Tel Aviv: Den Strand der israelischen Hafenstadt teilen sich Juden und Araber – seit Jahrzehnten friedlich. (Bild: imago/UPI Photo)
Nahost

Bayerns Stimme in Israel

Interview Wie erleben die Menschen in Israel die sich zuspitzende Lage in Syrien? Was kann Europa im Nahost-Konflikt tun und wie profitieren bayerische Unternehmer von Kooperationen mit dem Land in Vorderasien? Ein Gespräch mit Godel Rosenberg, dem Leiter der Bayernrepräsentanz in Israel, über das Leben in der Region.

Am 7. April gab es den ersten direkten US-Angriff auf die syrische Armee. Welche Reaktionen erleben Sie derzeit in Israel?

Syrien ist zwar nur knapp drei Autostunden vom Zentrum Israels entfernt, aber den Krieg in Syrien beobachte ich gefühlt aus einer großen Distanz. Er ist für Israel nicht gefährlich, denn die Syrer haben in den letzten 69 Jahren in mehreren Kriegen schlechte Erfahrungen mit Israel gemacht. Ein Übergreifen des Krieges auf Israel ist nicht zu erwarten, aber es muss wachsam bleiben. Das Verhalten Syriens, mit Giftgas die eigene Bevölkerung anzugreifen, ist ein eklatanter Verstoß gegen alle Grundsätze der Menschlichkeit. Deswegen sind die Angriffe der USA auf Syrien auch zu begrüßen.

Erstmals seit 20 Jahren hat die Regierung in Israel den Bau einer neuen Siedlung im Westjordanland genehmigt. Was bedeutet das für eine angestrebte Zweistaatenlösung?

Die gebetsmühlenartige Wiederholung der Zweistaaten- oder Einstaaten-Lösung bringt uns nicht weiter. Das Problem des Nahen Ostens ist ein historischer Prozess. Die Geschichte ist nicht aufgearbeitet worden. Israelis befinden sich seit 50 Jahren im Westjordanland aufgrund eines Angriffskrieges der arabischen Nachbarn – inklusive der Palästinenser – im Jahr 1967. Dieser Angriffskrieg ist nicht aufgearbeitet, das kann nur durch direkte Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern geschehen.

Was kann Europa tun?

Die Regierungen in Europa sollten – wenn sie helfen wollen – das Zusammenleben zwischen Palästinensern und Israelis auch im Westjordanland fördern. Das würde den Menschen in der Region helfen. Zum Beispiel, indem man Ausbildungseinrichtungen fördert, die gezielt Israelis und Palästinenser mit einbeziehen. Anfangen könnte man bei den klassischen Lehrberufen wie Kfz-Mechaniker.

Die Bevölkerungsstruktur in Israel ist sehr heterogen – über 20 Prozent sind palästinensische Araber. Warum funktioniert in Israel ein friedliches Miteinander?

Weil jede israelische Regierung seit 69 Jahren das friedliche Nebeneinander der drei monotheistischen Religionen zu ihrem Hauptthema gemacht hat. Das gibt es in keinem anderen Land des Nahen Ostens. Wichtig ist dabei Bildungsförderung. Es gibt gemeinsame Schulen und gemeinsame Ausbildungseinrichtungen. Israel hat die arabische Minderheit in jedem Bereich des wirtschaftlichen Wachstums mitgenommen. Die Araber gehören nicht zur wirtschaftlichen Spitzengruppe, aber sie profitieren auch vom Wachstum Israels. Sie sind auch eingebunden in die israelische Sozialversicherung, haben damit eine vernünftige medizinische Versorgung und eine angemessene Alterssicherung.

Wie erleben Sie das Zusammenleben?

Wenn ich zur Bank oder in den Supermarkt gehe, werde ich von arabischen Mitbürgern bedient. Im Krankenhaus werde ich von einem arabischen Arzt behandelt. Und wenn ich zum Strand gehe, genieße ich die Sonne und das Meer gemeinsam mit arabischen Männern und Frauen am gleichen Badestrand. Die israelischen Mädchen haben einen Bikini an und die arabischen Frauen tragen lange Kleider. Das ist völlig normal. Seit Jahrzehnten wird das praktiziert. Und es funktioniert.

Als Leiter der Bayernrepräsentanz in Israel fördern Sie die wirtschaftlichen Kontakte zwischen Bayern und Israel. Stellen Sie auch Kontakte zu Palästinensern her?

Zu meiner Vita gehört auch, dass ich elf Jahre der Leiter der Daimler-Repräsentanz in Israel, im Westjordanland und in Jordanien war. Dadurch habe ich sehr enge Kontakte zu den Palästinensern. Aber im Moment ruhen sie. Geschäftsbeziehungen zwischen Deutschen und Israelis unter Einbeziehung des Westjordanlandes finden sehr selten statt. Die westliche Politik behindert das leider, weil an der Formulierung „besetztes Gebiet“ festgehalten wird. Diese Politik versperrt Wege der Zusammenarbeit. Notwendig wäre auch ein verstärkter Wille von deutscher Seite, mit palästinensischen Unternehmern zusammenzuarbeiten. Da befinden wir uns aber noch in der Anfangsstufe.

Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Bayern und Israel in den vergangenen Jahren entwickelt?

Inzwischen haben führende bayerische Unternehmen wie BMW, Audi, Siemens und auch einige kleinere Firmen in Israel Innovationsbüros. Hier suchen sie den Kontakt zu Start-ups mit denen sie gemeinsam Lösungen für ihre Probleme finden. Zum Beispiel bei der Entwicklung des selbstfahrenden Autos. Israel ist im High-Tech-Bereich eines der führenden Länder der Welt. Das liegt daran, dass sich das Land in einer permanenten Bedrohungslage befindet. Die Bedrohungslage ist inzwischen auch internetabhängig. Daher musste sich Israel einen Internet-Sicherheitsschirm zulegen und hat mit Cybersecurity – ein Begriff, der heute in aller Munde ist  – schon Ende der 1990er-Jahre begonnen. Dadurch hat Israel in dieser Milliarden-Dollar-Branche einen großen Vorsprung. Dieses spezielle Sicherheits-Geschäft macht inzwischen einen Großteil der neueren Geschäftsbeziehungen zwischen Israel und Bayern und der westlichen sowie asiatischen Welt aus.

Weltweit nehmen religiös motivierte Konflikte immer mehr zu. Wie muss die westliche Welt den Konflikten begegnen?

Dafür gibt es kein Rezept. Das geht nur langfristig und im Wesentlichen mit Bildung. Das heißt, die westliche Welt muss versuchen, in die Universitäten und Bildungseinrichtungen der arabischen Welt einzudringen und den Prozess, den wir seit dem dreißigjährigen Glaubenskrieg im 17. Jahrhundert in Europa durchgemacht haben, auch in der arabischen Welt zu verwirklichen. Aber dafür gibt es im Moment nur wenige Anhaltspunkte.

Welche zählen Sie dazu?

Mit den gemäßigten arabischen Ländern gibt es ja vernünftige Kooperationen. Aber ich sehe eher, dass der Einfluss des Islams in der westlichen Welt immer größer wird, verursacht durch die Öffnung der Tore vor allem im September 2015. Dadurch wird auch der Einfluss gerade des radikalen Islams immer größer. In Frankreich und Schweden beispielsweise werden ganze Stadtteile islamisiert und Einheimische aus ihrem Zuhause verdrängt.

Auch immer mehr Menschen in Bayern fühlen sich bedroht. Was können wir dagegen tun?

Wir in Bayern sind verhältnismäßig verschont geblieben. Aber man muss miteinander reden, sich kennenlernen, den Islam versuchen zu verstehen und umgekehrt muss sich der Islam öffnen und begreifen, was das gewachsene Christentum in Europa bedeutet: nämlich gelebte Toleranz und Respekt vor dem Andersdenkenden. Nur durch ein Miteinanderreden entsteht Verständnis und nur durch gegenseitiges Verständnis können wir die angespannte Situation langfristig und nachhaltig mildern.

 

Das Interview führte Anja Schuchardt.

Botschafter Bayerns

Godel Rosenberg, geboren 1946 in Lódz (Polen), ist jüdischen Glaubens und besitzt die deutsche und israelische Staatsbürgerschaft. Nach dem Abschluss an der Deutschen Journalistenschule 1971 in München arbeitete er zunächst für diverse Tages- und Wochenzeitungen, unter anderem beim Münchner Merkur. 1978 wurde Rosenberg Pressesprecher der CSU und damit von Franz Josef Strauß. Nach dessen Tod 1988 arbeitete Rosenberg als Fernsehmoderator für den Bayerischen Rundfunk, bevor er 1998 mit seiner Familie nach Israel zog und die Leitung der DaimlerChrysler-Konzernrepräsentanz übernahm. Seit 2009 kümmert sich Godel Rosenberg um die bayerisch-israelischen Beziehungen in der Auslandsrepräsentanz Bayerns in Tel Aviv.