Aufräumarbeiten in Kabul nach dem Anschlag. (Bild: Imago/Xinhua/Rahmat Alizadah)
Kabul

Stadt in Angst

Nach dem Anschlag in Kabul mit mindestens 90 Toten wird die Forderung nach einem generellen Abschiebestopp laut. Die Bundesregierung spricht sich dagegen aus, wie auch CSU-Chef Horst Seehofer. Er hat aber noch eine andere Forderung.

Die Bürger von Kabul haben in diesem Jahr bereits mehrere grausame Attentate erlebt. Die Lastwagenbombe, die am 31. Mai mitten im Diplomaten- und Regierungsviertel der Hauptstadt explodierte, hat jedoch so viele Menschen getötet, wie keine andere zuvor. Mindestens 90 Menschen starben, vermutlich mehr. Rund 460 Menschen wurden verletzt. Vor den Krankenhäusern bildeten sich lange Schlangen verzweifelter Menschen, die ihre Angehörigen suchen.

„Kabul ist weitgehend sicher“

Dass die Attentäter mit so viel Sprengstoff in das politische Zentrum des Landes fahren konnten, ändert aber nichts an der Ansicht von Innenminister Thomas de Maizière (CDU), dass Kabul weitgehend sicher sei. Das betonte er immer wieder. Und auch jetzt soll die Sicherheitslage nicht neu bewertet werden.

Am 1. Juni sollte ein weiterer Abschiebeflug mit abgelehnten Asylbewerbern landen. Der wurde zunächst verschoben. Grund dafür ist, dass die Botschaft nach dem Anschlag Wichtigeres zu tun hat. Der Flug, so sagte De Maizière, werde aber „bald möglichst nachgeholt“. Die generelle Linie der Regierung ändere sich nicht. Merkel betonte in Berlin, der erschütternde Anschlag in Kabul am Mittwoch sei „noch einmal Anlass, genau hinzuschauen, die Sicherheitslage immer wieder richtig zu analysieren (…), Provinz für Provinz“. Es gehe auch darum, sich bei Abschiebungen auf Flüchtlinge zu konzentrieren, die kriminelle Taten in Deutschland begangen hätten und sich jeden Einzelfall genau anzuschauen.

Keine Kurzschluss-Entscheidungen

Das sehen Politiker von SPD und Grünen anders. Sie verlangen, überhaupt keine Afghanen mehr in ihr Heimatland zurückzuschicken – also nicht mal straffällige. Die Meinung teilt die CSU nicht. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, Abschiebungen nach Afghanistan seien „immer noch zumutbar“.

Auch CSU-Chef Horst Seehofer lehnt einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan ab. Es sei jetzt große Sorgfalt nötig bei der Frage, in welche Region abgeschoben werden könne, sagte Seehofer und warnte vor „hektischen Kurzschluss-Entscheidungen“. Das Auswärtige Amt müsse jetzt beurteilen, was verantwortbar sei und was nicht. Das in Relation winzige Kabul ist schließlich nicht gleichzusetzen mit ganz Afghanistan.

Seehofer betonte zudem die Notwendigkeit gründlicher Einzelfall-Prüfungen. Er reagierte damit auf einen Polizeieinsatz in Nürnberg am 31. Mai, wo Schüler einen 20-jährigen Mitschüler vor dessen Abschiebung schützen wollten. Die Polizei hatte den Afghanen am Morgen während des Unterrichts abholen wollen. Es kam zu einer Sitzblockade und einer Demonstration von mehreren hundert Menschen. Die Folge waren tumultartige Szenen. Neun Polizisten wurden verletzt, fünf Personen vorübergehend festgenommen.

Umzug der Entwicklungshilfeorganisation

Im vergangenen Jahr sind in Kabul so viele Zivilisten gestorben wie seit dem Bürgerkrieg in den 90er Jahren nicht mehr. Verglichen mit 2015 stieg die Zahl der Todesopfer um 75 Prozent. Die deutschen Staatsstellen in Kabul selbst schätzen die Sicherheitslage in der Stadt als gefährlich ein. Die staatliche deutsche Entwicklungshilfeorganisation GIZ wird in wenigen Wochen ihre Büros in der Stadt aufgeben und in ein schwer gesichertes Lager am Stadtrand ziehen. Auch die deutsche Botschaft habe geplant, den Schutz zu verstärken und Büros weiter in andere Gebäude im Inneren des Geländes zu verlegen, laut Sicherheitsexperten. Man habe sich exponiert gefühlt in diesem Haus an einer belebten Straßenecke.

Sollten die Deutschen das Ziel sein?

Wo die Attentäter mit ihrer fahrbaren Bombe hinwollten, ist noch unklar. Sie ist sehr nahe der deutsche Botschaft explodiert. Niemand sagte bisher, die Deutschen seien das Ziel gewesen. In unmittelbarer Nähe gab es Ziele zuhauf: der Präsidentenpalast, Ministerien, das Nato-Hauptquartier, viele weitere Botschaften, aber auch große Supermärkte und die Büros von Mega-Unternehmen wie die der Telekommunikationsfirma Roshan. Ebenfalls noch ungewiss ist, wer hinter der Tat steckt. Die radikalislamischen Taliban ließen verlauten, sie seien es nicht gewesen. Ähnliche Anschläge hatte zuletzt die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für sich reklamiert. Auf den üblichen IS-Kanälen gab es bisher kein Bekenntnis.

Vielleicht sollte die Bombe aber doch genau da in die Luft gehen, wo sie explodierte: an einer belebten Straße zwischen hohen Sprengschutzmauern, die die Druckwelle der Explosion kaum entweichen ließen. Jeden Morgen passieren sie Tausende auf dem Weg zur Arbeit. Unter ihnen viele Afghanen, die für die allen Islamisten verhasste Regierung arbeiten sowie Ausländer, die von ihnen als „Besatzer“ wahrgenommen werden.

(dpa/AS)