1:1 nach Verlängerung wegen eines ein nicht geahndeten Handspiels von Thierry Henry unglücklich ausgeschieden. Der irische Verband hatte daraufhin beantragt, als 33. Teilnehmer zur WM-Endrunde in Südafrika zugelassen zu werden, war damit aber gescheitert. Irlands Verbandspräsident John Delaney hatte eine Zahlung der FIFA am Donnerstag im irischen Radiosender RTE erstmals öffentlich gemacht, ohne die genaue Summe zu nennen. In einem der englischen Zeitung „The Guardian“ vorliegenden Statement teilte die FIFA mit, dass die Summe als Darlehen für den Bau eines Stadions vorgesehen war, „um den Ansprüchen Irlands gegen die FIFA ein Ende zu setzen“. Sie sollte von den Iren bei einer erfolgreichen Qualifikation für die WM-Endrunde 2014 in Brasilien zurückerstattet werden. Nachdem das Team in der Ausscheidung auf der Strecke geblieben war, habe man entschieden, den Betrag abzuschreiben. Dieser Darstellung des Weltverbandes widersprach der irische Verband. Die Zahlung sei auf Grundlage eines Vergleichs erfolgt und kein Darlehen gewesen, teilte die FAI mit. Außerdem habe es sich nicht um fünf Millionen Dollar, sondern um fünf Millionen Euro gehandelt. „Die Abmachung der FIFA mit dem irischen Verband hat zu keiner Zeit einen Einfluss auf unsere kritische Haltung der FIFA gegenüber gehabt. Außerdem war Vertraulichkeit die einzige Bedingung dieser Regelung“, hieß es laut Nachrichtenagentur AP in einer FAI-Stellungnahme.

Blatters Nachfolge

Wer die Nachfolge von Blatter bei einem Sonderkongress vermutlich im Frühjahr 2016 antreten soll, wird heiß diskutiert. Die Liste der Kandidaten reicht von UEFA-Chef Michel Platini, der aber im Zusammenhang mit der WM-Vergabe nach Katar in der Kritik steht, weil sein Sohn danach einen Job in Katar erhielt, über den jüngst unterlegenen Kandidaten Prinz Ali bin-al Hussein bis hin zum größten Strippenzieher der Sportpolitik: Dem Kuwaiter Ahmad al Fahad al Sabah, der schon IOC-Chef Thomas Bach ins Amt half. Als Geheimfavorit wird auch der bestens vernetzte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach gehandelt. Zudem hat sich der südkoreanische Auto-Milliardär Chung Mong-Joon in Spiel gebracht, der schon vor den Wahlen 2011 Blatter kritisiert hatte. Und der frühere FIFA-Funktionär Jérôme Champagne hat sich eine Kandidatur als Präsident des Fußball-Weltverbandes offen gelassen. Die für Freitag geplante Sondersitzung der 54 UEFA-Mitglieder in Berlin für eine gemeinsame Strategie bei der Neuordnung des Fußball-Weltverbandes wurde vom UEFA-Chef abgesagt. Vor dem Champions-League-Finale am Samstag wird aber von den Europäern dennoch über das Vorgehen nach der ersehnten Rücktrittsankündigung von FIFA-Chef Joseph Blatter beraten. „Da täglich neue Informationen ans Tageslicht kommen, denke ich, dass es klüger ist, sich Zeit zu nehmen, um die Situation besser einzuschätzen, um dann gemeinsam Position zu beziehen“, sagte Platini. DFB-Präsident Niersbach, der nach Blatters Wiederwahl nur mit lauen Statements auffällig wurde, geht nun die endgültige Ablösung von Blatter und die erhoffte Neuordnung des Fußball-Weltverbandes nicht schnell genug: „Wenn ich das höre, dass ein außerordentlicher Kongress der FIFA erst im Frühjahr des kommenden Jahres stattfinden soll, dann sage ich spontan: Das ist äußerst problematisch, das so zu halten. Ich würde ganz klar dafür eintreten, diesen Prozess zu beschleunigen.“ Der große Wunsch des deutschen Spitzenfunktionärs: Ein gemeinsamer europäischer Kandidat.

(avd/dpa)