Überfälliger Schritt: Die Ära Sepp Blatter endet Anfang 2016. Bild: Imago/Sven Simon
FIFA-Skandale

Blatter tritt zurück

Viel zu lange hat es gedauert, nun ist es endlich vorbei: Die FIFA-Präsidentschaft des Schweizers Sepp Blatter geht zu Ende. Überraschend war nur, dass der 79-Jährige seinen Rücktritt nur wenige Tage nach seiner peinlichen Wiederwahl selbst verkündete. Als mögliches Motiv nannten US-Medienberichte Ermittlungen des FBI sowie von Schweizer Behörden.

Auch am Morgen nach der überraschenden Rücktrittsankündigung rätselt die Fußball-Welt weiter über die Motive von FIFA-Präsident Joseph „Sepp“ Blatter. Nachdem der 79-jährige Schweizer jede Kritik und sogar Verhaftungen von sieben FIFA-Funktionären, darunter immerhin zwei seiner Vizepräsidenten, ignorierte und am vergangenen Freitag die Wahl zum Chef des Weltverbandes erneut gewonnen hatte, sind die Beweggründe für seinen Abschied unklar. Laut der Zeitung „New York Times“ (unter Berufung auf Ermittler) und des US-Senders ABC soll das FBI auch gegen ihn persönlich ermittelt haben. Zuvor war bereits Blatters Generalsekretär Jérôme Valcke laut Medienberichten ins Visier der Ermittler geraten, ohne dass er allerdings selbst eines Vergehens beschuldigt wurde. Zudem gab es Schweizer Ermittlungen gegen die dubiosen WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022. Zudem ist zu erwarten, dass sich die Verhafteten, einige davon enge Vertraute Blatters, ein Wettrennen darum liefern, wer schneller und mehr über mögliche dunkle Machenschaften des FIFA-Bosses liefern kann – um bei der drohenden Haftstrafe in den Genuss einer Kronzeugenerlasses zu kommen. Das FBI gab bisher keine Stellungnahme ab. Angeblich kamen sogar aus dem Blatter-Umfeld Andeutungen. Die amerikanische Nachrichtenagentur AP zitierte dessen langjährigen Freund, Walter Gagg: „Ich hatte ein sehr gutes Treffen mit ihm heute früh. Dann kamen die anderen Informationen aus den USA mit diesem und jenem.“

Blatters scheinheilige Sorgen

Blatter selbst hatte seine Demission so begründet:  „Ich habe ernsthaft über meine Präsidentschaft nachgedacht und über die vierzig Jahre, in denen mein Leben untrennbar mit der FIFA und diesem großartigen Sport verbunden gewesen ist.“ Durch die Wahl am vergangenen Freitag habe er noch einmal das Mandat durch die FIFA-Mitglieder bekommen, „aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht das Mandat der gesamten Fußball-Welt habe. Daher habe ich entschieden, mein Mandat bei einem außerordentlich Kongress niederzulegen.“ Und weiter: „Meine tiefe Fürsorge für die FIFA und ihre Interessen, die mir sehr am Herzen liegen, haben mich zu dieser Entscheidung bewegt.“ Seine Tochter Corinne gab sich beim britischen Sender BBC als treibende Kraft für die Meinungsänderung aus, angeblich um ihren Vater zu schützen. „Es ist meine tiefe Sorge um die FIFA und ihrer Interessen, die mich zu dieser Entscheidung veranlasst hat“, sagte Blatter am Ende seiner wohl schwersten Rede. Die Sorgen freilich hatte er viel zu spät. Allein die Kosten durch den neuerlichen Wahlkongress dürften in die Millionen gehen. Und der katastrophale Imageschaden für die FIFA, für den Blatter als Hauptverantwortlicher gilt, wird niemand so schnell wieder beheben können. Gerade auch hierzulande: 88 Prozent der Deutschen halten Korruption im Weltverband für „wahrscheinlich“. 81 Prozent davon sind überzeugt, dass Blatter persönlich verwickelt ist oder war. Das ist das Ergebnis einer aktuellen yougov-Umfrage unter 1006 Teilnehmern.

Zweifel an grundlegenden Veränderungen bei der FIFA

Ob sich dadurch etwas an der chronischen Korruption in der FIFA ändert, darf allerdings getrost bezweifelt werden. Schließlich ist das ganze System der FIFA eine Einladung zur Korruption. Es fehlt an Transparenz und wirksamen Kontrollen. Auch der Fakt, dass jedes Land ungeachtet seiner Größe und Mitgliederzahl jeweils nur eine Stimme hat, schadet dem Fußball. Die WM-Vergaben gingen in den letzten Jahrzehnten selten an den besten Bewerber, sondern nach wahren Bestechungsorgien an den finanziell potentesten Kandidaten. Oft genug haben scheidende Sportpräsidenten ihre Nachfolger selbst erwählt, um unter deren schützenden Händen unangetastet zu bleiben. Dafür spricht eine Ankündigung des Schweizers: Im skandalumtosten Fußball-Weltverband will Blatter vor der neuen Wahl in einigen Monaten noch Weichen stellen, die er selbst in 17 Jahren Regentschaft bisher immer vermieden hatte, darunter auch eine Amtszeitbeschränkung für künftige Präsidenten, ein kleineres Exekutivkomitee (ExKo; am Wochenende wollte Blatter noch ein größeres) sowie die Wahl von dessen Mitglieder durch den Kongress statt der Kontinentalverbände. Letzteres könnte erneut zu Absprachen der besonders korruptionsgefährdeten, aber mitgliederstarken Verbände Afrikas und Asiens führen, die dann das Komitee nach ihrem Gutdünken besetzen. Und die wirklich bedeutenden Fußballverbände Europas und Südamerikas müssten zusehen. Blatter sprach auch einen ethischen Eignungstest der Komitee-Kandidaten durch die FIFA an. Wer allerdings gesehen hat, wie sich die FIFA stets von allen Sünden reingewaschen hat, beispielsweise durch Ethikkommissionen, der hält diese Idee für einen schlechten Witz.

Ungewisse Zukunft

Die englische Zeitung „The Times“ blickte schon auf die anstehenden Aufgaben: „Die FIFA muss nun einen unwahrscheinlich anmutenden Prozess einleiten, um einen ehrlichen Führer zu suchen.“ Ein Wunschtraum vermutlich. Die Spekulationen über Blatters Nachfolger lassen nicht unbedingt auf Besserung hoffen. UEFA-Boss Michel Platini, Blatters eigentlicher Rivale der vergangenen Monate, steht selbst unter Verdacht, seit er bei der WM-Vergabe 2022 für Katar stimmte und sein Sohn später einen Arbeitsplatz in dem Wüstenstaat erhielt. Platini hat jede Korruption bestritten. Ohnehin war aber jeder, der für eine Sommer-WM in einem Land stimmte, das in dieser Zeit Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius aufweist, entweder dumm oder korrupt. Vor der WM-Vergabe lag aber allen ExKo-Mitgliedern der technische FIFA-Bericht vor, der genau auf diese Temperaturen hinwies und laut dem Katar (ebenso wie Russland 2018) der schlechteste Bewerber war. Der am vergangenen Freitag besiegte jordanische Kandidat Prinz Ali bin al-Hussein hat schon seine erneute Bewerbung in Erwägung gezogen. Der kurz vor der Wahl zurückgezogene Bewerber Michael van Praag hielt sich zunächst alles offen. Weiterer potenzieller Kandidat wäre Ahmad al Fahad al Sabah aus Kuwait, ein dubioser und mit allen Machtmitteln ausgerüsteter Funktionär, der auch IOC-Präsident Thomas Bach ins Amt half. Gewählt werden soll der neuen FIFA-Boss bei einem außerordentlichen Kongress, vermutlich zwischen Dezember 2015 und März 2016. Diesen Zeitraum nannte Domenico Scala, Chef der FIFA-Compliance-Kommission. Bis zu der außerordentlichen Zusammenkunft der FIFA wird Blatter sein Amt noch ausüben. Scala soll ihm bei der Umsetzung von dringend notwendigen Reformen helfen.

Reaktionen aus Europa

UEFA-Chef Platini, der Blatter einen Tag vor dessen erneuter Wahl noch den Rücktritt nahegelegt hatte, begrüßte dessen Schritt: „Es war eine schwierige Entscheidung, eine mutige Entscheidung, und die richtige Entscheidung.“ Im deutschen Fußball gab es über die Notwendigkeit eines Neuanfangs nur eine Meinung. „Dies ist ein guter Tag für den Weltfußball“, sagte Ligapräsident Reinhard Rauball. DFB-Boss Wolfgang Niersbach, der als neues Exko-Mitglied nun nicht mehr gegen Blatter kämpfen muss, sagte: „Das ist die Entscheidung, die absolut richtig ist, die überfällig ist. Es ist eigentlich eine Tragik, warum er es sich selber und uns allen das nicht erspart hat, dass er das früher gemacht hätte.“ Es ist eigentlich eine Tragik, warum er es sich selber und uns allen das nicht erspart hat, dass er das früher gemacht hätte.

Auch Top-Sponsoren begrüßen Blatter-Rücktritt

Eine weitere Mutmaßung in den Medien war, dass einige Top-Sponsoren und TV-Anstalten Blatter symbolisch die Pistole auf die Brust gesetzt hätten. Erstaunlich waren jedenfalls ihre schnellen Reaktionen. Die FIFA-Sponsoren Coca-Cola und Visa begrüßten umgehend den Rückzug Blatters: „Die heutige Ankündigung ist ein positiver Schritt für das Wohl des Sports, des Fußballs und dessen Fans“, teilte etwa der US-Getränkekonzern mit. Und fügte mahnend hinzu: Die Entscheidung werde dem Fußball-Weltverband helfen, die dringende Anpassung seiner Strukturen zu vollziehen, um das Vertrauen derer zurückzugewinnen, die den Sport und den Fußball lieben. „Dies ist ein wichtiger erster Schritt, um das öffentliche Vertrauen wieder aufzubauen, doch mehr Arbeit ist nötig“, erklärte auch die US-Kreditkartenfirma Visa. Etwas naiv fügte das Unternehmen hinzu, der Rücktritt Blatters zeige, dass die FIFA eingesehen habe, dass fundamentale Reformen notwendig seien. „Wir erwarten, dass die FIFA sofort Maßnahmen ergreift, um sich mit den Problemen innerhalb der Organisation zu befassen“, so Visa. Es gehe um Transparenz, Integrität und Fair Play. Beide Unternehmen hatten den Druck auf die FIFA schon nach den Verhaftungen in der vergangenen Woche erhöht. Visa hatte gar gedroht, sein Sponsoring zu überdenken. Auch der südkoreanische Automobilhersteller Hyundai übte Kritik und betonte, die Lage genau zu beobachten. Die drei Unternehmen zählen neben Adidas und Gazprom zu den ständigen Marketingpartnern der FIFA. Der russische Energiekonzern will, kaum verwunderlich, an seiner Unterstützung festhalten.

Das Ende der Bergziege

Blatter selbst hatte sich die Zähigkeit einer Schweizer Bergziege bescheinigt. Und die Schweizer Zeitung „Tagesanzeiger“ schrieb nach Blatters Wiederwahl, dass der Mann aus dem Hochgebirgskanton Wallis ein regional begründbares Talent habe und es immer schaffe, da zu stehen, „wo die Lawine nicht niedergeht“. Nun hat die Lawine die zähe Bergziege doch mitgerissen.